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Adriana Altaras – Besser allein als in schlechter Gesellschaft: Meine eigensinnige Tante – Review

Mit ihrem neuen Buch “Besser allein als in schlechter Gesellschaft: Meine eigensinnige Tante” widmet sich die deutsche Schauspielerin, Theater- und Opernregisseurin und Autorin Adriana Altaras ihrem und dem Leben ihrer Tante. Ein komplettes, ereignisreiches Jahrhundert hat die bereits hinter sich gebracht und blickt, abwechselnd mit ihrer Nichte, darauf zurück. Es ist schwer greifbar, wie es sich anfühlen muss, das Konzentrationslager, die italienische Schwiegermutter und die Spanische Grippe zu überleben.

Und dann fällt ihr dreistelliger Geburtstag auch noch mitten in die Pandemie, sodass sie ihn im Pflegeheim und getrennt von Adriana Altaras verbringen muss. Auf Distanz tauschen sich die beiden aus, legen ihre unterschiedlichen Ansprüche und Wertigkeiten vor und blicken gemeinsam zurück auf vergangene Zeiten.

Die Rollenverteilung innerhalb der Familie bleibt

Adriana Altaras ist zum Zeitpunkt der Entstehung von “Besser allein als in schlechter Gesellschaft: Meine eigensinnige Tante” bereits selbst schon stolze 60 Jahre alt. Trotzdem wirken die Dialoge so, als ob die Zeit zwischen den beiden stehengeblieben wäre. Unabhängig von den Themen und den mittlerweile bestehenden Verhältnissen, unterhalten sie sich so, als sei Adriana Altaras weiterhin das kleine Mädchen von dem Buchcover, das mit der feinen, hübschen Tante unterwegs und von ihr behütet ist. Dabei hat sie selbst auch schon viel erlebt, einiges von der Welt gesehen, in Italien, Deutschland und New York gelebt. Aber wie das so ist, herrschen innerhalb der Familie andere Rollenverteilungen, man behält seine ein Leben lang.

Man hängt am Leben

Altaras berichtet über das Leben ihrer Tante mit großem Feingefühl, kann nachvollziehen, welche Ängste der – heute im Sinne von Kapitalismus und Klimawandel gepredigte – Verzicht in ihr auslösen. Auch die Angst vor Nazis beherrscht sie ein Leben lang, selbst wenn sie die mit steigendem Alter immer sarkastischer verschleiert. Altaras wägt häufig liebevoll ab, was sie der Tante noch zumuten kann und wie sie was formuliert. Und gleichzeitig verdrängt sie auch, dass bald das Vermächtnis der Tante, mit allen angesammelten Gegenständen, von ihr verwaltet werden muss.

Berührend ist auch der Zwiespalt der Tante selbst, sie hängt am Leben und wünscht sich gleichzeitig, dass es jetzt bitte mal vorbei ist. Püriertes Essen im Pflegeheim, eingeschränkte Mobilität und die nervige Zimmernachbarin treiben sie in manchen Momenten zur Weißglut, dann wiederum kann sie sich an Kleinigkeiten erfreuen, in Erinnerung schwelgen und gibt der Nichte emsig Tipps zur Männersuche, schickt sie sogar zu einer Partnervermittlung. Nach dreißig Jahren Ehe ist Adriana Altaras nämlich geschieden, ihre Kinder sind gerade ausgezogen. Sie macht Therapien, um Probleme konkret anzugehen und etwaige Traumata zu lösen, was die Tante wiederum nicht ansatzweise nachvollziehen kann.

Im richtigen Verhältnis

Es gibt eine Handvoll Witze, die die Tante in dem Buch zum Besten gibt. Die sind geprägt von einer Anklage Gottes, der beißenden Frage nach dem Warum, die sie als Jüdin in diesem Leben nie ablegen wird. In diesen Momenten wird man beim Lesen brutal zurückgeworfen, setzt ihr Leben immer wieder ins Verhältnis. “Besser allein als in schlechter Gesellschaft: Meine eigensinnige Tante” von Adriana Altara ist geprägt von einer starken, ansteckenden Tragikomik, die einerseits große Lust auf das Leben macht und gleichzeitig aber auch verdeutlicht, wie schnell alles vorbei ist und wie kurz die Glücksmomente sind.

Seiten: 240
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462004247
ISBN-13: 978-3462004243
VÖ: 09.03.2023

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