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Interview mit Kontrolle zum Album „Grau“

Wenn ich an Gespräche denke, die wir jetzt in den letzten fünf Jahren geführt haben, dann bin ich erschrocken darüber, wie viel sich seitdem normalisiert hat. Wir haben über viele Sachen gesprochen und ich finde, dass vieles rückblickend teilweise schon überholt wirkt und sich noch viel mehr eskaliert hat. Wie fühlt sich das für euch an, wenn das, was ihr ja damals versucht habt, schon drastisch darzustellen, musikalisch und textlich, wenn sich das so überholt hat?

Daniel: Das sehe ich genauso und ich gehe damit, ich empfinde das auch so. Wir freuen uns nicht, dass wir recht gehabt haben. Man könnte ja auch sagen, „Ich habe es euch doch gesagt“. Und ja, das ist erschreckend. Die Richtung ist besorgniserregend. Ich merke das manchmal in der Retrospektive. Also in den Neunzigern habe ich auch gedacht, alles ist scheiße. Aber jetzt sind wir bei 2024 und ich denke mir manchmal schon so, also in den Neunzigern waren doch viele Dinge noch irgendwie besser. Ich will jetzt nicht wie ein alter Mann klingen, aber im Grunde war es doch eine optimistischere Zeit, als ich das damals gedacht hätte.

Carsten: Ja, der Unterschied ist wohl, dass wir damals irgendwie mehr im Widerstand und vielleicht ein bisschen engagierter waren oder sowas. Also ich bin mittlerweile im Alter schon so ein bisschen resigniert. Und denke oft, meine Güte, eigentlich ändert sich ja nichts und alles wird eigentlich im Prinzip nur noch ein bisschen härter und schneller und drastischer. Aber das ist ja im Prinzip die gleiche Entwicklung. Da kann man dann wieder zurückkommen zu deinem Punkt mit Kontrolle oder besser keine. Vielleicht ist das Internet doch nicht so cool, weiß ich nicht. Das muss mehr kontrolliert werden. Ich meine, guckt euch jetzt X an, das ist ja eine Katastrophe. Zum Glück gehen da auch mehr Leute aus diesen Netzwerk weg. Eigentlich müsste das Ding eingestampft werden, aber das ist bei Facebook ja auch nicht besser.

Daniel: Aber eigentlich ist genau die Sorge ja auch schon fast nicht überholt, aber im Vergleich zu den letzten Entwicklungen eigentlich noch kleiner. Weil Elon Musk im Endeffekt ja das, was er mit X gemacht hat, jetzt mit den kompletten USA machen wird. Das ist ja jetzt nur ein Beispiel, aber das meinst du, Nadine, ja vorhin auch mit eskalieren und das normalisiert sich.

Ich weiß nicht, vor ein, zwei Jahren oder so, als er es übernommen hat, dachte ich: Oh Scheiße, was hat der für eine Macht, dieser eine Mensch, was macht der mit dem? Er hat auch eine Monopolstellung, die Twitter hatte. Oder ja, hatte, vielleicht sogar immer noch hat, nicht mehr ganz so stark. Und das habe ich ja schon als Katastrophe angesehen, was Elon Musk da meinungsbildend und machtmäßig veranstaltet hat. Oder im Vergleich zu dem, was jetzt passieren wird, da brauchen wir jetzt nicht in die Glaskugel zu schauen. Das ist angekündigt. Die Methode, die er jetzt anwendet, ist genau die gleiche.

Eine reine Querdenker-Bewegung, über die wir noch ganz konkret zum Song „Zugang zu Informationen“ vom letzten Album gesprochen haben, nehme ich gar nicht mehr wahr – das Gedankengut scheint in alle Richtungen versprengt. Das meinte ich mit Kontrollverlust, denn die Kontrolle hatte man ja, denn man wusste, die gehören dahin, die gehören dorthin.

Carsten: Und genau das meinte ich eben mit der Kontrolle von Social Media oder sowas. Ich habe das bei einer Talkrunde auf Phoenix gesehen, an der auch eine Politikwissenschaftlerin aus Amerika teilgenommen hat, und die sprach von einem tiefen Graben, auch innerhalb von Familien. Vor kurzem habe ich zufällig mit meiner Verwandtschaft über die Wahlen in Amerika und über Trump gesprochen und es wurde ganz schnell klar, dass meine Cousine eben keine Nachrichten schaut, sondern Facebook. Es fehlt auch häufig Medienkompetenz und die Fähigkeit, das, was im Internet steht, zu hinterfragen. Man sprach ja immer von Digital Natives und dachte, die wachsen mit dem Internet auf, aber für die scheint es noch viel, viel schlimmer zu sein. Wenn du mal TikTok anguckst oder so, da wird ja überhaupt nicht mehr hinterfragt. Da passt alles – was in dein Denken passt, ist dann richtig. Ich glaube schon, dass da ein bisschen Kontrolle fehlt, einfach.

