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Interview mit Jojo von Sperling zu “Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie”

Der Opener “Meer” brettert gleich mit dem heftigen Featuregast Joel Quartuccio , dem Sänger von BEING AS AN OCEAN, rein. Wie kam es zu der Zusammenarbeit und wie genau fand die statt?

Wir haben ja im November 2022 zusammen mit BEING AS AN OCEAN eine Tour durch Europa gespielt. Das war unsere allererste Tour, wir waren super aufgeregt und hatten jede Menge Spaß, aber auch viel Zeit uns kennen zu lernen. Auf der Tour waren außerdem noch ACRES und AS EVERYTHING UNFOLDS und wir haben uns vom ersten Tag an alle sehr gut verstanden und die Stimmung war mega entspannt. Malte hat auf dieser Tour angefangen die Demo zu dem Song zu schreiben, ohne dass wir vorhatten Joel als Feature dafür anzufragen. Man wird aber natürlich immer von seiner Umgebung beeinflusst und inspiriert und so hat der Song am Ende doch sehr gut zur Band und zu Joel gepasst.

An unserem Off-Day in Stuttgart im Club Cann haben Malte und sogar von den Veranstaltern einen eigenen Raum mit Mikro und Stativ bekommen und durften dort an der Demo arbeiten. So ist auch der erste Text zum Song entstanden und wir haben sogar zufällig am selben Abend noch mit Joel zusammengesessen und davon erzählt. Einige Monate später ging’s für uns dann ins Studio und uns war schnell klar, dass wir Joel unbedingt auf diesem Song haben wollten. Also haben wir einfach eine liebe Nachricht an Joel geschrieben und einen Tag später haben wir zusammen eine WhatsApp-Gruppe aufgemacht, er hat uns seine Demo geschickt und dann war der Song auch schon fertig. Wir sind super stolz auf den Song, die Zusammenarbeit und vor allem darauf, dass eine Szenengröße wie Joel sogar den Refrain auf Deutsch mitsingt!

“November” ist mit Sicherheit ein gutes Beispiel für deine intimen Texte, bei denen du deine Sorgen und Ängste offen thematisierst. Du formulierst ohne schönzumalen, aber eben auch hoffnungsvoll, ringst mit hell und dunkel. Ist es dir wichtig, dass die Texte nicht komplett destruktiv sind?

Der Song “November” ist tatsächlich einer der wenigen Songs auf dem Album, der nicht direkt auf eine Demo geschrieben wurde. Ich habe mir irgendwann angewöhnt, Zeilen und Sätze oder auch nur Wörter, die mir gut gefallen und gut klingen aufzuschreiben. Hauptsächlich das, was mit gerade im Kopf herumgeistert, das ist je nach Stimmung eben manchmal positiver, – manchmal etwas düsterer.
Als Malte dann irgendwann die Demo zu “November” gezeigt hat, hat mich das emotional sofort berührt und ich wusste, dass ich dazu eine ehrliche Geschichte erzählen will und hab dann wie immer erstmal in meinen Notizen gesucht.

Aus all den Schnipseln habe ich eine Art Collage meiner Gedanken, der letzten Monate gebaut und dachte ‘Eigentlich ist nichts ehrlicher als das’. Das hat auf jeden Fall auch etwas Therapeutisches. Man kann gut erkennen, wann man sich wie erfolgreich mit sich selbst auseinandergesetzt hat und erkennt außerdem, dass man sich gar nicht NUR schlecht gefühlt hat, auch wenn es manchmal den Eindruck hat.

