Interview mit Anne Stern zu „Nacht über der Havel“
krachfink.de traf sich erneut mit der Berliner Autorin Anne Stern zum Interview. Mit ihrer Hulda-Gold-Reihe hat sie ein beeindruckendes Panorama der Weimarer Republik und ihrer gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbrüche erschaffen. Die Reihe, die mittlerweile sieben Bände umfasst und beim Rowohlt Verlag erscheint, erzählt die Geschichte der Hebamme Hulda Gold, die nicht nur mit den Herausforderungen der 1920er- und 1930er-Jahre konfrontiert wird, sondern auch immer wieder in einen spannenden Kriminalfall verwickelt ist. In ihren Romanen beleuchtet Anne Stern die gesellschaftliche Rolle der Frau, die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, die Entwicklung des Nationalsozialismus und die popkulturellen Strömungen jener Zeit.
Im lebendigen Gespräch erzählt Anne Stern, worauf sie bei ihren Erzählungen besonders Wert legt, wie und warum sie ihre akribische Recherche betreibt und wie sie sich als Autorin weiterentwickelt hat. Zudem erfahren wir von ihr, warum es wohl niemals Hulda-Gold-Führungen durch Berlin geben wird, zumindest nicht von ihr.
Unser letztes Interview liegt satte drei Jahre zurück. Was hat sich denn im Hinblick auf dein Leben als Autorin für dich verändert?
Eigentlich gar nicht so viel. Ich bin vielleicht ein bisschen mehr natürlich in dieser Welt angekommen, Schriftstellerin zu sein. Es fühlt sich jetzt noch sicherer an oder noch etablierter. Aber es hat eigentlich gar nicht so wahnsinnig viel mit meiner Schriftstellerei oder mit der Tätigkeit an sich zu tun. Eigentlich auch gar nicht so mit den Erfolgen – die ja da sind und die sehr schön sind und die ich auch genieße – aber die letztendlich mein Schreiben oder mein Sein als Schriftstellerin gar nicht so sehr ändern. Meine private Situation hat sich ein bisschen geändert, weil die Kinder jetzt eben größer werden und ich mehr Freiräume habe und mir auch mehr Freiräume noch geschaffen habe, indem ich zum Beispiel jetzt ein Büro habe, in dem ich wirklich jeden Tag arbeite.
Also ich habe mich vielleicht noch mehr professionalisiert, kann man sagen. Und die zweite große Änderung war, dass ich in den letzten zwei Jahren sehr, sehr viel mehr auf Lesereisen gegangen bin als vorher. Das war ja auch vorher gar nicht möglich. Als wir das letzte Mal gesprochen haben, war ja noch eigentlich Corona das Thema. In den Anfängen meiner Schriftstellerinnen-Karriere habe ich ja gar nicht gelesen. Und jetzt war ich sehr viel unterwegs in ganz Deutschland und habe unglaublich viele Lesungen gemacht. Das hat natürlich mein Leben schon verändert.
Hat das Einfluss auf deine Schreibe, dass du jetzt direkten Kontakt zu den Leuten haben kannst, die deine Bücher lesen?
Also das ist schon natürlich beflügelnd, dass man sieht, wo die Texte, die man schreibt, oder diese fantastischen Welten, die man sich ausdenkt, eben wirklich ankommen. Und dass Leute überall in Deutschland oder sogar auch in Europa, also auch in anderen Sprachen inzwischen, in dieser Welt sozusagen auch mit mir ein Stück leben. Und es sind teilweise ja auch wirklich sehr, sehr emotionale, persönliche Rückmeldungen, die man dann von den Leuten bekommt. So etwas wie: „Ich habe fünf Jahre lang gar nicht lesen können, bis ich deine Bücher für mich entdeckt habe. Und seitdem lese ich wieder.“
Oder sehr viele, die sich eben auch mit Fräulein Gold als Figur identifizieren und wirklich so eine Art Freundschaftsgefühle für diese Figur haben. Das ist natürlich schon sehr unmittelbar, wenn man das so erfährt. Andererseits habe ich das aber eigentlich auch schon immer gehabt, weil ich ja als Self-Publisherin ganz anders meine Leserinnen-Kontakte gepflegt habe. Das musste man ja eben, da hatte ich einfach sehr, sehr viel schriftlichen Kontakt, sehr viele Mails, sehr viele Nachrichten, die ich bekommen habe, auch schon bevor ich überhaupt beim Verlag war.
