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Interview mit Bittter über das Album “Sad Songs For Happy People”

“Payable Til Death”, eine Absage Richtung Kapitalismus und auch den Reihenhaustraum, schon gar nicht auf dem Rücken anderer. Aber auch eine Ode an die Kraft jedes und jeder Einzelnen. Erzählt bitte, was genau euch zu dem Text inspiriert hat und eine Sache, die beispielsweise jede oder jeder tun kann, um diesen Kreislauf höher-schneller-weiter zu durchbrechen?

Pedi: “Payable Till Death” war die erste Auskopplung des Albums und der letzte Song, der textlich finalisiert wurde. Ich habe ihn am Mikrofon fertig geschrieben und eingesungen. Ich erzähle hier unter anderem von der Schönheit dieser Welt, die mich umgibt, zu der viele Menschen jedoch keinen Zugang haben. Auf dieses Bild kam ich während der Albumaufnahmen auf dem Weg zum Studio. Ich fuhr jeden Morgen eine gute halbe Stunde mit dem Fahrrad, genoss dabei die Sonne und musste darüber nachdenken, wie schön es auf diesem Planeten auch sein kann und was für ein Privileg es ist, diese Schönheit genießen zu können, bzw. wie grässlich es ist, dass viele Menschen dieses Privileg eben nicht haben. Die “Schönheit der Welt” ist dabei natürlich auch ein Synonym und steht für unterschiedlichste Dinge, Ressourcen und so weiter.

Das Thema des Songs ist allgegenwärtig: Eigentlich ist genug für alle da. Es scheitert jedoch an der Verteilung. Und das nicht durch Zufall, sondern aufgrund von Profitinteressen oder wie Torben so treffend singt: “Wie auch alle Wesen gleich sein sollten und nicht können, weil zu viele Wichser das nicht wollen” (RANTANPLAN, “Höroin”). Das ist in beiden Songs natürlich allgemein gesprochen, weil es aber auch viele, wenn nicht die meisten oder alle Bereiche des Lebens betrifft.

Mir ist dabei klar, dass ich selbst in diesem kapitalistischen System lebe, ja sogar von ihm profitiere. Ich glaube aber schon, dass mich einiges von beispielsweise dem CEO eines Unternehmens, welches Trinkwasser privatisieren will, unterscheidet. Außerdem bedeutet der bloße Umstand, dass ich selbst in dieser Welt existiere, ja nicht, dass ich sie nicht verändern möchte. Und so sehr mich die Lage auch manchmal betäubt und (ver)zweifeln lässt. So schön und wichtig finde ich es, mich immer wieder auch auf positive Aspekte zu besinnen, wie Solidarität unter Menschen und die Kraft, die in einem gemeinsamen Kampf gegen bestehende Verhältnisse liegt.

In “Tech Talk” nehmt ihr euch etwas selbst auf die Schippe, aber welche Rolle spielen Technik und beispielsweise Effekte bei euch und wer ist der Techniknerd in der Band, wie äußert sich das?

Pedi: Ein vergleichender Blick auf die Pedalboards unseres Gitarristen und unseres Bassisten offenbart eine schreiende Schieflage: Während Jani seine Gitarre per Fußdruck lauter und leiser machen und stimmen kann, besteht Johannes Effektbatterie aus 17 Distortions, zwölf Delays, acht Multieffektgeräten, drei Vocodern, zwei Stimmgeräten, einem Lageplan, ‘nem Wasserkocher und ‘ner Mikrowelle. Ich befürchte jedoch, er schleift das Basssignal gar nicht durch die ganzen Dinger, sondern will nur möglichst viel Platz auf der Bühne ergattern. Spaß etwas zur Seite: Johannes ist unser Tontechnik-Nerd.

Er hat auch unser Album zu großen Teilen recordet und den Mitschnitt unserer Lurup Session aufgenommen und gemixt. “Guter Mann!”, würde Bernd Stromberg sagen. Bei “Tech Talk” ist jedoch unser Gitarren-Nerd Jani zu hören, der mir im Proberaum erklärt, wie er ohne ein Tremolo einen Tremolo-Effekt hinbekommt, glaube ich. Ich habe eigentlich nur ein paar Rückkopplungen mit ‘nem Zoom aufnehmen wollen, um daraus ‘nen Interlude-Track fürs Album zu bauen. Janis Geplauder war mit auf der Aufnahme und ich fand‘s irgendwie gut.

Hatte dann im Audio-Projekt begonnen ein Gitarren-Umgreifgeräusch von ihm zu loopen und daraus wurde nach und nach “Tech Talk”. Ich musste währenddessen manchmal an MOGWAIs “Punkrock” denken, obwohl Jani natürlich nicht IGGY POP ist und die Sprache in unserem Track eher als Atmo-Instrument, dessen Worte gar nicht zwingend verständlich sein sollen, gedacht ist.

“Shower Days” – bei dem Titel denke ich sofort an NOFX – da geht es im übertragenen Sinne darum, dass man aus seiner Haut, dem inneren Zustand nicht fliehen kann, oder? Was hat euch zu dem Text inspiriert?

Pedi: Ich denke bei dem Titelnamen ebenfalls oft an den NOFX-Song, auch wenn diese inhaltlich natürlich nichts miteinander zu tun haben. Fat Mike singt am Ende: “I hate them!”, also die Shower Days. Ich stehe hingehen eigentlich gern unter der Dusche, wo mir auch die Idee zu dem Song kam. An vielen Tagen drängen sich mir schon beim Aufwachen destruktive Gedanken auf oder ich grübele und kann mich schwer davon lösen. Manchmal bilde ich mir unter der Dusche ein, das Rauschen des Wassers würde die Streitgespräche im eigenen Kopf übertönen. Ich gucke dabei oft auf meine Füße und sehe das Wasser den Abfluss hinunterlaufen.

