Interview mit Drangsal zu seinem Buch “Doch”

Gibt es Textarten, die dir leichter fallen?

Gedichte. Da ist man als Musiker daran gewöhnt, also innerhalb von einem Korsett zu agieren. Tempo, Rhythmus und die gängigen Songstrukturen geben einem schon etwas vor. Wenn man schlageresken Pop macht, dann weiß man: Don’t bore us, get to the chorus. Und deshalb fällt es mir leicht, mich in kürzeren Sätzen auszudrücken. Aber genauso schön war es, den goldenen Käfig zu verlassen (lacht) und zu schauen, was passiert, wenn ich mich nicht beschränken muss auf Musik, Melodie und Singbarkeit.

Es war ganz geil, das mal ausufern lassen zu können. Man merkt den Texten an, dass ich Sprache liebe, weil man damit so viel auslösen kann. Nicht nur intellektueller, hypotaktischer Satzbau, sondern auch sowas wie Schnuckel, einfach die Verbindung von cringe mit hochgestochenen Ausdrücken. Ein Streifzug durch die Linguistik (lacht), nein eher durch die Sprache. Liebliche oder alte, seltene Worte in Kombination mit fast schon Jargon bringen.

DRANGSAL, live in Mannheim 2018, Foto von Nadine Schmidt

Und genau da hatte ich vermutet, dass sowas aus einer gewissen Stimmung kommt, bei Musik und diesem Buch. Dass du einen Text zum Beispiel in einer vulgären Stimmung verfasst und dann später, in einer anderen Stimmung nochmals nachbesserst. Oder ist beides immer in dir drin?

Ja. Wenn ich nochmals drübergehe, dann wird es immer nur weniger. Ich schreibe nicht einen Text pro Session, sondern solange bis ich denke, dass es einen Anfang und ein Ende hat, aber Wörter austauschen eher weniger. Das war jetzt auch ganz schön, dass hier mal jemand anderes lektoriert hat. Es war gut zu sehen, dass man nicht alles braucht, was ich liefere. Und alles was geschnitten oder kompakter, entzweit oder zusammengepfercht wurde, fand ich total gut und hatte gar kein Problem damit.

Interessant, dass du vorhin gesagt hast, dass Sprache viel erreichen kann. Mir geht es mit Lovecraft so, seine Sprache fasziniert und beeindruckt mich. Dann hast du gesagt, dass Sprache nicht hochgestochen sein muss und da fällt mir sofort Roger Willemsen ein, der auch das zusätzlich sehr gut beherrschte. Er hat mir mal eine Mail geschrieben, in zehn Zeilen hat er mich total umgehauen und nachhaltig berührt. In welchen Situationen fanden denn deine Sessions statt, wann hast du geschrieben?

Wenn ich musste (lacht), wenn ich wusste, dass ich etwas abliefern muss. Geistesblitze hatte ich nicht, auch wenn das schon mal vorkam, dass man so in der Bahn oder unterwegs eine Situation oder Gefühlszustände notiert hat. Da ich es zum ersten Mal mit dem konkreten Ziel gemacht habe, da dann auch etwas zu veröffentlichen, war sich so diszipliniert, mich hinzusetzten und das einfach auch zu machen. Anschreiben gegen den Schweinehund und die Ideenlosigkeit.

Ich habe auch frühmorgens geschrieben oder auch mal total besoffen spätnachts, also stundenlang nur getippt. Einfach, um am nächsten Tag mal zu gucken, was da rauskam. Man hat ja so Momente, in denen man denkt, man hat alles von sich begriffen, man könnte die Bedeutungsschwangerschaft von allem begreifbar machen.

Und am nächsten Tag liest man es durch und merkt, wie unangenehm viele der Gedanken sind. Aber manchmal war dann schon auf etwas dabei, bei dem es sich gelohnt hat, es weiterzuverfolgen.

DRANGSAL, Foto von Gerald von Foris

Bei “The Rotating Boy” kann ich mich gar nicht erinnern, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn sich jemand im Kreis dreht. Das ist aber auch schön, denn Musizieren und Schreiben hat beides etwas Alchemistisches und es ist meistens gar nicht so zuträglich zu beschreiben, wie genau man von A nach B kam. Das Magische ist das Ergebnis und ich bin jedes Mal überrascht, dass ich überhaupt eine Idee habe oder hatte, denn die meiste Zeit habe ich eben keine (lacht).