Generell finde ich es wichtig, beide Seiten im Blick zu haben. Man versinkt schnell in dem Gefühl verloren und allein zu sein, in dem Gefühl überfordert zu sein und nichts auf die Reihe zu bekommen. Dabei übersieht man, wie viel man bereits erreicht hat oder auf dem Weg dahin ist. Manchmal kann es helfen so etwas aufzuschreiben, vor allem wenn man einen guten Tag oder auch nur einen guten Gedanken hat. Ich muss sagen, dass ich mich beim Songwriting hin und wieder schwer damit tue, eine hoffnungsvolle Note mit einfließen zu lassen, da ich im Schreibprozess eben auch schnell „versinke“ und mich in dem verliere, was mich im Inneren beschäftigt. Dadurch vergisst man, dass jede Sorge nur so viel Macht hat, wie man ihr gibt, und das ist doch ein ermutigender Gedanke, an den ich mich aber auch zu selten erinnere.

Den SPERLING-Partsong mit Schallalala und Olé Olé wird es aber nie geben, oder?

Ich glaube nicht so bald. Das ist auch gar nicht despektierlich gemeint, im Gegenteil: Auch Mario hat im Song “Die kleine Angst” einen ähnlichen Part zu geschrieben und davon sind wir große Fans! Ich glaube, es ist eher eine Sache, die man macht, wenn man sich damit wohlfühlt. Ich glaube, ich würde mich damit auf einer Bühne nicht besonders wohlfühlen und das wiederum hört und spürt man natürlich auf einem Konzert. Aber die Leute dürfen selbstverständlich trotzdem gerne mitsingen!

Das Cello ist weiterhin ein enorm wichtiges Element eures Sounds, ihr habt aber einiges Neues integriert, wie zum Beispiel die poppigen Synthies in “Wach” oder in “Fallen”. Der Sound von SPERLING ist also weiterhin dynamisch und nicht in Stein gemeißelt?

Ich mag es sehr gerne, dass unsere Musik immer noch wandelbar ist und wir immer noch in erster Linie das machen, was uns Spaß macht. Man verändert sich mit der Zeit auch selbst, interessiert sich für andere Dinge und lässt sich immer wieder neu inspirieren. Der Sound, der entsteht, wenn wir zusammen Musik machen, entsteht auch durch die verschiedenen Einflüsse, die wir mitbringen. Ich komme eher aus dem Rap, Malte und Josh eher aus der Post-Hardcore aber auch Indie-, und Pop-Richtung, Luca natürlich aus dem Klassischen. Deshalb war es eigentlich nie eine Entscheidung ‘Wir wollen jetzt diese spezielle Musik machen’. Es ist eher organisch entstanden und das hat sich auch nicht verändert. Ich finde es selbst super spannend zu sehen, wohin unsere Musik sich noch entwickeln wird. So überrascht man sich aber auch selbst.

Der Song “Wach” zum Beispiel war von Malte ursprünglich gar nicht als SPERLING-Song gedacht. Er hatte während des Lockdowns einfach Bock einen Song zu schreiben der in eine Synthpop-, und Shoegaze-Richtung zu schreiben. Ich war dann einen Abends zu einer Songwritingsession bei ihm zu Hause und hatte sofort Bock auf den Song. An diesem Abend ist dann über Nacht der Song fertig geworden. Ich hatte zu der Zeit eine sehr undefinierte Beziehung, in der ich sehr unsicher war und oft das Gefühl hatte, dass man Zeit miteinander verbringt, obwohl beide wissen, dass die Beziehung ein Ablaufdatum hat. Daher ist der Song auch ein sehr persönlicher Text und hat sofort auf den melancholischen Vibe des Songs gepasst.

Auch “Fallen” war ein spannender, neuer Prozess für uns. Malte hatte auch recht früh die fertige Demo zum Song und hat sogar einen Refrain darauf gesungen. Auch wenn die Hook zum fertigen Song später nicht mehr so gut gepasst hat, ist es mir trotzdem so fest in Erinnerung geblieben, weil ich so oft beim Autofahren Maltes Refrain mitgesungen habe. Vielleicht taucht sie irgendwo wieder auf.

Ihr habt mit Beray Habip aufgenommen, den ich mit FJØRT in Verbindung bringe, welchen Einfluss hatte er auf den Sound?

