Fraeulein Gold Scheunenkinder Band 2

Anne Stern – Fräulein Gold: Scheunenkinder (Band 2) – Review

Die Berliner Autorin Anne Stern nimmt uns mit “Scheunenkinder”, dem zweiten Band ihrer Reihe um die hellwache Hebamme Hulda Gold, wieder mit ins Berlin der Zwanzigerjahre. Die Ideen scheinen ihr nicht auszugehen, denn sie schickt nicht nur relativ schnell einen ausgereiften Nachfolger zum Debütroman, auch Band 3 wurde schon angekündigt.

Wie im ersten Teil, orientieren sich die Ereignisse an tatsächlichen, historischen Begebenheiten in Deutschland und den Originalschauplätzen in Berlin. Das Scheunenviertel war tatsächlich ein buntes Viertel und weit vor der Prägung dieser Beschreibung, lebten unterschiedliche Kulturen und Außenseiter jeglicher Art auf engstem Raum zusammen.

Harte Zeiten

Auch in “Scheunenkinder” geht Hulda Gold noch ihrer Berufung nach, mit Herz und Leidenschaft betreut sie ihre Schwangeren und verschließt auch nicht die Augen davor, was abseits der Geburten passiert. Sie ist weiterhin in ihrer Beziehung mit dem Kommissar Kurt und beobachtet mit schwerem Herzen, wie es ihrem Verflossenen Felix in seiner Ehe geht. Berlin befindet sich mitten in der Inflation, es geht der Bevölkerung nicht gut. Mit Schubkarren und Reisekoffern voll Geldscheinen ziehen die Menschen los, um für mehrere Millionen einen Laib Brot oder ein klitzekleines Stück Butter zu ergattern. Die Vorräte werden knapp, die Stimmung wird rauer, es geht mehr und mehr um das reine Überleben. Populisten und Schupos haben leichtes Spiel und sind auf der Suche nach Schuldigen.

Gefährliche Ermittlungen im Scheunenviertel

Hulda wird zu einer jüdischen Familie ins Scheunenviertel vermittelt, viele mahnen sie zur Vorsicht vor dem angeblich gefährlichen Viertel. Und tatsächlich verschwindet ein gerade von ihr entbundenes Kind und Hulda nimmt ungebeten die Spur auf. Die Sache an sich ist schon gefährlich, das Scheunenviertel und seine zwielichtigen Bewohner tragen dazu aber nicht unwesentlich bei. Parallel dazu, ist ihr Freund Karl in einen ähnlichen Fall verstrickt. Noch dazu gerät sie immer wieder in unangenehme Situationen mit einem Arzt, der von ihrem Handwerk wenig überzeugt ist und nur darauf wartet, dass sie einen grober Fehler macht.

Es bleibt weiterhin spannend

Die Stimmung in Berlin wird kälter, die Aufstände lauter. Hulda Gold muss sich zwangsläufig mehr mit ihren jüdischen Wurzeln auseinandersetzen, selbst wenn sie den Glauben weder gut kennt, noch intensiv praktiziert. Die Autorin Anne Stern schärft ihr Profil und gibt uns immer mehr Informationen über Huldas Vergangenheit, Gedanken und Träume. “Scheunenkinder” ist also noch düsterer, als der erste Teil. Natürlich auch, da man als LeserInnen weiß, dass die Währungsreform und die damit steigende Stimmung nur von kurzer Dauer waren und dem Volk die härtesten Jahre noch bevor stehen.

Anne Stern ist es gelungen, auch abseits von der Protagonistin viele charmante Nebenfiguren mit interessanten Geschichten einzuführen, sodass es weiterhin spannend bleibt. Und endlich bekommt Hulda eine Vertraute, sie freundet sich mit der Apothekerin an und man kann nur hoffen, dass dieser Anker ihr erhalten bleibt. Was der Zeitungsverkäufer Bert verbirgt, liegt eigentlich auf der Hand. Aber wie geht es mit Hulda und Kurt weiter und was wird aus dem Cafébesitzer Felix, dem ehemaligen Freund der Hebamme, der durch seine Ehefrau immer strammer national geprägt wird? Es ist abzusehen, dass sich die Wege aller sehr bald trennen werden und es wird interessant zu sehen, wer sich wie viel Menschlichkeit bewahrt und wen welches Schicksal ereilt.

Seiten: 448
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3499004291
ISBN-13: 978-3499004292
VÖ: 13.10.2020

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