Darauf wollte ich auch hinaus, dass du davon ausgegangen bist, dass die nüchterne Welt die Realität, also die Wahrheit ist. Alleine darüber könnten wir stundenlang reden. Was ist gefühlt, was ist echt, was ist wahr und was ist wirklich erfunden, was ist überhaupt Realität? Und das tust du auch in “Doch”, oft spielst du damit, dass man nicht genau weiß, was wahr ist und was nicht. Zum Beispiel in “Der Schmarotzer” und “Der Spion”, da deutest du einen Beobachtungsdrang an, der im in Songs schwerer darzustellen gewesen wäre.

Ja, mit der Musik, die ich mache, wäre so ein Gedicht wie “Der Spion” aus der Zeit gefallen und würde wie Andreas Dorau klingen. Also nicht so wie er jetzt klingt, sondern eher so ANDREAS DORAU UND DIE MARINAS, wie ein Kinderlied. Mir gefallen die Gegensätze, wenn die Musik sanfter wird, dann werden die Texte meistens drastischer und umgekehrt. Es geht viel um Beobachtung und um beobachtet werden. “Der Spion” habe ich tatsächlich in einem Anflug von Paranoia geschrieben und erinnere mich genau daran.

Viele Sachen sollten aber auch eigentlich Songtexte sein, von “Süß” gibt es einen DRANGSAL-Song, der aber nie veröffentlicht wurde und es wahrscheinlich auch nie werden wird. “Der Schmarotzer” war am Anfang ganz anders, (lacht), der ist durch so viele Hände gegangen und handelte ursprünglich von jemandem, der zum Frisör geht. Das Kapitel hieß auch damals noch “Beim Frisör” und es war eigentlich ein komplett anderer Text, davon haben sich dann am Ende drei unterschiedliche Texte abgezweigt. Das fand ich so verrückt, dass die Lektorin das so gut erkennen konnte und so ein krasses Talent, dass man aus einem Text mehrere, andere Geschichten machen kann. Man fängt irgendwo an und landet am Ende ganz woanders (lacht).

Du hast auch ein Kapitel über Schule und da musste ich eben daran denken. Man hätte sich das von manchen Lehrerinnen oder Lehrern gewünscht, so ein Ordnen und nicht das “Ziel verfehlt und Tschüß”. Nochmal zurück zu dem Beobachten: Was ist faszinierend daran, herauszufinden, dass alle so sind wie man selbst oder echte Abgründe finden?

Hm, weder noch. Der Mensch baut sich Systeme aus schwarz und weiß, oben und unten, links rechts, um zu wissen, dass man sicher ist. Wissen, dass etwas etwas ist und wissen, dass etwas etwas nicht ist, das gibt Sicherheit. Und da anzusetzen, wo Dinge passieren, die weder das eine noch das andere sind, das finde ich interessant und versuche das irgendwie auszuhebeln.

Ein anderes Kapitel dreht sich um den “Fish Mac”, dazu gibt es einen Song von MATERIALSCHLACHT. Das ist auch wieder ein Unterschied zur Musik, du würdest nie einen Song über den Fish Mac” machen, oder?

Ja, (lacht) also nein, würde ich nicht machen. Ich mag aber, dass es so deplatziert ist. Es war eigentlich ein Kapitel über Essen als solches. Wenn man so auf Achterbahnfahrt geht und man hat so total hochgestochene, drastisch und monumental wirkende Sätze und Geschichte und dann kommt ein Kapitel über ein scheiß Fast-Food-Brötchen, das finde ich ganz nett.

Mir hat es gefallen und ich habe mich gefragt, ob du auf einmal reinbeißt oder ihn sezierst?

Nein, ich seziere den doch nicht, das ist das Schlimmste, wenn man das Brötchen so lüftet und dann siehst, dass es selbst für deren Verhältnisse extrem lieblos ist. Da ist ja wirklich nichts, also keinerlei Gemüse oder so, drauf. Es ist einfach das worst of. Ich beiße zweimal rein und dann ist er auch weg. Der wird immer kleiner, ich weiß das ganz genau! Es sind nicht meine Hände, die größer werden.

So trivial wäre es gar nicht, darüber zu singen. HERBERT GROENEMYER hat ja den Song über die “Currywurst” und THE BEATLES haben “Wild Honey Pie”. Letzterer mit einem Knallertext und eigentlich ein bisschen der Vorreiter für den Jingle von McDonalds.

Echt? (lacht) Witzig, ich bin bei THE BEATLES gar nicht so bewandert. Aber warum auch nicht? Man muss wissen, was man konsumieren will, ob es jetzt auf das Essen oder die Kunst bezogen ist. Vielleicht finde ich das irgendwann klasse, aber bisher habe ich bei THE BEATLES keinen Grund gesehen, da einen Anspruch abzuleiten.

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