Anne Stern Foto von Max Zerrahn

Interview mit der Autorin Anne Stern zu ihren Fräulein-Gold-Romanen

Mal abgesehen von deiner geschichtlichen Bildung, wie genau hast du dich über diese Zeit informiert, hast du alte Fotoalben durchstöbert und mit Zeitzeugen gesprochen?

Meine Familie lebt schon seit über 100 Jahren in Berlin und ich habe auch schon früher mit meiner Großmutter gesprochen, sie hat auch den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Hulda könnte meine Urgroßmutter sein. Ich liebe Bildbände, das ist eine meiner wichtigsten Quellen, da entdeckt man Details, auf die man in Texten nicht so stößt. Wie die Leute angezogen waren und auch was da so im Hintergrund rumstand. Im ersten oder zweiten Band gehe ich auf diesen Wurstautomaten ein, das fand ich ein schönes, kleines Detail.

Was an den Litfaßsäulen angeschlagen war oder die Schlagzeilen, dafür ist der Zeitungsverkäufer Bert das Sprachrohr, also zuständig für das Hintergrundwissen. Was er im Buch in den Zeitungen liest, ist meistens auf den Tag genau so passiert.

Haha, ich prüfe das auch immer und genau das macht mir so Spaß beim Lesen. Im aktuellen Band beschreibst du eine Szene, die mich sehr angesprochen hat. Hulda hadert mit sich selbst, ob sie den Groschenroman oder den Zauberberg lesen soll, den sie eigentlich viel langweiliger findet und in keinem Bezug zu ihrer eigenen Realität sieht. Ich fühle mich auf oft unter Druck gesetzt, von dieser alten, mächtigen Literatur, die man unbedingt lesen muss, aber furchtbar findet… geht es dir auch so, mit vermeintlich intellektueller Literatur, die dein Leben verändern soll?

Ja und übrigens auch immer männliche Literatur (lacht). Ich kann das absolut nachvollziehen. Obwohl ich Deutschlehrerin war, gibt es viele von diesen Kanonwerken, mit denen ich nichts anfangen konnte und die mich belastet haben beim Lesen. Ich hatte immer viel Verständnis für die Schülerinnen und Schüler, die manchmal da durchmussten. Es ist aber auch manchmal eine gute Erfahrung, etwas tun zu müssen, was einem erstmal nicht so viel Spaß macht.

Da steckt bei mir aber noch eine zweite Komponente dahinter, warum ich das aufgegriffen habe. Es gibt in der Literaturblase, immer diese extreme Trennung zwischen Unterhaltungsliteratur und Literatur, da ist eine hohe Mauer. Sobald man sich mit Verlagen auseinandersetzt, überlegt man, wo man sein Buch platziert. Dann muss zuerst geklärt werden, ob es Unterhaltung oder echte Literatur ist (lacht). Das stört mich als Autorin, da ich gerne diesen Zwischenbereich beschreibe und sowohl als auch versuchen möchte.

Also anspruchsvoll, packend und trotzdem superleicht wegzuschlürfen, da möchte ich mich auch nicht entscheiden müssen. Und auch die Leserinnen und Lesern werden damit unterfordert, dabei kann ein Mensch sowohl als auch gerne lesen. Hulda kann ja in dem Buch auch beides lesen, als Bert ihr Tucholsky ausgeliehen hat, fand sie den gut, aber eben auch ihre Schmonzette.

Wer ist denn deine Lieblingsfigur?

Das ist schon der Bert, der hält für mich alles zusammen. Eine ganz komplexe Figur, über die ich sehr viel nachdenke und bei dem ich noch nicht so genau weiß, wie er ist. Seine Backstory wird ja angedeutet, wie er als Straßenkind in Berlin groß wurde und es dann doch noch geschafft hat, sich zur bürgerlichen Figur aufzuschwingen. Da möchte ich noch mehr über seinen Hintergrund erzählen und ich hoffe, dass ich ihn nicht nur benutze, um immer die tagesaktuelle Politik auf den Tisch zu bringen.

Er soll schon als Person ernst genommen werden, im dritten Band geht es schon mehr um seine persönliche Geschichte. Für Hulda ist er der Spiegel, der ihr auch mal eine harte Wahrheit ans Herz legen kann, was sich jemand anders nicht trauen würde.

Den Kommissar Karl finde ich interessant, da er nicht berechenbar ist, es kann bei ihm auf beide Seiten kippen und wenn er auftaucht, ist es immer etwas unangenehm. Die Komponente einen Fall aufzuklären gerät übrigens von Band zu Band immer weiter in den Hintergrund und wird wohl über kurz oder lang ganz verschwinden, oder?

