Interview mit Marius, Artur und David von All Aboard! zum Album “The Rules Of Distraction”
Die Punkrockband ALL ABOARD! ist leicht als Gang zu entlarven. Man sieht, hört und spürt sofort, warum die vier Musiker ihre Musik machen und auch wie. Nämlich mit deutlich mehr Herzblut und weniger einem Blick auf kommerzielle Erfolge. Das neue Album “The Rules Of Distraction” wäre beinahe gar nicht zustandegekommen, was wirklich schade gewesen wäre. Denn neben einer guten Portion Idealismus, hat das Quartett vor allem eine Menge echt starker Songs am Start.
Wer ist denn bei ALL ABOARD! dabei, wer macht was, wie seid ihr als Band zusammen gekommen und mit welchem Anspruch macht ihr Musik?
Artur: ALL ABOARD! sind Marius (Drums/Vocals), Nils (Bass/Vocals), David (Vocals/Gitarre) und ich, Artur, (Gitarre/Vocals). Als Band zusammen gekommen sind wir im Oktober 2009, als David und ich uns in einer anderen Band kennengelernt haben. Schnell hatten wir die Idee eine neue Band zu starten, weil wir uns gut verstanden haben und auch sehr ähnliche Vorstellungen hatten, in welche Richtung es gehen soll. David kannte Marius, weil Marius damals schon Shows veranstaltet hat und gut vernetzt war und fragte ihn, ob er nicht jemanden kennen würde, der Bock hätte in einer Punkrockband Drums zu spielen. Marius hatte schon länger für sich selbst mal Schlagzeug gespielt und hatte sofort zugesagt. Mit Nils, unserem Bassisten, war schon ich schon lange befreundet und wir haben schon in einigen Bands zusammen Musik gemacht. Auch damals spielten wir noch zusammen in einer Hardcore Band, also fragte ich ihn, ob er nicht Lust hätte. Nils sagte zu, unsere alte Band löste sich auf und von da an ging es mit ALL ABOARD! los.
Das Album “The Rules Of Distraction” wäre ohne die Pandemie wohl gar nicht zustande gekommen, richtig?
Artur: Wahrscheinlich nicht, oder vielleicht nicht so, wie es nun geworden ist. Es war sehr lange still um uns, da wir nur noch sehr wenige Konzerte gespielt haben und auch kaum geprobt haben. Jeder hatte privat einfach noch andere wichtige Sachen, wie Familie, Kinder und Job, die an oberster Stelle standen, sodass die Band eher hinten angestellt wurde. Es war auch mehrmals Thema, die Band langsam im Sande verlaufen zu lassen und uns musikalisch vielleicht auf andere Projekte zu konzentrieren, da wir teilweise unterschiedliche Auffassungen davon hatten, was jedem von uns an der Band wichtig ist. Durch die Pandemie hatten wir aber auf einmal so super viel Zeit, bedingt dadurch, dass drei von uns in der Event-Branche tätig sind. So war es plötzlich wieder möglich, regelmäßig zu proben und alte Songs nochmal aufzugreifen. In diesem Zuge flammte dann doch die Liebe zur Musik wieder auf, auch neue Songs schrieben sich schneller als erwartet und auf einmal standen wir mit genug fertigen Songs und neuem Enthusiasmus für ein Album da.
Wir hatten sogar genug Zeit um eine richtige Vorproduktion zu machen und die Songs alle nochmal zu überarbeiten, ein Prozess, für den wir uns früher nie die Zeit genommen haben. Und hier stehen wir nun und reden tatsächlich über ein neues Album.
Musik hat euch in diesem Fall beschützt und Band bzw. Gemeinschaft zusammengetrieben und zusammengehalten. Das spricht für die therapeutische Wirkung von Musik, welche Bedeutung hat Musik in eurem Leben?
Artur: Ich denke, da spreche ich für alle, dass Musik für jeden von uns einen sehr hohen Stellenwert hat. Nicht nur das Musikmachen, auch das Musikhören, auf Konzerte gehen und generell alles, was damit zu tun hat. Jeder von uns sammelt leidenschaftlich Vinyl, jeder liebt es Musik zu machen. Für mich persönlich war Musik immer präsent, durch meinen Vater kam ich recht früh an “Gitarrenmusik”, dann kam ich durchs Skaten und, wie auch viele andere, durch die Tony Hawk Spiele an Punkrock. Sobald ich mit 14 meine erste E-Gitarre bekam und zwei Power-Chords spielen konnte, habe ich mir Leute gesucht, um eine Band zu gründen. Ich habe immer und überall wo es ging Musik gehört und wollte unbedingt auch selbst Musik machen.
Es war nicht nur die Musik, sondern generell das Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser Skateboard/Punkrock Kultur, das mich fasziniert hat. Aber Musik machen war auch immer ein Ausgleich, eine Art Ventil, um Frust abzulassen und Stress abzubauen.
