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Interview mit Daniel von Leitkegel zum Album “Wir sind für dich da”

Worauf ihr anspielt ist aber, dass es tatsächlich eine gewisse Formel gibt. Eine Art, sich sprachlich auszudrücken und einen Topf voll Themen, aus dem man sich bedienen kann. Wenn man sich nicht ganz so doof anstellt und einigermaßen authentisch ist, dann hat man in dieser Szene einfach dankbare Abnehmer.

Wir haben es eben nie so super ernst genommen und haben dann, nachdem wir mehr damit konfrontiert wurden, einfach überlegt, dass wir das jetzt mal ausprobieren. Lass uns doch einfach mal genauso einen Song schreiben, der sich an anderen orientiert und mit dem man vielleicht in große Musikmagazine kommt. Wir hatten überhaupt keine Ahnung davon, wie das funktioniert, dass man auf solche Beilagen-CDs, an Berichte oder sowas in der Art kommt. Dann hat Daniel also diesen Song geschrieben und der Song ist dann organisch so ein bisschen bissig und zynisch geworden. Der Song ist aber eine einzige Anekdote, ich könnte Dir zu jeder Textzeile, etwas erzählen.

Haben sich TOCOTRONIC bei euch gemeldet und zu dem Song geäußert?

Da der Song schon etwas älter ist, hatten wir den Spruch auch schon auf Jutebeutel und anderes Merchandise gedruckt. Und wir dachten uns natürlich immer, dass es cool wäre, wenn die das irgendwie aufgreifen würden. Und vor einigen Wochen haben wir das Video dazu veröffentlicht und dann bei Instagram den Screenshot gepostet und tatsächlich haben die das geliked. Das war also die erste offizielle Reaktion. Wenn die sich zum Kaffeetrinken anbieten würden, würden wir nicht Nein sagen. Das sind garantiert gute Menschen.

Gehören TOCOTRONIC zu Deinen textlichen Vorbildern?

TOCOTRONIC tatsächlich eher weniger. Also ein Album von denen habe ich auch zu Hause und ich finde die alten Sachen auch echt gut. Aber ich finde die Band eher auf einer menschlichen Ebene interessant. Die haben natürlich unfassbar viel für die deutsche Musiklandschaft getan und sind sehr wichtig für viele Bands. Auch die politische Agenda, die die verfolgen, ist astrein und finde ich super. Musikalisch hatten die mich aber nie richtig gekriegt und haben mich dann irgendwann auch ganz verloren. Das ist mir etwas zu intellektuell, zu verkopft und ist mir auch zu poetisch irgendwie.

Aber hast Du Vorbilder?

Orientieren oder versuchen an die Sachen ranzukommen, dass tue ich eigentlich nicht bewusst, wenn dann eher unbewusst. Es ist ja schon so, dass man nicht frei von Einflüssen ist, das geht ja gar nicht anders. Was Texte und Wortspiele angeht, ist DENDEMANN natürlich das Non-Plus-Ultra. EINS ZWO habe ich früher viel gehört und ich bin auch großer ADOLAR-Fan. Der Sänger hatte es gut geschafft, Lebensgefühle und Zeitgeist in seine Songs zu packen. Und zwar so krass, dass der er mir komplett aus der Seele gesprochen hat, obwohl ich vorher gar nicht wusste, dass ich sowas in mir drin habe. In den Reviews werden wir manchmal damit verglichen, also bin ich wahrscheinlich beeinflusst. Sehr schade, dass es die nicht mehr gibt, mit denen hätte ich so gerne mal gespielt.

Beim Opener “Spiegelbild” lenkt ihr sofort auf den Einzelnen, also auf sich selbst. Ist das von LEITKEGEL eine Art Lösungsvorschlag, wenn jeder auf sich selbst guckt, ist ein guter Anfang gemacht?

Das klingt etwas egoistisch, wenn jeder auf sich selbst gucken soll. “Spiegelbild” wurde tatsächlich auch als erster Song geschrieben. Da stand dann auch schon unser Konzept – es ist eigentlich kein Konzept aber ich nenne das jetzt einfach mal so – mit dem Thema “Wir sind für dich da”. Den Text zu “Spiegelbild” hatte ich mir schon überlegt, um darauf hinzuleiten und er ist direkt an den Hörer gerichtet. Wir bereiten Dich jetzt darauf vor, was nun kommt und am besten ist es, wenn Du jetzt den Blick in den Spiegel richtest und Dir mal Gedanken machst. Und jetzt kommen die Themen, über die Du Dir Gedanken machen solltest. So kann man das, glaube ich, ganz gut zusammenfassen.

