Alina Bronsky – Pi mal Daumen – Review
Der neue Roman „Pi mal Daumen“ der Bestseller-Autorin Alina Bronsky wird unter Komödie eingeordnet. Die Unterhaltsamkeit ist zwar unbestritten und der Roman lässt sich zügig lesen, aber bei genauer Betrachtung, bleibt einem so mancher Lacher doch im Halse stecken. Wir befinden uns an der Seite des hochbegabten Oscar, der nicht infrage stellt, dass er als Minderjähriger mit 16 ein Mathematikstudium aufnehmen darf. Die ältere Kommilitonin Monika Kosinsky irritiert ihn allerdings stark: Was will sie hier in der Uni, denkt sie ernsthaft sie sei dem Stoff gewachsen und hat sie tatsächlich ein Kleinkind mit in die Vorlesung gebracht?
Der unsichtbare Anderssein-Stempel drängt die beiden zwangsweise in eine Gruppe und nach und nach wird klar, dass beide einen Traum verfolgen, wenn auch ausgehend von einer ganz anderen Perspektive auf das Leben und unter ganz anderen Startbedingungen.
Der Zusammenhang zwischen Perspektiven und Persönlichkeitsentwicklung
Schon in den beiden vorherigen Romanen „Barbara stirbt nicht“ und „Der Zopf meiner Großmutter“ verfolgte Alina Bronsky das Motiv des Einzelgängers und versetzte sich in Menschen, die abseits der Masse stattfinden. Mit „Pi mal Daumen“ setzt sie die Klarheit von Mathematik in den Bezug der autistischen Persönlichkeit von Oscar und lässt uns die Geschichte aus seiner Perspektive erleben. Seine Überlegungen sind häufig hart, überheblich und kühl analytisch. Sie formuliert für ihn aber auch berührende Gedanken im Hinblick die Beschreibung seiner Entwicklung, die Tatsache, dass er durch Bevormundung und ein zu stark behütetes Elternhaus gar nicht imstande war, eigene Positionen zu entwickeln. Die Tatsache, dass er sich also oft selbst fremd ist, ist schmerzhaft.
Niemand ist eine Insel
Monika Kosinsky ist der absolute Gegenpol zum ihm, sorgt für die harmonischen und empathischen Momente in „Pi mal Daumen“ und setzt wichtige Impulse bei Oscar und in seinem Umfeld. Nach und nach kommt der ihrem eigentlichen Ziel auf die Spur, kommt im besten Sinne in der Realität an und erfährt, dass er und seine Bedürfnisse weder der Maßstab, noch der Dreh- und Angelpunkt aller Geschehnisse ist. Alina Bronsky behandelt in „Pi mal Daumen“ gleich mehrere Ebenen: Erziehung, Betreuungsarbeit und die Stellung von Frauen in der Familie, Leistungsdruck, Träume und Beharrlichkeit, Autismus und vor allem die Notwendigkeit eines Miteinanders.
Seiten: 267
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462004255
ISBN-13: 978-3462004250
VÖ: 15.08.2024
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