Marius: Ja, du sprichst da mit der Gemeinschaft einen wichtigen Punkt an. Wir alle identifizieren uns zu einem sehr großen Teil über Musik. Deswegen haben wir uns auch so schwer damit getan, die Band ganz ad acta zu legen. Wir sind Freunde, wir gehen zusammen auf Shows oder sitzen im Park und trinken Bier. Mönchengladbach ist ein Dorf und fast alle Leute, die sich für Punkmusik interessieren, gehören halt auch in irgendeiner Weise zwangsläufig zum erweiterten Umfeld der Band. Wir hätten also auch einfach nix besseres zu tun gehabt als miteinander rum zu hängen. Da kann man auch zusammen Musik machen. Und wenn man mal ganz ehrlich ist: Auf neue Leute in einer neuen Band und deren Eigenarten hat man mit Mitte 30 halt auch einfach nicht mehr so Bock.
Die Songs für “Rules Of Distraction” lagen eigentlich grob fertig seit dem letzten Album 2015 bei euch rum und ihr habt sie jetzt ausgearbeitet, welche Erinnerungen waren in diesen Songs konserviert? Also was genau hat sich, eventuell auch innerhalb der Band, verändert?
Marius: Nicht ganz, es sind auch einige ganz frische Songs dabei. Nichtsdestotrotz spiegeln die natürlich unsere Erinnerungen an die gemeinsame Zeit auch wider.
Artur: Der Song “On and On” beschreibt es ganz gut, die letzten 6 Jahre waren eine Zeit in der die Band immer weniger gespielt hat und wir uns gefragt haben, ob macht es noch Sinn diese Band weiterzumachen? Wir sind von einer tourenden Band mit 30-50 Konzerten im Jahr, zu einer Band geworden, die im Jahr 5-6, manchmal sogar weniger, Konzerte gespielt hat.
Mir persönlich war das zu wenig. Wir haben kaum noch regelmäßig geprobt und alles lief sehr träge. Wir haben uns diverse Male zusammengesetzt und darüber gesprochen, was wir uns alle vorstellen und welche Kompromisse wir finden können. Dann haben wir uns nochmal vor Augen gehalten, was wir schon alles “erreicht” haben. Wir hatten die Möglichkeit mit unserer popeligen Punkband durch fast ganz Europa zu reisen und überall Freund*innen kennenzulernen. Wir haben seit über 10 Jahren Musik zusammen gemacht in derselben Besetzung, in der wir 2009 angefangen haben. Wir kamen zum Schluss, dass es zu schade wäre, alles einfach aufzugeben. Das hat uns, in Verbindung mit der vielen Zeit die wir hatten, wahrscheinlich den nötigen Anstoß gegeben.
Marius: Ja, wie eben auch schon gesagt ist die Band nicht nur Selbst- und Gruppentherapie, sondern eben vor allem Freundschaft. Zudem aber war die Band auch unser “Auslandssemester”, oder was man als richtige*r junge*r Erwachsene*r so macht.
Sehr, sehr viele wichtige und prägende Erlebnisse und Freundschaften in unserem Erwachsenenleben stehen in direkter Verbindung mit der Band. Da hängt man dann natürlich auch dran.
Ihr wirkt als Band auf dem Album sehr geschlossen und vertraut, besonders die Instrumentalparts machen das deutlich, seid ihr eine Band die viel redet oder läuft bei euch einiges nonverbal ab?
Artur: Ich würde sagen, dass da schon viel nonverbal läuft. Über die Zeit haben wir uns, wahrscheinlich unbewusst aufeinander eingespielt oder Abläufe und Mechanismen entwickelt, sodass vieles einfach so läuft und funktioniert, alleine schon, weil wir alle sehr faul sind. Aber dennoch bleibt es nicht aus, dass es mal Diskussionen gibt.
Marius: Ja, wenn geredet wird, ist es meistens irgendein Quatsch. Klar, gibt es mal unterschiedliche Vorstellungen, aber im Grundsatz ist uns allen ja eigentlich klar, wo es musikalisch hingehen soll. Wir wollen Musik machen, die wir selbst auch hören würden. Das klappt auch meistens.
Ich habe mir das tolle Artwork genauer angeschaut, während es unten schon brennt, wird oben noch lustig Party gemacht. Wer Glück hat, zu sterben, bevor das Feuer oben ankommt, hat ein kurzweiliges Leben ohne Konsequenzen gehabt, manche verlassen die Party und versuchen zu löschen. Ist das eure Parabel auf die Gesellschaft, wer hatte die Idee zu diesem Artwork?
Marius: Wow, schöne Interpretation. Die grafischen Elemente sind aber eher unabhängig voneinander zu sehen. Tatsächlich war meine Intention eher anders. Ich habe “The Rules Of Attraction” von Bret Easton Ellis gelesen und irgendwie fand ich den Buchtitel herausragend. Ich habe dann gedanklich damit herumgespielt, was man daraus machen könnte und so kam mir “The Rules Of Distraction” in den Sinn, wobei “Distraction” ja sowohl einfach “Ablenkung”, aber auch etwas krasser so etwas wir “Verstörtheit” bedeuten kann. Beide Übersetzungen passen sehr gut zu unseren Songtexten und mit dem Cover wollte ich den Bogen zur “Attraction” wieder spannen, hier aber im Sinne von “Attraktion”, daher die Freizeitpark-Idee. Damit die “Distraction” wieder hinzukommt, aber halt gerne alles kaputt und abgeranzt.
