Nullerjahre Hendrik Bolz Artwork

Hendrik Bolz – Nullerjahre – Review

Mit “Nullerjahre” legt der Autor, Podcaster und Rapper Hendrik Bolz, auch bekannt als Testo, nun seinen ersten Roman vor. Er nimmt uns mit in seine Jugend, damals im Osten in Stralsund. Eine Zeit voller Gewalt und im Dauerrausch stattfindend. Der erste Song, der mich von seiner Band ZUGEZOGEN MASKULIN richtig gepackt hat, war “Plattenbau O.S.T.” und müsste man das Buch mit einem Song beschreiben, dann wäre er passend. Und selbst die Textzeile “Fenster, die mal Hakenkreuze waren” ergibt jetzt Sinn.

Einiges von der beschriebene Atmosphäre im Buch, kennt man aus seiner eigenen Jugend. Die Planlosigkeit und das Gefühl fehl am Platz zu sein. Aber die “Nullerjahre” im Osten waren doch von ganz anderen Problemen geprägt und wurden vom Rest Deutschlands größtenteils ignoriert.

Ständig unter Strom

“Nullerjahre” ist kein leicht zu lesendes Buch. Das liegt zum einen am, komplett so beabsichtigen, Schreibstil von Hendrik Bolz und natürlich auch am Inhalt selbst. Keine Heldenreise, keine zarten Teenieliebesgeschichten und auch kein typischer Coming-out-of-Age-Roman. Und ob der Einsatz von Großbuchstaben JETZT WIRKLICH JEDES MAL ABSOLUT NOTWENDIG WAR, darüber lässt sich auch STREITEN. Genau das lässt aber auch uns Leserinnen und Leser diesen speziellen Stress spüren und baut das Gefühl auf, dass uns jemand bedrängt. Alles wirkt irgendwie eine Spur zu laut, zu aggressiv und automatisch ignoriert man die Details.

Wer schwach ist, verliert

Abgesehen von seinen, teilweise lückenhaften und sehr instinktiv erfassten, Erinnerungen, flankiert Hendrik Bolz die “Nullerjahre” mit echten Nachrichten und Popkultur. Vieles davon erscheint rückblickend absurd. Das ständige Ignorieren und insgeheime Fördern von rechten Strukturen genauso, wie die vermeintliche Sozialpolitik von Schröder und das plumpe Fernsehprogramm. Dort im Flimmerkasten wurden die Stereotypen richtig gründlich ausgearbeitet. Auf der einen Seite der angeblich doofe und arbeitsfaule Ostdeutsche, im ständigen Clinch mit dem angeblich ebenso doofen und arbeitsfaulen Ausländer.

Die grenzwertigen Deutschrap-Texte, die Bolz häufig als Zitate einfließen lässt, passen in diese eiskalte und provokante Umgebung. Statt Aufbau gibt es Abbau und die Jugendlichen im Osten machen die Erfahrung, dass man als laut prolliger Schläger mit rechtem Gedankenschlag eigentlich am besten durchkommt. Wer gute Noten hat, kriegt aufs Maul und wer selbst keine fangen will, sucht sich vorher schnell eine schwächere Person, um stärker zu wirken.

Weggeballert zwischen den Blöcken

Eigentlich finden sich auf “Nullerjahre” größtenteils zusammenhangslose Episoden, der Schleier wird immer dichter, es geht stetig bergab. Die Rückblicksnacks sind nicht wirklich bereichernd. Wer sowas nicht erlebt hat, wird damit überfordert sein. Und irgendwie fehlt auch häufig der Kontext, den muss man sich dann selbst erarbeiten. Bolz sagt nur, wie es war. Die weitere Auseinandersetzung bleibt jedem selbst überlassen.

Auf den letzten Seiten von “Nullerjahre” blickt Hendrik Bolz zurück, auf eine Zeit, die ihm jetzt wie ein böses Märchen vorkommt. Wie genau es ihm nach seinem Umzug nach Berlin vor mittlerweile 13 Jahren ging, erzählt er leider nicht. Dementsprechend fehlt uns die Auflösung, was ihn verändert haben könnte.

Wem hilft das, was bringt das?

Am Ende bleibt trotzdem irgendwie die Frage, was bringt das jetzt und wem? Es ist keine schöne Zeit, die Hendrik Bolz mit “Nullerjahre” eingefangen hat. Aber es ist wichtig, dass er sie aufgeschrieben hat. Und es ist eine Erklärung dafür, dass viele Teile Deutschlands unerreichbar zu sein scheinen und die Weichen für so manche gesellschaftlichen Probleme schon vor mehreren Jahrzehnten gestellt wurden.

Seiten: 336
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
ISBN-10: 3462000942
ISBN-13: 978-3462000948
VÖ: 10.02.2022

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