Der Zopf meiner Grossmutter Alina Bronsky

Alina Bronsky – Der Zopf meiner Großmutter – Review

“Der Zopf meiner Großmutter” von Alina Bronsky ist ein Buch, das man leicht unterschätzen kann. Die Rollen der überschaubaren Personen scheinen am Anfang eindeutig zu sein. Die grantige Großmutter Marga, die ihren Enkel Max ständig herabsetzt und ihm jegliche Lebensfreude abzusprechen versucht. Püriertes Gemüse statt Eis und sogar die Schule ist für sie ein unsicherer Ort.

Dann noch ein Großvater, der offensichtlich von seiner Ehefrau unterdrückt wird, wenig zu melden hat oder einfach nichts sagen möchte. Und warum der Enkel überhaupt bei seinen Großeltern aufwachsen muss, ist ihm lange selbst überhaupt nicht klar. Über 224 Seiten spielt die Autorin mit unserem Grundverständnis von Gut und Böse, erst langsam verstehen wir, dass die Karten oft ganz anders liegen, als man denkt.

Kalte Wärme

“Der Zopf meiner Großmutter” steht sinnbildlich für das Auslegen von Werten, für die Extreme von harte Schale und weicher Kern. Und für viele Familien, in denen nicht gesprochen wird und in denen Unausgesprochenes ein ganzes Leben lang zwischen Menschen steht und ihnen das Miteinander schwer oder sogar bis zum Ende unmöglich macht. Die Autorin Alina Bronsky veranschaulicht auch, dass das Leben erbarmungslos ist und Gefühle oft von Schuld, Angst und Wut überlagert werden. Manche Dinge werden eigentlich erst wirklich wahr, wenn man sie ausspricht.

Die Großmutter gibt den Kurs an

Und trotzdem bringt “Der Zopf meiner Großmutter” die LeserInnen oft zum Schmunzeln, genau dann, wenn man durchschaut, dass die Beleidigung eigentlich ein falsch formuliertes Kompliment war. Oder dann, wenn man entdeckt, dass jeder eine Leidenschaft hat und diese vermeintliche Schwachstelle der Schlüssel zum Herzen ist. Dreh und Angelpunkt der Geschichte ist und bleibt die Großmutter Margo. Sie bestimmt mit ihren Reaktionen das Schicksal von vielen, reißt alle in den Abgrund oder überschüttet sie mit ihrer schon fast erstickenden Liebe. Dabei folgt sie eisenhart und schonungslos ihren Werten, drängt diese allen auf, ohne Wenn und Aber.

Ein Buch, das nachhallt

“Der Zopf meiner Großmutter” von Alina Bronsky lässt einen nachdenklich zurück, das Ende ist kein happy end. Aber es ist ein Ende, das absehbar war und die Zeit davor, in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Selten war Kälte so herzerwärmend. Die Sympathien zu den einzelnen Personen schwanken, mal kann man sich emotional auf die eine und dann wieder auf die andere Seite schlagen. Letztendlich stehen die Großeltern und auch der lange, “alte” Zopf in diesem Buch für eine Generation, die den Diskurs einerseits behindert hat, aber auch nie gelernt hat, ihn richtig zu führen. Und das macht jedes Buch zu einem besonderen Buch, wenn man sich wirklich damit verbinden kann und die Autorin im Stillen die Fäden zieht.

Seiten: 224
Verlag: KiWi Taschenbuch
ISBN-10: 3462000330
ISBN-13:  978-3462000337
VÖ: 05.11.2020

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