„Laubbläser“ ist für mich der stärkste Song auf „Grau“. Anstelle des Bundesadlers könnte man symbolisch einen Laubbläser einsetzen, weil das wirklich das Bild für die Art der Problemlösung ist. Auch die Tatsache, dass niemand mehr den Handfeger bemüht, um in die Ecken zu kommen. Und wenn wir uns im üblichen Jahreszyklus befinden, dann im Herbst, auch kurz vor dem Winter…

Daniel: Dann ist Ende, genau.

Hm, dann ist Ende…

Daniel: Ja, Laubbläser halt (lacht). Du setzt viel Energie ein, um ein Problem von A nach B zu schaffen. Richtig. Völlig sinnlos. Und du machst noch Lärm und gehst jedem auf den Sack dabei. Es kostet Strom oder Benzin, und im Endeffekt hast du ja nur die Blätter von A nach B geschoben, und dann liegen sie halt woanders.

Versucht ihr manchmal, es komplett zu übertreiben? Weil theoretisch könntet ihr das ja, denn ihr habt ja alles, was man für Party-Stimmung brauchen würde.

Andrew: Nicht bewusst, glaube ich. Aber wir haben jetzt für uns keine festen Regeln im Proberaum, wenn wir einen neuen Song machen. Also, wir könnten schon mal sowas machen, es ist alles offen.

Wie viel Wert legt ihr denn auf die Anordnung der Songs?

Carsten: Ich glaube, das ist das, was bei uns immer besser funktioniert. Und ich glaube, dass wir jetzt mit der Platte auch unseren Stil verfestigt haben, das, was uns ausmacht. Aber ich glaube, bei der Platte war das jetzt einfach so: Es gibt keinen Schnickschnack, es gibt keinen Firlefanz drumherum. Das ist uns aber selbst erst aufgefallen, als wir das hinterher im Studio einmal komplett durchgehört haben. Da wurde uns bewusst, dass es manchmal überhaupt keinen richtigen Refrain gibt. Aber das ist dann halt einfach passiert. Und ich glaube, das ist das, was uns mittlerweile ausmacht. „Grau“ ist tatsächlich kompromissloser. Wir haben das einfach noch verfeinert, was vorher schon passiert ist. Ich bin selbst gespannt, was bei der nächsten Platte rauskommt. Keine Ahnung.

Und dann passiert so ein Song wie „Sei nicht so“? Wer oder was ist denn da repetitiv? Ich mag das Wort nicht, benutze es aber selbst oft.

Daniel: Dazu kann man sagen, dass das ein Song ist, der auch Leuten, die uns eigentlich sehr gut finden, tierisch auf den Sack geht. Und es bezieht sich nicht auf irgendwas Konkretes, wenn du fragst, wer oder was ist denn repetitiv? Das ist natürlich einmal dieses Wortspiel, dass man genau das wiederholt – so ein Meta-Humor. Da hat bestimmt jeder selbst irgendwas im Kopf, da bin ich mir sicher.

Das ist einer der Songs, bei denen ich das Gefühl hatte, dass Andrew danach sofort sein Drumkit zusammentritt. Findest du den Song gut?

Andrew: (lacht) Jetzt ja, anfangs nicht so.

Ah, dann hört man das wahrscheinlich.

Andrew: Der war einfach bis zur Aufnahme auch einfach nicht fertig. Ich glaube, wir haben Zwischenteile aus anderen Songs und Strophen ausgetauscht. Am Ende sind aus drei Songs drei neue entstanden. Das war einfach ärgerlich eine Zeit lang, jetzt finde ich den aber gut. Ich habe ihn nicht besonders aggressiver gespielt als die anderen, glaube ich.

Ihr spielt ja nicht nur im Punk-Umfeld, sondern zum Beispiel auf dem WGT, dem Wave-Gotik-Treffen. Sind die Reaktionen im Publikum unterschiedlich, je nachdem, wo ihr auftretet? Kommt da eine andere Resonanz?