Beray hat ja auch unser erstes Album produziert und hat, glaube ich, generell einen prägenden Einfluss auf den SPERLING-Sound gehabt. Auch beim zweiten Album hat Beray viel mitgemacht, vor allem beim Cello-Arrangement und Sound. Luca und Beray haben tagelang eingesperrt im Aufnahmeraum verbracht und dort jeden Song von vorne bis hinten auseinandergenommen und Parts geschrieben. An einiges Stellen klingt das Cello sogar gar nicht besonders „klassisch“ und sogar ich muss manchmal genau hinhören, um zu verstehen, welches Instrument gerade spielt, da die Sounds teilweise ineinanderfließen.

Ich glaube, was Beray vor allem sehr gut macht, ist Songs aufzuräumen. Wir neigen oft dazu einen Song immer weiterzuschreiben nach dem Motto ‘Hier könnte noch was hin und da kann man noch einen Part größer machen’. Oft sorgt das aber dafür, dass die Songs an Dynamik verlieren und man sich ein wenig daran „verkünstelt“. Beray hilft dabei richtig gut die Parts zu sortieren und ein wenig zu sortieren. So ist es beim Song “Verlieren” zum Beispiel gewesen.

Den hatten wir als Demo auch schon einige Zeit vorher, es gab aber immer es undefinierbares, was uns daran gestört hat. Mit Beray haben wir den Song dann aufgeräumt und auch die Drum’n’Bass mäßigen Drums waren Berays Idee, so ist der Song auf einmal einer unserer Favoriten geworden. Manchmal braucht es gar nicht besonders viel, aber in Beray haben wir jemanden, der unseren Sound gut versteht und weiß, wo wir hinwollen und eben weiß, an welchen Schrauben man drehen muss, um dort hinzukommen.

Warum habt ihr gleich an drei verschiedenen Orten aufgenommen? Das hört man der Platte übrigens an und ich finde das großartig.

Das ist natürlich auch immer eine Organisations, – und leider auch Budget-Frage. Es war aber auch cool für uns, unsere Vorproduktionszeit im eigenen Proberaum in Mannheim zu verbringen. Beray kam für die Zeit zu uns und wir haben uns 2 Wochen dort eingeschlossen und an den Songs gearbeitet. Dadurch, dass Malte die Songs geschrieben hat, noch die Texte und die anderen ihre eigenen Aufgaben hatten, war relativ wenig Zeit uns in Ruhe mit den Demos auseinanderzusetzen. Tatsächlich haben wir alle das fertige Album erst 2-3 Wochen vor der Produktion gehört, quasi kurz bevor wir sie aufnehmen wollten. Dadurch hatte man ein anderes Verhältnis zu den Songs, was auch interessant und spannend war, beim nächsten Mal machen wir es vielleicht auch wieder anders.

Andere Aufnahmen sind aber auch bewusst in bestimmten Studios aufgenommen worden. Das Cello und der Drumsound zum Beispiel wurden hauptsächlich im Toolhouse Studio in Rotenburg an der Fulda aufgenommen. Dieses Studio hat nicht nur schon beeindruckende Gäste gehabt, das Gebäude ist auch extra als Studio gebaut – und die Räume so angelegt worden, dass ein Zugang zum sehr Halligen Flur entsteht. Wenn man beim Rekorden dort ein Mikro platziert, hat man später einen unfassbar schönen, natürlichen Hallsound der für Instrumente wie Cello, extrem schön sind.

Eine der größten Stärken der Platte sind die eingängigen Refrains, hast du daran aktiv gearbeitet?

Ich habe mich zumindest bewusst dafür entschieden, dass ich mehr singen will. Bei Songs wie “November” passt es zum Beispiel nicht so gut für mich und bei anderen Songs wie “Die kleine Angst” ist mir auch lange nichts Schönes eingefallen, bevor wir den Song zu einem Feature machen wollen. Ich bewege mich also immer noch ein wenig aus meiner Komfortzone heraus, wenn ich einen Refrain singe, aber es macht auch sehr viel Spaß. Generell finde ich, dass Rap und Gesang sehr miteinander verschwimmen auch in populärer Musik höre ich das immer häufiger. Ich mag das auch gerne, aber wenn ich gefragt werden, würde ich mich in erster Linie trotzdem noch als Rapper verstehen. Ich würde aber nicht direkt sagen, dass ich versuche sie eingängig zu machen. Ich glaube, das ergibt sich von, selbst, wenn man versucht, Melodien auch für sich selbst simpel zu halten, damit sie auch Spaß machen mitzusingen.

