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Dÿse – Widergeburt – Review

Wenn das neue Album “Widergeburt” von der Berliner Band DŸSE mit Volldampf über die Kopfhörer in meine Ohren donnert, muss ich immer wieder fragend den Kopf schütteln: Was ist los mit denen, wie können zwei Kerle so einen abartigen Alarm machen? Extrem rhythmusbetont drücken uns die zwei an die, daheim nicht vorhandene, Clubwand.

Man kann sie einfach nicht ignorieren, will man aber auch nicht. Und während Fragmente von Texten wie “Der Haifisch, die Zähne” aus dem Kontext gerissen, verwirrend und eventuell auch unnötig kryptisch wirken, weiß man beim fertigen Song immer sofort, worauf DŸSE hinauswollen. Vollkommen losgelöst von irgendwelchen Konventionen transferiert das Duo Emotionen und Ideen in Töne. Und obwohl das teilweise abseits jeder still vereinbarten Norm passiert, erscheint in der eigenen kleinen Welt von “Widergeburt” alles komplett schlüssig.

Dÿse 2021, Foto von Norman Konrad

Fick dich, alles ist meins

Ganz abgesehen von den Livequalitäten von DŸSE, ist die Produktion von “Widergeburt” sehr gelungen. Man kann richtiggehend fühlen, wie die beiden ihre komplette Körperkraft auf die Instrumente übertragen und wird sofort davon angesteckt. Sänger und Schlagzeuger Jarii van Gohl und Sänger und Gitarrist Andrej Dietrich haben da ein besonderes Ding am Laufen, das man als Außenstehende*r wahrscheinlich erst in ein paar Jahren richtig verstehen kann. Selbst wenn sich die beiden einer konkreten Genrebezeichnung verwehren und man auch nicht so richtig zuordnen kann, welcher Splitter jetzt wozu gehört, dann sind doch Noise, Rock, Punk und eigentlich auch Pop die Eckpfeiler. Pop insofern, dass die mächtigen Batzen, die DŸSE Songs nennen, verdammt eingängig sind.

Ein Monster wohnt in meinem Kopf

Die nicht vakante Bass-Position haben DŸSE für “Widergeburt” prominent besetzen lassen. Mit den Saitenverantwortlichen von BEATSTEAKS, DEICHKIND, KRAFTKLUB, VIZEDIKTATOR, HEAVEN SHALL BURN und RAMMSTEIN sind erfahren Profis der dicken Saiten an Bord, aber für “Alles meins” wurde Farin Urlaub, sonst Gitarrist, Sänger und Zähne bei DIE ÄRZTE, am Bass und zu Gesang verpflichtet. Dass es über lange Strecken auch a cappella funktioniert, zeigt die Band in meinem Hit der Platte “Hudabb”. Pure Gänsehaut, ohne dass jemand anfangs auch nur einen Finger an ein Instrument legt.

Die dadurch gelegte Spannung entlädt sich dann umso intensiver, wenn sich Gitarre und Drums dazu gesellen und diese dann wieder auf laut übertragen. Und den größten Hirnspagat macht die Band wahrscheinlich mit dem Text zu “8990”, einer smarten Abhandlung über die Tatsache, dass Zustände ignoriert und klein geredet werden, die ganz offensichtlich und für alle gut sichtbar existieren. Um diese zu vertuschen werden zahlreiche, unnötige Nebenschauplätze errichtet, kein Wunder, dass DŸSE nach Anarchie und “destruktiver Energie” verlangen.

Pure Essenz von allem

Korruption, die Macht von Social Media, Neid, Gier, Ursache und Wirkung, Kapitalismus… es finden sich so viele Themen in “Widergeburt”, manches offensichtlich und manches unterschwellig. Selbst bei der Sprache sind DŸSE um den richtigen Ton bemüht. Sie wechseln zwischen englisch und deutsch, gerne auch in einem Song und in der Vergangenheit auch französisch. Einfach, weil der Klang der Wörter enorm entscheiden für die Ausrichtung des Songs ist. Mit dieser Reduktion auf das Wesentliche, der Darbietung absoluter Essenz in jeglicher Hinsicht, sind DŸSE ihrer Zeit einen Schritt voraus.

Meine Prognose ist, dass gute Musik in einigen Jahrzehnten genauso abgenagt am besten ankommt. Wenn ihr DŸSE also noch nicht rafft, dann schätze ich, ihr seid noch nicht so weit, aber eure Kinder fahren da voll drauf ab.

Dauer: 43:57
Label: Cargo Records / Cargo
VÖ: 17.09.2021

Tracklist “Widergeburt” von DŸSE
Laicos Neidem
Der Haifisch die Zähne
Höllenjunge
Kuttenwurz
Alles ist meins
Prärieauster
Hudabb
Ameisenhandschuh
8990
Ich allein gegen Euch alle

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