Daniel: Ich bin immer sehr erstaunt, dass eigentlich immer irgendwer tanzt. Ich glaube, dass je nach Publikum die Gewichtung anders ist, dass verschiedene Songs vielleicht besser ankommen. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass gerade bei eher wavigeren Publikum die erst ein bisschen erstaunt sind, dass wir doch relativ laut auf der Bühne sind und es ganz schön knallt. Hier kein Drum-Computer und keine Zimmerlautstärke oder so. Wenn man die Wave-Szene mit der Punk- oder Hardcore-Szene vergleicht, würde ich das auch nicht unbedingt sehen. Aber grundsätzlich hängt es auch vom Wochentag ab. Ob du jetzt in Köln spielst oder auf einem Dorf-Metalfest, oder ob du in Norddeutschland oder Süddeutschland spielst. Wir waren in Lübeck, die hatten alle Riesenspaß, aber es waren halt Norddeutsche. Da gibt es natürlich Unterschiede. Ob da jetzt der Wave- und Punk-Unterschied eine Rolle spielt, ist, glaube ich, nur einer von vielen Unterschieden.

Nach dem WGT gab es eine Review von einem Typen aus Tschechien, der fand uns eigentlich nicht soooo schlecht, aber wir waren ihm einfach nicht verträumt genug.

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KONTROLLE 2024, Foto von Marie Laforge

Könnte ich mir gerade beim WGT gut vorstellen, dass die sich fragen, warum machen die so einen Krach und verarschen uns? Vor allem, wenn dann noch so Songs wie „Baumarkt“ kommen…

Daniel: Ja gut, das stimmt ja auch ein Stück weit, aber wir verarschen die ja nicht mehr, als wir uns selbst verarschen. Von daher finde ich das völlig legitim. Das hat ja auch immer etwas Selbstironisches dabei. Wenn das jetzt so rüberkäme, dass es nur auf Kosten der anderen wäre, dann fände ich das kacke und würde dem widersprechen. Das ist also nicht der Eindruck, den ich da erzeugen möchte. Aber ja, wenn man über sich selbst schmunzeln kann, darf man auch über die anderen schmunzeln.

Stimmt, sehe ich auch so.

Daniel: Wir haben auch öfter die Erfahrung gemacht, dass, wenn wir irgendwo gespielt haben, dann hinterher der Veranstalter kam und sagte, dass er hier Leute gesehen hat, die er vorher noch nie gesehen hatte.

Carsten: Das stimmt, das haben wir häufiger mal, ja.

Daniel: Und die aus der schwarzen Gothic-Wave-Szene, wie man auch immer das nennen will, die waren eigentlich oft die Lustigsten. Ein Typ hat uns mal bei „Baumarkt“ ein Geschenk auf die Bühne gelegt.

Carsten: (lacht) Ja, einen Zollstock, das war in Göttingen. Der hatte das vorbereitet, extra gewartet, bis der Song kommt, und dann hat er einen Zollstock rausgeholt, hat den aufgemacht und einen Stern daraus gebastelt und hat dann mit diesem Zollstock getanzt.

Daniel: Hatte der nicht sogar einen Blaumann an? Ich habe dann hinterher mit dem gequatscht und meinte, ey, cool, irgendwie schön, dass er so Spaß hat und da so einen Ausdruckstanz mit einem Zollstock hingelegt hat.

Das ist total verloren gegangen, dass man sowas macht, dass man der Band was mitbringt. Ich finde, das war früher üblich, dass man mal ein Bier oder eine Tütensuppe mitbringt.

Daniel: Ja, doch, also Getränke kriegen wir schon. Wir hatten in Hannover auch ungefragt so ein Tablett mit Schnaps auf der Bühne stehen, beim ersten Song schon. Das gibt’s wohl noch. Was ich grundsätzlich ganz cool finde, das hat sich natürlich auch entwickelt oder verändert mit der Zeit, da sind echt so ein paar Gestalten, jetzt keine, no pun intended, die immer wieder kommen. Es gibt echt so ein paar Leute, ich kenne die ja nicht, aber halt vom Sehen: Du warst doch auch da, ja, ja. Es gibt inzwischen echt so ein paar Leute, die, wenn wir in der Gegend spielen, sind die da. Und das finde ich echt stark.

Also wenn ich an eure nächste Platte denke, dann wird mir schon ein bisschen bange, weil ich mich frage, worum geht es dann und in welche Richtung geht es? Habt ihr schon Ideen oder Songskizzen im Kopf?

Carsten: Also, die erste Songidee gibt es schon, ja. Bei mir zumindest. Aber ich habe die auch noch nicht weitergegeben. Es hat noch ein bisschen Zeit.

Daniel: Die kennst nur du.

Ist es angemessen verträumt?

Carsten: Nein (lacht). Positiv, optimistisch.

Daniel: Das kommt wahrscheinlich am Ende auf den Text an (lacht).

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