Interview mit Drangsal zu seinem Buch „Doch“

DRANGSAL gehört zu denen, die Gegensätze erkannt haben und sie akzeptieren können. Es scheint ihm sogar Freude zu machen, sie miteinander ins Duell zu schicken und gnadenlos zu überspitzen. Seine Musik und seine optischen Inszenierungen – in Videos, auf Fotos für seine Alben und auf der Bühne selbst – schocken und provozieren lautstark und grell. Im nächsten Augenblick kann er aber genauso sanft und zärtlich einlenken und schon unverblümt kitischig anmuten. Nun hat de Bu aus de Palz sein erstes Buch „Doch“ geschrieben.

Eine anachronistische Textsammlung, die ihn als Künstler sehr gut widerspiegelt und alle Extreme mindestens einmal anstupst. Wir sprachen im Interview über sein eigenes Leseverhalten, die prägnanten Unterschiede zwischen Buchschreiben und Musikmachen, beobachtet werden und selbst beobachten, einzelne Kapitel, die Macht der Sprache und darüber, dass der Filet-o-Fish, the burger formerly known as Fish Mac, echt immer kleiner wird.

Dein erstes Buch trägt den Titel „Doch“. Ich finde, dass das sehr gut zu dir passt, hast du lange über den Titel nachgedacht?

Ja, nicht ewig, aber schon eine Weile. Es gab Alternativen und eine Idee war mal, es „Knight Rider oder Himbeer-Toni“ zu nennen, so heißt jetzt auch ein Kapitel im Buch. Es gibt aber ein Buch, das schon „Die Himbeer-Tonis“ oder so ähnlich heißt, worüber ich sehr verwundert war. Das war mir dann doch zu spezifisch und aufgrund der Verwechslungsgefahr, kam das dann nicht infrage. DRANGSAL und „Doch“ sind zwei kurze, knackige Begriffe und dann ist da ja auch noch diese Alliteration.

Ich wollte mal eine Band DOCH nennen und „Doch“ war auch der Arbeitstitel von dem Lied „Will Ich Nur Dich“, irgendwie ist der Begriff schon immer da und es wäre auch ein gutes Tattoo für die Finger (zeigt seine Fingerknochen und lacht), das überlege ich mir noch. Es gibt bestimmte Wörter, die eindrucksvoll sind, wenn man länger über sie nachdenkt und doch ist eines davon. Es liest sich gut und sieht auch auf dem Cover gut aus, manchmal reicht das auch schon.

Das Artwork zeigt einen Hund, er mich sofort an Juri, den Hund von Anja Rützel, erinnert. Hier kann ich mir allerdings nicht herleiten, was das mit dir zu tun hat.

Der Hund selbst steht eigentlich in keiner Verbindung zu mir, ursprünglich wollte ich auf dem Cover nur Schrift haben, aber das wurde vom Verlag nicht genehmigt. Dabei hätte ich es gut gefunden, es komplett auf den Ursprung zu reduzieren, also auf Schrift und Sprache. Mir war schon immer klar, dass ich von dem Maler Nikolay Tolmachev unbedingt mal irgendetwas als Cover oder Shirt-Motiv machen möchte. Das ging dann alles ganz fix klar, der Verlag hat sich da schnell darum gekümmert. Eigentlich wollte ich einen Vogel, der den Schnabel verbunden hat, dann haben wir uns aber doch für den Hund entschieden. Ich finde, es ist ein schönes Cover und ein gut gemaltes Bild, aber wenn es nach mir ginge, dann wäre da nur Schrift gewesen.

Wie ist denn dein eigenes Leseverhalten?

Es ist extrem undiszipliniert, es gibt immer so Hardcore-Lesenphasen, in denen ich Bücher regelrecht verschlinge. Und dann gibt es wieder ganz lange Phasen, in denen ich überhaupt nicht lese und gerade befinde ich mich in der letzteren. Vor ein paar Wochen habe ich zum letzte Mal eine Seite in einem Buch gelesen und mein jetziger Monat, der April, besteht daraus jeden Tag ein Album von THE FALL zu hören.

Mir ist aufgefallen, dass die Band 31 Studioalben hat, wenn ich also jetzt vom ersten April bis zum ersten Mal jeden Tag ein Album höre, dann habe ich alle gehört. Jetzt bin ich gerade bei „This Nation’s Saving Grace“ und da bleibt nicht so viel Zeit zum Lesen, denn jedes Album höre ich mir ungefähr 10 Mal an, bis es mich dann meistens komplett nervt. Aber ich habe einen sehr großen To-read-Stapel und es gibt viele Autorinnen und Autoren, die ich gut finde, viele Bücher, die mir gut gefallen.