Ich hatte ursprünglich etwas wie den stillgelegten und verwilderten Spreepark außerhalb von Berlin als Referenz im Kopf. Unsere super talentierten Freunde David Leutert und Oliver Beeker haben dann dieses überragende Cover entworfen. Als “Easter Eggs” haben wir im Entstehungsprozess des Covers noch einige Elemente aus dem Mönchengladbeacher Stadtbild abgewandelt und ins Cover einfließen lassen.
Zu dem Song “Satifaction” mit James von APOLOGIES I HAVE NONE habt ihr ein Video gedreht, ein Song, der sich mit den Süchten und speziell der Sehnsucht nach Befriedigung beschäftigt. Ihr werdet mit “Too ill to sleep. Too tired to stay awake, but the sickness is on its way. Sweat, chills, nausea. Pain and craving.”, was genau hat euch zu diesem Song inspiriert?
Artur: In dem Song geht es um den Kampf mit seinen eigenen Dämonen/ Süchten, den wahrscheinlich auch jede*r auf irgendeine Weise selber führt und kennt. In unserem konkreten Fall ist vielleicht der Weg in die Sucht die verzweifelte Suche nach einem Ausweg, die dazu führt, dass die Sucht ein ständiger, wenn auch unangenehmer Begleiter wird.
David: Artur umschreibt es eigentlich schon sehr gut. Ich glaube, eine Sucht entsteht immer dort, wo es einen Bedarf zur Flucht gibt. Die Befriedigung ist das Fliehen. Und ich glaube, dass es nur wenig gibt, das einen Fluchtreflex so sehr triggern kann, wie die Realität. Sei es der übliche Alkoholrausch am Wochenende, Joints oder etwas ganz Anderes; das alles hilft sicherlich davor zu entfliehen – für einen Moment, aber irgendwann dann gar nicht mehr.
Es ist keine wirkliche Befriedigung, sondern nur Fiktion.
Marius: Die Textzeile, die du ansprichst, ist übrigens aus dem Film Trainspotting. Natürlich ein extremes Beispiel wie sich so ein Karussell weiterdrehen kann, aber zu Beginn steht da prinzipiell auch nichts anderes als die “Flucht” in den Kontrollverlust, die man selbst auch im Club, in der Kneipe oder (aktuell) im Wohnzimmer sucht.
Wer schreibt denn bei euch die Texte und hat da jemand die alleinige Macht oder verhandelt ihr viel über die Inhalte?
Artur: Die Texte schreibt meist David, ab und zu stammen sie auch mal von Marius oder in Teilen von mir, aber das ist eher die Ausnahme. David genießt bei uns da eigentlich Narrenfreiheit und hat auch unser vollstes Vertrauen. Die Inhalte diskutieren wir eher selten, wenn geht es meist nur um einzelne Textpassagen, die im Songwriting Prozess umgemodelt werden müssten, um musikalisch besser zu passen.
“On and On” wirkt auch mich bisschen zwiespältig. Man weiß nicht so genau, ob ihr es jetzt gut findet, dass alles immer weitergeht – eventuell auch im gleichen Trott – oder ob euch das beruhigt? “Some lyrics have failed me, some chords pulled me up” heißt es in dem Song, habt ihr jeder jeweils ein Beispiel für einen der beiden Fälle oder beide?
David: “On and On” ist auch zwiespältig. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn man nach 10 Jahren zusammen Musik machen nicht hin und wieder auch mal keinen Bock hat oder Erwartungen vielleicht nicht erfüllt wurden, wäre das schon Wahnsinn. Ich denke, jeder Musiker wollte an irgendeinem Punkt in seiner ‚Karriere‘ mal berühmt sein. Aber man muss sich auch eingestehen können, dass man nicht bereit ist, auch alles dafür zu tun. Wir machen gerne Musik, zusammen sind wir mittlerweile auch gar nicht mehr so rumpelig und wir haben nach zehn Jahren immer noch, wenn auch selten, die Möglichkeit besoffen vor Besoffenen zu stehen und Krach zu machen. Solange das geht, fahr ich gerne im Kreis.
Marius: Absolut. Die Textzeile zielt darauf ab, dass jeder von uns öfter kurz davor war, dass einem die Band komplett egal ist. Man die Texte vergessen und wollte nicht mehr im Kreis fahren. Aber irgendwann findet man sich dann doch im Van wieder und liebt die Musik und das, was man tut.
Was sind eure Pläne und Wünsche für die nähere Zukunft mit der Band? Bleibt ihr jetzt härter am Ball?
Artur: Wir hoffen natürlich, dass wir, sobald es wieder möglich ist, so viele Konzerte spielen zu können, wie es geht. Es gibt jede Menge Freund*innen zu sehen und sehr viele Biere zu trinken. In der Pandemie wurde mir nochmal vor Augen gehalten, wie wichtig mir Musik machen ist und ich hoffe, dass wir mit dem selbem Elan am Ball bleiben, den wir versucht haben mit der neuen Platte festzuhalten.
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