Die Übersetzung in unterschiedliche Sprachen ist auf jeden Fall ein großer Erfolg, aber natürlich auch die wiederholte Spiegel-Bestseller-Platzierung. Dieser Button auf dem Buch hat auch auf erfahrene Leserinnen und Leser noch eine magische Wirkung. Was bedeutet dir das denn?
Es bedeutet mir schon viel. Es ist natürlich nicht alles. Also Erfolg ist ja so ein Begriff, der irgendwie, weiß ich nicht, manchmal so eigentlich total leer ist und dann wieder sind da ja ganz viele Komponenten in diesem Wort drin. Und man definiert dieses Wort letztendlich für sich auch immer mal wieder anders. Das verändert sich vielleicht auch, aber die Platzierung auf der Spiegel-Bestseller-Liste ist natürlich auf dem deutschen Buchmarkt einfach ein wichtiger Marker, der mir auch Rückmeldung darüber gibt, dass eben auch viele Leute auf meine Bücher warten. Um auf diese Liste direkt zu kommen in der ersten Verkaufswoche, was ich ja jetzt wieder mit dem siebten Band von Fräulein Gold geschafft habe, dafür muss man zum Beispiel auch unheimlich viele Vorbestellungen haben.
Das macht mich halt total stolz, weil ich weiß, da sitzen Leute ein Jahr lang und warten eben auf diese Fortsetzung und bestellen dann schon Wochen, Monate vorher in ihrer Buchhandlung diese Bücher vor. Das hat natürlich auch finanzielle Aspekte. Es bedeutet einfach eine hohe Verkaufszahl, aber es bedeutet auch eine unheimliche Bindung meiner Leserin an mich als Autorin. Und beides macht mich irgendwie gleichermaßen froh.
Bei dir haben sie ja nicht nur ein Jahr gewartet, was ja verhältnismäßig kurz ist – wenn sie Glück haben, haben sie zwischendrin noch zwei andere Bücher von dir lesen können. Was mich zur nächsten Frage überleitet: Du hast es vorhin angedeutet, dass die Kinder natürlich älter werden und du dir auch mehr Freiräume schaffen kannst. Ich frage mich nämlich immer, wie genau gehst du vor bei deiner sehr intensiven Recherche und wie viel Zeit investierst du denn da rein, abseits des Schreibens? Das muss ja wahnsinnig viel sein.
Es ist schon wahnsinnig viel, ja. Es ist so, dass ich ganz schlecht mit Zahlen bin und ich merke mir auch immer nicht so viel. Also ich weiß immer gar nicht, was habe ich letzte Woche eigentlich noch gemacht. Deswegen kann ich jetzt also keine Statistik darüber abliefern, wie viel Prozent an Zeit jetzt in welchen Bereich des Schreibens oder Recherchierens bei mir geht. Vor allem ist es bei mir schon immer so gewesen, es geht komplett Hand in Hand. Ich bin jemand, die immer sehr schnell losschreiben muss. Also ich habe eine Idee und dann habe ich so ein Gefühl für meine Story und für meine Figuren und dann muss ich eigentlich sofort losschreiben, um diese Figuren überhaupt kennenzulernen.
Es gibt auch ganz andere Arten, Romane zu schreiben. Jeder Autor, jede Autorin hat da ihren eigenen Weg, aber ich bin sehr ungeduldig und ich kann die Geschichte und die Figuren erst vor mir sehen, wenn ich sie schreibe. Und deswegen bin ich auch niemand, der jetzt erst mal sagt, ich recherchiere jetzt erst mal drei Monate in meinem Archiv und dann kann ich erst die Story aus der Taufe heben.