Ich lese viel von Wolf Wondratschek. 2015 hat Jim Rakete meine ersten Promofotos gemacht und der hat mir von Wolf Wondratschek erzählt, sodass ich mir die Bücher gekauft habe. Die lagen dann aber, wie immer, jahrelang auf meinen „Das lese ich bald“-Stapel. Ich bin mit den Bücher 10 Mal umgezogen, bevor ich sie wirklich gelesen habe. Und Wolf Wondratschek finde ich gut, der hat auch gerade seine Bücher bei Ullstein alle neu veröffentlicht. Rafael Horzon fand ich gut und, ganz offensichtlich auch das Buch von Dirk von Lowtzow (TOCOTRONIC), das einen Einfluss auf die Struktur, oder eher den Mangel an Struktur, in meinem Buch hatte. Hendrik Otrembas (MESSER) zweiter Roman war sehr gut, Illona Hartmanns „Land in Sicht“ habe ich gelesen… ich könnte mit Sicherheit viele aufzählen, aber ein offensichtliches Ziel, wohin ich mit „Doch“ wollte, hatte ich nicht.

Wenn du davon sprichst, undiszipliniert zu sein, dann bezieht sich das aber auf das etappenhafte Lesen und nicht darauf, dass du ein Buch zum Beispiel anfängst und dann nicht zu Ende liest?

Ne, doch. Aber ich lese das Buch dann auch immer irgendwann fertig.

Gibt es ein Buch, das dich über einen längeren Zeitraum begleitet und das du auch immer wieder mal liest, das Perspektiven verschoben und wirklich etwas in dir verändert hat?

„Alle Tage“ von Terézia Mora fand ich, genauso wie du sagst, beim ersten Mal extrem eindrucksvoll. Und ich habe Angst, wenn ich es nochmal lese, da sich ja in meinem Leben und somit in mir auch etwas verändert hat, dass sich mein Bezug dann dazu so verändert hat, dass ich enttäuscht bin. Das kann auch ganz schön sein, aber meine Erinnerung daran ist wohl schöner, als es jetzt sein könnte, wenn ich es nochmal lese.

Manchmal geht es mir mit Filmen so, dass ich sie total gut fand und dann beim zweiten Schauen total blöd. Max Müllers (MUTTER) „Musikcafe Wolfsburg“ mag ich immer noch gerne, hatte es aber ganz anders in Erinnerung und hatte mir da über die Jahre einen eigenen Inhalt entwickelt (lacht). Ich versuche, Bücher nicht zweimal zu lesen.

DRANGSAL live 2018, Taubertal Festival, Foto von Nadine Schmidt

Kann ich sehr gut nachvollziehen, bei Büchern und Filmen. Genau das ist aus meiner Sicht eine Stärke der Musik. Vor Büchern habe ich besondere Ehrfurcht und Angst enttäuscht zu werden. Die in Musik gespeicherte Emotion bleibt für mich aber meistens gleich.

Ja, das stimmt und ist interessant. Aber Musik ist ja auch etwas Kurzweiliges, das man außerhalb des größeren Kontextes verbreiten kann. Ich höre gerade von THE FALL alle Alben und merke so, dass manches als Album gut funktioniert und einzelne Songs hört man gerne, weil sie in sich selbst so kleine Geschichten und Kosmen sind. Und bei Büchern ist es oft nicht so, dass man zum Beispiel von Seite 232 im Buch XY so beeindruckt ist, dass man sie immer wieder lesen muss.

Es ist eher ein fetter Brecher, dessen Kosmos von vorne bis hinten funktioniert. Die zweieinhalb Minuten für einen Song hat man immer mal wieder. Deshalb dachte ich, dass es besser wäre auf diese Art ein Buch zu schreiben. Für mich, als Fan von Kurzweiligkeit und von Nervosität geplagter Mensch, sind kurze Kapitel gut geeignet. Etwas, das man in der Bahn lesen kann. Und dann schlägt man das Buch auch wieder zu, geht seinem geregelten Alltag nach… (lacht)

… oder seinem ungeregelten Alltag.

Genau (lacht).

„Doch“ ist zusammengesetzt aus unterschiedlichen Textformen. Gedichte, Gedanken, ausformulierte Kapitel, aber nicht chronologisch angeordnet, das entspricht meiner Sicht auf dich als Künstler. Eine stringente Geschichte hätte mir nicht so gut gefallen. Hast du es so geschrieben oder im Nachhinein so angeordnet?

Im Nachhinein so angeordnet. Die Texte sind teilweise uralt, das erste Gedicht „Die Zunge“ habe ich geschrieben, als ich 14 oder 15 Jahre alt war. Das ist natürlich schön, nach längerer Zeit diesen Text weiterhin gut zu finden. Dann hat es für mich den Test der Zeit bestanden und das ist ein schönes Gefühl. Mit Songs ist es auch so, manche finde ich noch klasse und wieder andere wahnsinnig schlimm. Aber die meisten Texte habe ich innerhalb der letzten 2 bis 3 Jahre verfasst.

Und ganz am Ende, als alles beinahe fertig editiert war und man so ungefähr wusste, was der Kern des Buches ist, da habe ich mich dann nochmals mit der Lektorin zusammengesetzt. Es war schon erforderlich, dass ein gewisser Fluss entsteht, damit Leute, die es am Stück lesen wollen, auch eine gewisse Dramaturgie haben. Wie eine Achterbahn, die nicht immer nur hoch oder heruntergeht, dass es ein gewisser Verlauf ist. Es ist kein Roman und das war schon mit Absicht so und hat sich nicht zufällig ergeben.

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