Interessant, dass Du das jetzt so interpretiert hast, dass es egoistisch ist, wenn jeder zuerst auf sich schaut. Aus meiner Sicht ist es eher so, dass dann die ständige Bewertung des Tuns von anderen wegfallen kann. Wenn jeder erstmal auf sich schaut, also was er selbst eben besser machen kann, dann bewerte ich das positiv. Beim Song “Straßenkampf” singst Du “Was ist los in dieser Stadt, die uns nichts zu bieten hat?”. Spielst Du damit auf Anspruchsdenken und Lethargie an?

Das geht in die Richtung, dieser Text ist zu einer Zeit entstanden, in der ich es so wahrgenommen habe, dass tatsächlich sehr viel Straßenkampf im übertragenen Sinne stattfand. Keine Ahnung, was da in Essen los war, aber auf mich hat es so gewirkt. Und ich habe mich gefragt, warum das so ist. Warum drehen jetzt plötzlich alle durch? Liegt es wirklich daran, dass die Stadt hier so tot ist? Als ich mich später mit dem Text noch mal intensiver befasst habe, fiel mir auf, dass er sich auch noch etwas weiter interpretieren und auch auf andere Bereiche übertragen lässt.

Natürlich kann man das alles beobachten, man kann halt nichts tun und sich diesen einen Sehnsuchtsort herbeiwünschen, an dem alles in Ordnung ist. Aber dadurch kommt man da ja nicht automatisch dorthin. Es ist und bleibt dann nur in deinem Kopf. Irgendwie muss man Dinge dann auch mal ansprechen und im übertragenen Sinne selbst Teil des Straßenkampfes sein. Man kann ja auch friedlich protestieren oder friedlich etwas tun und Zivilcourage zeigen. Man ist dann ein Teil davon und kann helfen, es zum Guten zu wenden.

Im Lied “Erste Welt Probleme” findet man sich natürlich schnell wieder. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass man sich nach oben und nicht nach unten orientiert. Wie schätzt Du Deinen eigenen Kompass ein, kennst Du Orte wie eine Gesamtschule oder Jugendzentren, an denen man mit unterschiedlichen Leuten in Kontakt kommen muss und dann auch lernt, sich und seine Situation besser einzuschätzen?

Ich komme ja aus Duisburg, da ist es generell strukturschwach, durch den verpassten Strukturwandel ist die Stadt ziemlich hoch verschuldet. Und da komme ich da auch noch aus einem Problembezirk und aus einer Familie, die kein Reihenhaus hatte, sondern eine klassische Arbeiterfamilie war. In der Grundschule war es schon so, dass man nach den Sommerferien gar nicht mehr wusste, wer jetzt noch überhaupt zurück in die Klasse kommt. Weil es eben Abschiebungen gegeben hat oder weil Kinder zu ihrem eigenen Wohl aus ihren Familien vom Jugendamt herausgenommen wurden. Einer kam später auch in ein Jugendgefängnis.

Man war dann also in solche Probleme involviert. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern immer sehr engagiert waren und sich für solche Kids eingesetzt haben. Das habe ich übernommen und auch die Vorteile, von einer gelebten multikulturellen Gesellschaft und die Bereitschaft für alles offen zu sein. Es gibt eben zwei Möglichkeiten damit umzugehen. Entweder man entwickelt Hass und Wut oder man versucht sich damit zu arrangieren und zu engagieren, um es im Gesamten besser zu machen. Das waren dann aber keine “Erste Welt Probleme”, sondern schon akute Probleme. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich mich darüber ärgere, wenn der Teenie in der Wohnung unter mir nachts Techno hört. In diesem Moment ist es auch störend, aber wenn ich am nächsten Tag die Nachrichten anschaue wird mir bewusst, dass ich es schon besser habe als viele andere, da ich überhaupt in einem Haus wohne und mich über sowas aufregen kann.

Sagst Du bei den Konzerten viel zu den Texten?

Zwischen den Songs kommt das eher selten vor. Hendrik hielt mich mal dazu an, aber wir sind schon eher eine humorvolle Band und ich mag es auch selbst nicht, wenn die Band mir zwischen Songs einen Vortrag hält. Dann wird meistens die Interpretation noch mitgeliefert und dann kommt der Song und man merkt, dass das einfach die Vertonung von dem ist, was der Typ gerade eben erzählt hat. So möchte ich selbst nicht sein. Wir machen live schon viele Späße und sagten irgendwann mal vor jedem Song, dass er von Trennung handeln würde. Auch wenn das natürlich gar nicht so war. Auf manche Momente im Zeitgeschehen, wenn die zu unseren Songs passen, weise ich schon mal hin.

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