Hast du schon darüber nachgedacht, auch mal englisch zu texten?

Ich habe damals auf Englisch angefangen, weil ich immer schon ein großer Fan des Rappers EMINEM bin. Ich bin da aber auch sprachlich schnell an meine Grenzen gekommen und konnte auch nicht wirklich etwas emotional tiefgehendes ausdrücken.

Ich glaube, dass ich die deutsche Sprache schon gerne habe, auch wenn sie oft sperrig und unromantisch klingt. Ich mag aber auch ein wenig die Herausforderung daran, schöne Worte zu finden und auf eine Synthetik darin zu achten. Es gibt abgesehen davon auch einfach viel in mir was ich gerne erzählen und preisgeben möchte und ich glaube, dass kann ich nur, wenn ich mich auch sprachlich komplett entfalten kann und die Hürde nicht da ist. Deshalb bin ich auch doppelt beeindruckt von Mario, der so gewohnt ist auf Englisch zu schreiben und sich für den Song aber auch an deutsche Texte gesetzt hat.

Du thematisierst oft die Elemente Luft und Wasser, manchmal offensichtlich und häufig subtil, welchen Bezug hast du zu Natur?

Ich finde, Natur hat immer etwas Beeindruckendes und Beängstigendes zugleich. Wir haben über Natur viel weniger Kontrolle, als wir gerne hätten, wissen viel weniger als wir gerne wüssten und machen viel mehr kaputt als irgendeine andere Spezies. Im Song “Frost” geht es darum, dass die Welt von der Natur eingeholt wird. Dass die Menschen alles um sich herum – und schließlich auch sich selbst kaputt gemacht haben, aber die Natur aus dem ganzen Chaos wieder zum Leben erweckt wird. Ich finde, das hat irgendwie etwas seltsam düster-romantisches.

Auch im Song “Meer” geht’s häufig, um das Thema Wasser und Angst davor zu haben. Da finde ich den Vergleich passend, dass man sich oft überfordert und ohnmächtig fühlt, so als müsste man gerade allein durch ein ganzes Meer schwimmen. Ich persönlich habe auch ein wenig Angst vor dem Meer bzw. vor dem Gedanken im Nichts zu schwimmen und nicht zu wissen was gerade unter einem schwimmt und das Ufer nicht mal zu sehen.

Was steht für SPERLING jetzt als Nächstes an?

Wir sind natürlich einerseits mega gespannt, was mit dem Album passiert. Wie es den Leuten gefällt, ob alle die sich darauf gefreut haben auch abgeholt werden und was die Menschen und erzählen über ihre Begegnung mit unserem neuen Album. Es steckt wahnsinnig viel Liebe und Arbeit in dieser Platte und man hat viele Monate, die man sich damit auseinandersetzt, daher ist der Punkt, an dem es endlich alle hören können, sehr aufregend.

Ansonsten haben wir super Bock möglich viel zu spielen und unterwegs zu sein. Vor der Tür steht auf jeden Fall erstmal die Tour mit den ROGERS und CASINO BLACKOUT quer durch Deutschland. Danach kommt der Sommer mit Festivals und auch einigen Ideen, die wir haben. Im Herbst ist auch, was sehr Cooles geplant, da habe ich im Moment leider noch nichts Genaues zu, aber Augen und Ohren gerne offenhalten, dann bekommt ihr alles mit, sobald wir was wissen.

Und sonst natürlich weiter Musik machen und hoffen, dass wir weiterhin Menschen mit unserer Musik erreichen und berühren können!

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