Deutsche Laichen Band 2020 Teaser

Interview mit Deutsche Laichen zur EP “Team Scheiße”

Ein Jahr nach ihrem gefeierten Debütalbum kommt die queer-feministische Punkband DEUTSCHE LAICHEN aus Göttingen mit ihrer EP “Team Scheiße” um die Ecke. krachfink.de durfte einige Fragen stellen, darüber was sie besonders wütend und auch traurig macht und wo sie noch weitere Ansätze für Verbesserungen sehen.

DEUTSCHE LAICHEN, 2020
DEUTSCHE LAICHEN, 2020: “Das Team Scheiße ist die Gesamtscheiße, in der wir leben, in der wir an kapitalistischen Strukturen und rassistischer Schulbildung mit einem klar weiß-dominierten Blick auf die Welt, einfach nicht vorbeikommen.”

Wieso jetzt die EP, aus akutem Frust oder als Überbrückung bis zum nächsten Album? In eurem Statement habt ihr – jetzt sehr grob von mir zusammengefasst – euch darüber geärgert, dass seit der Veröffentlichung eures Debüts nur Scheiße passiert ist…

Die EP ist entstanden, weil es akut ist. Es ist schon lange akut, aber in den letzten Monaten, ist so viel Scheiße passiert: der rechtsextreme Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle auf eine Synagoge, der rechtsextreme Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau, bei dem neun Menschen getötet wurden, die Ermordungen von Ahmaud Arbery, der am 23. Februar in Georgia beim Joggen von Rassisten erschossen wurde, die Ermordung von Breonna Taylor am 13. März durch Bullen in ihrem eigenen Schlafzimmer, der Mord von George Floyd am 25. Mai 2020 auf offener Straße bei einer rassistischen Polizeikontrolle.

Am 14. Juli ist Noël Martin verstorben, der 1996 in Brandenburg von Nazis angegriffen wurde und seitdem im Rollstuhl saß. In Deutschland werden Journalist*innen und Personen des öffentlichen Lebens und ihre Familien, die sich für die Aufklärung der NSU-Morde engagieren oder offen die deutsche Polizei kritisieren, von Innenministern diskreditiert und von Nazis bedroht – persönliche Daten der Betroffenen bekommen die Nazis direkt von ihresgleichen in der Polizei. Das alles frustriert uns! Das alles macht uns wütend! Unsere Songs mussten raus, das hat nichts damit zu tun, dass seit der letzten Veröffentlichung gut ein Jahr vergangen ist. Mit dem Schock und der Wut nach den rassistischen Morden in Hanau haben wir im Februar unser letztes Konzert vor der Covid19-Pause in der Roten Flora in Hamburg gespielt, seitdem haben wir unsere Energie in die neuen Songs gesteckt.

Wer hat das starke Artwork gemacht?

Das Motiv ist durch ein gemeinsames Nachdenken zum Thema entstanden. Gezeichnet hat es unsere Bassistin rollsplitt.

Gerade über die, ich nenne sie jetzt mal sichtbare Feminismusszene, heißt es, dass sie teilweise überheblich und schwer zugänglich sei. Wer nicht zu 100% Bescheid weiß, wird angeblich sofort korrigiert und sogar gemaßregelt. Kurzum, Menschen, die für das Gleiche einstehen wollen, diskriminierend sich untereinander. Woran liegt das? Kann man Feminismus ernst nehmen und gleichzeitig ausgrenzen?

Feminismus ist erstmal per se nicht das Problem. In der Welt in der wir leben ist es wichtig, gegen die bestehenden Geschlechterverhältnisse gemeinsam anzukämpfen, das ist übrigens nicht nur Aufgabe von FLINT-Personen (wieder so eine Abkürzung: Frauen, Lesben, Interpersonen, Nicht-binäre-Personen und Transpersonen), sondern von allen. Wenn eine Szene oder Gruppe von Menschen sich eingehend mit einer gesellschaftspolitischen Thematik beschäftigt, entwickeln und verändern sich Vokabular und Ideen fortlaufend, wie sich auch der gesellschaftliche Kontext verändert. Reflexionsprozesse sind nie zu Ende. Es ist nicht ok, wenn Menschen ausgegrenzt werden, weil sie sich an einem anderen Punkt im Reflexionsprozess befinden oder weil sie ihre Ideen nicht mit der richtigen Sprache auszudrücken gelernt haben – diese Sprache ist ja oft auch eine sehr akademisch-geprägte. Die Verantwortung liegt auf beiden Seiten, also einerseits die Bereitschaft mitzubringen, Inhalte und Wissen zu teilen, andererseits bei jeder* Einzelnen, sich immer weiterzubilden und offen für Neues und Veränderung zu bleiben.

Auch Intersektionalität ist nicht nur ein Problem im Feminismus, aber wo könnte man am besten ansetzen?

Am besten bei sich selbst anfangen und den eigenen Aktivismus kritisch reflektieren. In welchem Verhältnis steht das, was mir zufällig zufällt, zu den Bedingungen, unter denen andere leben? Mit welchen strukturellen Diskriminierungsformen muss gekämpft werden? Und dann, zuhören, lesen, nachdenken, aktiv werden und solidarisch handeln.

Ich finde, dass es gerade dem Feminismus an glaubhaften, sichtbaren Identifikationsfiguren fehlt. Jede Rebellion braucht eine Galionsfigur und auch eine gewisse Symbolik, das fehlt komplett, oder kennt ihr jemanden?

