Lest die Review zu "Fossara" von BJÖRK bei krachfink.de

Björk – Fossara – Review

Kunst ist unter Umständen anstrengend, dementsprechend ist “Fossora” von BJÖRK auch mal wieder kein Spaziergang und fließt nicht so leicht und malerisch dahin, wie die titelgebenden Wasserfälle. Schon den Opener “Atopos” sollte man dringend mit Video genießen, um in die richtige Stimmung zu kommen. Ein Manifest für Andersartigkeit und ein nach vorne drängelnder Takt, der alle fest gebackenen Strukturen zerschlägt und neu zusammensetzt.

Die zahlreichen Schichten zu entblättern, würde den Zauber zerstören. Aber man merkt deutlich, dass BJÖRK weiterhin jegliche Eindimensionalität fernliegt. Und glücklicherweise ist sie auch weit davon entfernt, sich selbst zu zitieren, ihre Einzigartigkeit ist unbestritten.

Hope is a muscle

Man kann nicht behaupten, dass “Fossora” ein leichtes Werk sei oder BJÖRK eine zugängliche Künstlerin. Es gab Zeiten, in denen das anders war und die Isländerin eine Menge Airplay auf MTVViva hatte. Wahrscheinlich ist die Schnittmenge der Menschen, die beide Seiten der Künstlerin lieben, eher klein. Während BJÖRK in den Strophen eher über ein überschaubares Repertoire verfügt, erschafft sie erstaunlich leicht verständliche Slogans und refrainähnliche Höhepunkte, die Gänsehaut erzeugen. Die Musik und sie scheinen im Falle von “Fossora” meistens keine Freunde zu sein. Statt gleich zu takten, stoßen sie einander mit größter Freude ab.

Irritierend, im besten Sinne

Und statt ruhig zu kalibrieren, bringen die Polyrhythmen unseren Herzschlag durcheinander. Meistens sind es die Bläser, die sich an BJÖRK anschmiegen, diesen Trick verfolgt sie auch schon einige Jahre. Ähnlich wie bei LITURGY oder IMPERIAL TRIUMPHANT, werden die ins Bodenlose fallenden Klänge, die scheinbar ohne Halt im Raum hängen und dann ins Nichts stürzen, bei den meisten eher Irritation auslösen. Doch BJÖRK hält immer ein gewisses Niveau und provoziert keine nutzlos verstörende Kunst im Sinne von Theaterstücken, bei denen in Handtaschen gekotet wird. Dabei ist sie schroff und anmutig zugleich, wie die Natur ihrer Heimat. Ihr Texte sind auch nicht durchweg kryptisch, BJÖRK wird häufig erschreckend unmissverständlich, hat einen klaren Blick auf den Zustand der Natur und die Zusammenhänge.

When you die

Wer behauptet, alles auf “Fossora” zu verstehen, lügt. Selbst BJÖRK weiß mit Sicherheit über viele Kompositionen nicht mehr, als dass sie schlichtweg aus ihr herausgekommen sind. Inhaltlich ist doch eine thematische Tendenz auszumachen. Es geht um Emotionen, die uns vereinen, über Ländergrenzen und Umstände hinaus. Und um die schnöde Tatsache, dass wir uns vereinen können und Hoffnung uns weiter trägt, als wir denken (“Sorrowful Soil”).

Ihre Sicht der Dinge

“Ancestress” ist einer der Songs, bei denen BJÖRK mit allen anderen Beteiligten und Instrumenten zu einem Meisterwerk verschmilzt. Harmonien, die trotzdem nicht gefällig sind und von einer ansteckenden Traurigkeit geprägt. Dass BJÖRK auch noch mit mittlerweile 56 wie ein argloses, junges Mädchen singen kann, sagt viel über sie aus. In meinen Ohren ist das ein nachhaltiges Highlight mit Tiefgang, der mich wirklich berührt.

Für das Formatradio aber natürlich komplett ungeeignet und unter Businessaspekten betrachtet ein kompletter Reinfall. Doch die Liste der beteiligten Musikerinnen und Musiker ist ellenlang. Wer Kunst liebt, leckt sich nach dem Freigeist von BJÖRK alle zehn Finger und möchte von ihr lernen. Klarinetten, Streicher, Flöten, Posaunen, unterschiedliche Gesänge, Chöre, diverse Saiteninstrumente… hier wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, um die bestmögliche Opulenz zu erzeugen. 

Fairer Ausgleich

Eigentlich ist “Fossora” nur ein fairer Ausgleich. BJÖRK sorgt mit ihrer Kunst für Unverständnis und bereitet uns Unbehagen, aber auch Momente, in denen dann alles einfach großartig scheint. Mit Sicherheit sind das genau die starken Reaktionen und Widersprüche, die sie täglich aushält, wenn sie und dabei zuschaut, wie wir unseren Alltagsshit abspulen. Für uns sind solche Platten also die Gelegenheit, mal auf der anderen Seite zu stehen und etwas Neues zu erfahren.

Dauer: 45:57
Label: One Little Independent 
VÖ: 30.09.2022

Tracklist “Fossora” von BJÖRK
Atopos 
Ovule 
Mycelia 
Sorrowful Soil 
Ancestress 
Fagurt Er i Fjordum 
Victimhood 
Allow 
Fungal City 
Trolla Gabba 
Freefall 
Fossora 
Her Mothers House 

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