Anne Griffin – Die Bestatterin von Kilcross – Review
Die irische und mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Anne Griffin erzählt in ihrem Roman “Die Bestatterin von Kilcross” eine Geschichte über das Hadern mit Lebensentscheidungen und die schmerzhafte Frage, ob es irgendwann zu spät ist, um manches zu korrigieren. Jeanie Masterson wohnt in dem irischen Städtchen Kilcross, ihre Eltern führen ein Bestattungsunternehmen. Mit ihrem Vater teilt sie eine besondere Begabung, sie kann nach deren Ableben mit den Toten sprechen und so manches klären, das bis dahin unklar oder geheim blieb. Das ist die eine Komponente des Romans, die aber mit dem überwiegend anderen Teil anfangs nicht wirklich zusammenfinden zu scheint. “Die Bestatterin von Kilcross” wird überwiegend von Jeanie Mastersons Liebesleben und Gefühlswelt bestimmt. Wir pendeln zwischen Erinnerung an ihre erste große Liebe Fionn und ihre kriselnde Ehe mit Neill in der Gegenwart.
Ein ganzes Leben lang Tod
Im Gegensatz zu dem sehr stimmungsvollen Artwork von “Die Bestatterin von Kilcross” von Anne Griffin, bleibt die Kleinstadt und das Miteinander ziemlich blass. Gerade Irland und die besonderen Verstrickungen einer Dorfgemeinde bieten sich eigentlich an, um die Leserinnen und Leser in diesen in sich geschlossenen Kosmos, der behütend und beunruhigend zugleich sein, zu entführen. Die Metaphern Sterben, Tod und etwas begraben erklären sich eigentlich erst am Ende des Romans. Bis dahin wartet man auf die mysteriöse Nachricht aus dem Jenseits oder die überraschende Wendung. Die Ansätze, die sich aus den Gesprächen mit den Toten ergeben, werden aber häufig nicht konsequent zu Ende verfolgt und es wird viel Potenzial verschenkt. Nebenfiguren wie Sohn, Mutter und Tante aus der Bestatterfamilie bleiben gesichtslos und erhalten nicht ausreichend oder redundantes Profil.
Erst die Pflicht, dann das Leben
Das Sprechen mit den Toten ist eine nette Idee, zieht aber in “Die Bestatterin von Kilcross” eine etwas zu ambitionierte zweite Ebene ein, die erst am Ende des Romans etwas Sinn ergibt. Nachträglich summiert sich die Verantwortung Nachrichten von Verstorbenen zu empfangen auf das sowieso schon zu stark ausgeprägte Pflichtbewusstsein von Jeanie Masterson, dem sie ihre eigene Freiheit unterordnet.
Während des Lesens wird einem dieser Zusammenhang nicht klar, erst auf den letzten Seiten ergibt die Metapher Sinn. Die Autorin hätte sich ruhig trauen dürfen, sich intensiver der Liebe zu widmen und gerne tiefer in die verschiedenen Ausprägungen von Zuneigung, Vertrautheit und Leidenschaft eintauchen können. Gerade im Finale verheddert sich die Autorin mit hanebüchenen Auflösungen und verscheucht dabei die eigentlich tiefe Tragik, die die mutlose Entscheidung der Protagonistin nach sich zog.
Seiten: 384
Verlag: Kindler Verlag
ISBN-13: 9783463000367
VÖ: 15.11.2022
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