Das würden wir so nicht bestätigen. Es gibt aus vielen verschiedenen Zeiten verschiedene feministische Vorreiter*innen, man muss vielleicht nur etwas länger nach ihnen suchen. Das ist aber nicht ihre Schuld, sondern das liegt an der Art, wie Geschichte geschrieben wird: der Fokus liegt auf Errungenschaften von (weißen) Männern. Die Errungenschaften von allen anderen, auch of Colour-Personen, werden dadurch unsichtbar gemacht. Ein sehr gutes Vorbild im Punk ist Poly Styrene, eine britische Musikerin und Punkerin der ersten Stunde, die schon in den 70ern mit ihrer Band X-Ray Spex über Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und Umweltthemen gesungen hat und musikalisch und modisch Vorreiterin ist. Ist das im allgemeinen Kanon des Punks angekommen? Nein! Nur eins von vielen Beispielen.

Minderheiten, die eine Mehrheit erreichen wollen, müssen zwangsläufig die aktuelle Mehrheit für ihre Sache überzeugen und mobilisieren. Es wäre schon clever, wenn man überhaupt mal publik machen würde, was genau Feminismus wirklich bedeutet. Woran liegt es aber, dass der Fortschritt trotzdem so verdammt langsam zu sein scheint?

Ein Punkt ist sicherlich, dass das Klima in ganz Europa gerade so rechtsoffen ist und damit auch antifeministische Hetze einhergeht. Wir begrüßen das, wenn All-Male-Bands sich bemühen, Impulse zu setzen, es ist allerdings auch gemütlich, das aus Dude-Netzwerken herauszumachen. Die Forderungen müssten viel radikaler sein, um wirklich etwas zu verändern. Es ist ein bisschen absurd zu sagen, dass die Inhalte von Feminismus deutlicher publik gemacht werden müssen. Es liegt ja auf der Hand, worum es geht, auch wenn das oft mit Absicht falsch verstanden wird, um sich mit der Kritik nicht beschäftigen zu müssen.

Wie kommt man denn ins “Team Scheiße”? Wird man da rein geboren und hat man eine Chance, gar nicht erst aufgenommen zu werden?

Im “Team Scheiße” stecken wir alle drin, weil wir alle mit Vorurteilen und rassistischen Einstellungen aufwachsen. Das Team Scheiße ist die Gesamtscheiße, in der wir leben, in der wir an kapitalistischen Strukturen und rassistischer Schulbildung mit einem klar weiß-dominierten Blick auf die Welt, einfach nicht vorbeikommen. Wir sind alle rassistisch sozialisiert. Wir müssen aber versuchen, Team Scheiße zu boykottieren, damit das nicht weiter so laufen kann. Denn natürlich macht das auf individueller Ebene einen massiven Unterschied, wo du selbst darin verortet wirst, ob du die Privilegien des Weiß-seins unhinterfragt genießt oder nicht. Das ist kein fairer Sport, den das Team Scheiße spielt.

Seht ihr Rassismus und Feminismus als Aufgaben der Politik, also durch die Wahl geringfügig beeinflussbar, oder als gesellschaftliche?

Für eine solidarische Gesellschaft, die sich Rassismus und Sexismus, Trans- und Homofeindlichkeit entschieden entgegenstellt, müssen wir uns alle gerade machen. Jeden Tag aufs Neue.

“Szeneputzen” widmet sich ebendieser. War die Szene überhaupt mal besser und was genau geht euch konkret auf die Nerven?

Die Szene begreift sich als antirassistisch und ist aber gleichzeitig stark weiß dominiert. Konkret nervt, dass es diskriminierende Mechanismen gibt, die aber gut versteckt werden können, solange sich alle am gleichen Set von Einstellungen und Codes bedienen können, ohne dann an der alltäglichen Realität im eigenen Umfeld tatsächlich was zu ändern. Natürlich nervt das nicht nur, sondern ist zum Kotzen und muss sich ändern. In den sozialen Medien antirassistischen Aktivismus zu performen sieht wohl cool aus, reicht aber nicht. Damit sich was ändert, dafür muss man schon aufstehen und den Mund aufmachen. Oder als weiße Person an anderer Stelle auch Mal zurücktreten, Hintergrundarbeit leisten, supporten und aufs Scheinwerferlicht verzichten.

Hat die Punkszene eine besondere Aufgabe, sich zu äußern? Oder ist es nicht eigentlich für jeden normalen Menschen Pflicht für gewisse Dinge laut einzustehen?

Klar ist das für alle Pflicht Haltung zu zeigen. Punk nimmt für sich in Anspruch, eine Szene zu sein, in der Missstände auf laute und nachdrückliche Weise kritisiert werden. Aber Punk hat auch nur eine begrenzte Reichweite und viele Bands scheinen aus reinem Selbstzweck Punk zu machen. Da wird die Musikrichtung dann auch egal, wenn es um nichts mehr geht.

Erzählt uns mehr von dem geplanten Release-Konzert.

Mit unserem Release-Konzert am 3. September wollen wir Spenden und Aufmerksamkeit für “Women in Exile” generieren. “Women in Exile” ist 2002 als Initiative von geflüchteten Frauen in Brandenburg entstanden, die sich in ihrer doppelten Diskriminierung als Geflüchtete und als Frauen angefangen haben selbst zu organisieren. 2011 wurde der Verein “Women in Exile & Friends” gegründet, in dem auch solidarische Aktivistinnen ohne Fluchthintergrund mitarbeiten. Bei “Women in Exile” wird Aufklärungs-, Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet und Asylpolitik aus feministischer Perspektive angegangen. Das finden wir mega wichtig. Spendet denen Geld oder andere Ressourcen!

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