Friedrich Christian Delius – Die Birnen von Ribbeck – Review
In seiner Erzählung „Die Birnen von Ribbeck“ widmet sich der Schriftsteller Friedrich Christian Delius dem kleinen Dorf in Brandenburg. Schon Theodor Fontante verfasste 1889 eine Ballade namens „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, welches den Ort berühmt machte. Seine Erzählung vom gütigen Feudalherren, der Obst an Kinder verschenkte, führte zum Birnbaum als reales Wahrzeichen und Anknüpfungspunkt für die Vermarktung der Geschichte.
Genau 100 Jahre später, also kurz nach der Öffnung der Mauer, wurde nun Friedrich Christian Delius durch eine Begegnung mit dem Bauer Manfred Klawitter zu seiner Erzählung inspiriert. Mit diesem redseligen Ribbecker kam er ins Gespräch, welches sich schnell zu einem hitzigen und leidenschaftlich aufgeladenen Monolog wandelte. Vollkommen unsortiert, subjektiv, emotional aufgeladen und ungeschönt. Delius kam auf die Idee, diese Art der Chronologie als Grundlage für seine Erzählung über den Ort, den Krieg, die Wende und den berühmten Birnbaum aus der Perspektive eines Augenzeugen zu verfassen.
Über morgen, gestern und vorgestern
Man gewöhnt sich schnell an den Schreibstil und an die vermeintlich unstrukturierte Erzählweise ohne Punkt und Komma. Friedrich Christian Delius sprach während seiner Recherchen zu „Die Birnen von Ribbeck“ nicht nur mit Manfred Klawitter, sondern auch mit viele anderen Bewohnern. Unter anderem fällt der kluge und gleichzeitig enttäuschte Satz: „Die Einheit muss her, weil alles keinen Zweck hat.“ Genau dieses Gefühl, das nicht wirklich als Zustimmung und nicht eindeutig als Abneigung ausgelegt werden kann, aber auch keinen eindeutigen Optimismus ausstrahlt, bestimmt die komplette Erzählung.
Überschriften statt Inhalte
„Die Birnen von Ribbeck“ startet mit einem Volksfest, die Festrede hält allerdings ein Bauer und keiner der feinen Herren, die bewaffnet mit Bierfässern dem Ruf des Profits folgen und sich sonst nicht in das Dorf verirren. Der Bauer erzählt in seiner Tonalität, in seiner Geschwindigkeit und auch mit einem zwangsweise einseitigen Blick nach hinten. Es ist nicht immer einfach dem Text zu folgen, da dieser eben zwischen gestern, vorgestern und heute springt. Allerdings kann man intensiv spüren, was passiert, wenn Menschen nicht wirklich miteinander reden. Welche interessanten Geschichten und aufklärende Zusammenhänge alle entgehen, wenn man sich selbst überhöht. Wenn man meint, zu schnell zu verstehen und eigentlich zu wenig oder nur oberflächlich zuhört.
Verwaltung der Vergangenheit
Auch der Herr Ribbeck von Ribbeck kommt in „Die Birnen von Ribbeck“ deutlich schlechter weg, als in Fontanes Aufzeichnungen. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass man Delius Buch in keinem der örtlichen Souvenirshops in Ribbeck kaufen kann. Das ehemalige Schloss in Ribbeck wurde mittlerweile zum Altenpflegeheim, herrschender Prunk weicht dem letzten Lebensabschnitt. Von der Zukunft scheint Ribbeck auf lange Sicht ausgeklammert zu sein. „Die Birnen von Ribbeck“ von Friedrich Christian Delius dokumentiert die Historienverwaltung, die gleichzeitig Fluch und Segen für alle Beteiligten ist. Es lohnt sich, das Buch nicht zu schnell zu verschlingen und einzelne Abschnitte nachhallen zu lassen. Richtig vervollständigt wird dieses Ausgabe erst durch das Nachwort des Autors selbst.
Seiten: 112
Verlag: Rowohlt Verlag
ISBN-10: 3737100772
ISBN-13: 978-3737100779
VÖ: 20.09.2019
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