Da habe ich mir dann mal gewünscht, das Duschwasser würde den mentalen Giftmüll aus meinem Kopf spülen. Das erinnert mich jetzt gerade eher an einen anderen NOFX-Song! “I need a brainwash, grey matter bath, I need the clutter all thrown in the trash (…)” aus dem Song “Bath Of Least Resistance” (lacht).

Hardcore und soziales Engagement gehen Hand in Hand, ist es euch wichtig, mit eurer Musik auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen und soziale Teilhabe anzuregen? Zum Beispiel durch entsprechende Infostände bei Konzerten oder die genaue Auswahl der Clubs, in denen ihr spielt?

Pedi: Ja, das sehe ich auch so! Für mich geht das Hand in Hand. Ich finde es immer toll zu sehen, wie groß die Solidarität in der Punk-Hardcore Ecke ist. Verschiedenste Menschen, Vereine, Organisationen, die anpacken, helfen und versuchen die Dinge zum Besseren ändern. Wenn ich Songtexte schreibe, kommen automatisch meist gesellschaftspolitische Themen oder Erzählungen aus den Unweiten der menschlichen Psyche aus mir raus. Neben Songtexten sind Informationen auf den Konzerten auf jeden Fall auch ein gutes Mittel, um bestimmte Themen weitergehend zu behandeln. Ich freue mich, dass wir auf unseren Shows zum Beispiel mit “Kein Bock auf Nazis” zusammenarbeiten werden.

Aber leider gehen auch Violentdancing und eine männerdominierte Szene mit Hardcore Hand in Hand, auch ihr seid vier Dudes. Wo seht ihr da Einflussmöglichkeiten für euch, um die Szene offener zu gestalten?

Pedi: N’ patriarchaler Rotzfaden zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Wahrzunehmen und anzunehmen, dass es nicht nur vor der eigenen Haustür, sondern auch in der eigenen Bude dieses Problem gibt, ist ein total wichtiger und grundlegender Schritt, denke ich. Neben eigenen Beobachtungen sind hier gerade Gespräche mit Nicht-Cis-Männern aus der Szene sehr bereichernd. Wie erleben meine Mitmenschen einen typischen Konzertabend? Damit meine ich nicht nur die Bandmitglierder und die, die das Konzert besuchen, sondern auch Menschen, die zum Beispiel im Bereich Tontechnik arbeiten.

Der next Step ist dann wohl aktiv zu gucken, was wir für eine offenere Szene tun können. Ich denke, es fängt schon bei Sprache an. Für mich braucht ‘n Song keine “Eier”. Fänd’ ich sogar ziemlich unästhetisch. Einer der mir wichtigsten Texte auf unserem Album ist der zu “Toxic”. Er ist für mich ebenfalls ein wichtiges kleines Puzzleteil: Eindeutig zu sagen, dass ich keinen Bock auf Mackergehabe habe. Nicht im Alltag. Nicht auf Konzerten.

In meinem Job als Tätowierer habe ich gemeinsam mit Pinkstinks e.V. eine schöne Aktion durchgezogen, bzw. tue dies bis heute. Übrigens ein total toller Verein! Check them out! Neben vielen anderen Dingen produzieren sie auch Videos, in denen beispielsweise Geschlechterrollen auf die Schippe genommen werden. Ich habe im Zuge dieses Interviews Ariane, die Geschäftsführerin, kontaktiert, und angeregt, ob wir nicht vielleicht mal eine Art Pinkstinks-Musik-Special zusammen machen wollen, in dem es um offenkundige und unterschwellige Rollenzuschreibungen im Bereich Live-Musik geht. Manchmal entstehen ja gute Sachen aus solchen Impulsen oder Ideen… Aktiv eine bunte und offene Szene leben und für diese eintreten, kann ganz unterschiedlich aussehen und ist wichtig wie schön!

Apropos live, Musik und ganz besonders Hardcore muss live. Jetzt ist das euer Debüt, habt ihr davor schon live gespielt und was wird hoffentlich euer erstes oder nächstes Livekonzert als BITTTER sein?

Jani: Unser erster Gig sollte am 3. Dezember 2020 stattfinden und musste aus uns allen bekannten Gründen gecancelt werden. Wir haben uns dann erst einmal auf das Release des Albums konzentriert und denken jetzt wieder mit Wasser im Mund daran, live zu zocken. Wir sind dabei, Termine zu booken. Machen aber jedoch selbst. Anfragen trudeln aber ein und wir freuen uns auf einen Sommer mit lauter Gitarrenmusik.

Pedi: Ich freue mich jetzt schon sehr, dass wir beim 20-jährigen Rock & Wrestling-Jubiläum Ende Juli im Hafenklang spielen werden. Seit zehn Jahren haue ich mir da mit anderen Wrestlerinnen und Wrestlern die Rübe ein und darf nun auch mal für die musikalische Untermalung des Abends mitverantwortlich sein. Yes!!

Letzte Frage: Welche Newcomerband außer BITTTER sollte man mal anstesten und warum?

Pedi: Sparclub (Insta: @sparclubkrach) haben gerade ihr Debut aufgenommen, das hoffentlich Anfang kommenden Jahres erscheint. “Arbeitsamt – weil ich es kann!”, “Ich rette Käfer!”, “PMS, ich habe PMS!” sind drei Textauszüge aus einer Platte voller Hits. Ich bin Fan.

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