Es war ja nie mein Anspruch, einen Kriminalroman zu schreiben. Aber ich lese gerne Bücher, in denen es Spannung und ein Geheimnis gibt. Das mag man ja schon in der Kindheit und bei mir setzt es sich im Erwachsenenalter fort. Auch wenn ich gerne Krimis lese, dann mag ich eher, wenn etwas im Hintergrund aufgeklärt werden muss, ohne dass es gleich in Polizeiermittlungen münden muss.

Deshalb wurde es auch nie als Krimi vermarktet, selbst wenn es Anklänge hat und wir damit spielen. Diesen Spannungsfall wird es sicher immer geben, jeder ernsthafte Krimifan ist natürlich so… ähhhm (lacht).

Haha, ja klar, der schnipst nach spätestens zwanzig Seiten mit dem Finger und kann den Fall lösen. Entspricht die Frau auf dem Cover deiner Vorstellung von Hulda Gold, konntest du darauf Einfluss nehmen?

Das Coverartwork im Rahmen eines Romans, das ist mit Sicherheit das Schwierigste im Verlagsgeschäft. Rowohlt wollte gerne die Figur, da sie ja der Anker ist, auf dem Cover haben. Da war ich mir erst nicht so ganz sicher, ob sie wirklich so prominent sein soll, aber so schwarzweiß, mit der Schrift der Zwanzigerjahre, das hat mich dann schnell überzeugt. Von diesem Model gibt es viele Fotos, sie heißt Simone Labarga und schießt diese Sets immer mit einem englischen Fotografen, man kann sie auch auf anderen historischen Romanen sehen.

Ist denn eine Verfilmung geplant?

Na ja, ich plane das (lacht). Die Filmrechte sind noch nicht verkauft, aber es bietet sich natürlich an. Ich würde es sehr gerne sehen, wenn man das Thema aus einer feministischen Perspektive angehen würde. Historische Verfilmungen sind schon alleine wegen der Ausstattung extrem teuer zu produzieren.

Auf wie viele Teile dürfen wir uns denn, Stand heute, freuen?

Wenn es nach mir geht, dann endet es nicht nach Band 6.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Man wird früher oder später mit der Nazizeit konfrontiert werden und selbst, wenn ich mit dieser Art von Literatur erfahren bin, ist es etwas Anderes, ob einem die Menschen in dem Buch ans Herz gewachsen sind, oder ob man ein Buch zu diesem Thema mit insgesamt dreihundert Seiten liest. Das wird sicher auch für dich schwer, oder?

Ja und auch interessant, dass du das sagt. Gerade jetzt habe ich schon sehr viele Zuschriften von Leserinnen und Lesern bekommen, denn jetzt wird allen klar, dass das kein Dreiband war, der locker flockig in den Goldenen Zwanzigern endet, sondern das geht bis 1933 und wahrscheinlich darüber hinaus. Da führt kein Weg daran vorbei und ich bin auch keine Autorin, die ein Wohlfühlende erfinden möchte. Das wird hart für mich und auch hart für die Leserinnen und Leser.

So ganz genau weiß ich noch nicht, was passieren wird, aber grob schon. Auf jeden Fall werde ich jetzt nicht die komplette Nazizeit erzählen, es wird jetzt nicht mehrere Bände darüber geben. Das tue ich mir, euch und Hulda Gold nicht an.

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5 Kommentare

  • Ich habe die Hulda Gold Romane verschlungen. Mich faszinieren die 20er Jahre im damaligen Berlin. Die Hauptfigur Hulda ist ein beeindruckendes Portrait einer starken und selbstbewussten Frau. Gerade lese ich den 6. Band! Eine Verfilmung wäre fantastisch.

  • Angelika Schierbaum

    Diese Hulda- Gold- Romane sind der Hammer! Ich habe sie alle als E-book und sie verschlungen. Anne Stern schreibt großartig, spannend, authentisch und ihre Charaktere sind einfach umwerfend. Bitte, bitte eine Verfilmung!!! Das wäre das Sahnehäubchen zu allem!
    Und danke, dass es so eine wunderbare Autorin gibt.

  • oh ja…ich bin auch ein riesen Fan. Weltklasse Autorin, einfach toll wieviel Leben und Geheimnisse Sie den Charakteren in ihren Büchern gibt und gleichzeitig so viel Geschichte darin verpackt ist. Diese Mischung machts und ich kann mich wirklich hineinversetzen wie es zu dieser Zeit gewesen sein muss und dass macht es so spannend. Die Mischung aus Leid und Aufschwung zu erleben erzählt durch die tollen Figuren die alle ein Schicksal haben…es sollte auf jedenfall eine Verfilmung geben, ich bin dafür!

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