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Interview mit Nathan Gray über das Album “Rebel Songs”

War es für dich, mal so rein als Musiker, der bisher Punk und Hardcore gemacht hat, schwer, in diesen neuen Rhythmus zu finden, der dir ja neu war?

Obwohl ich diese Musik schon immer mochte, war das natürlich total neu für mich. Also habe ich mich an das gewandt, was ich als meine Bibel bezeichnen würde. Und das sind (lacht) THE CLASH. Das erste ihrer Alben hatte schon diese Reggae-Elemente und es hat mir extrem geholfen, das stückweise in meine Musik einzubauen. “London Calling” ist kein schneller, aggressiver Song, aber die Botschaft ist unmissverständlich und deshalb kam er mir damals sehr drängend vor, das ist auf jeden Fall Punk. Ich sehe mich als Punk, das werde ich immer sein, aber es ist Zeit andere Elemente einzubauen und nicht immer den gleichen Stiefel durchzuziehen. Das bringt niemandem etwas.

Du hast deine Profile im Netz von NATHAN GRAY in NATHAN GRAY AND THE IRON ROSES geändert. Das ist also jetzt eine richtige Band?

Korrekt. Ich wollte ihnen mehr Autonomie geben, einen Namen und ein Gesicht, denn sie sind ein wichtiger Bestandteil und es war mir wichtig, dass ganz unterschiedliche Menschen, mit unterschiedlichen Hintergründen dabei sind. Weil ich unsere Shows zu einem sicheren Platz für alle machen wollte. Ich rede ziemlich viel mit den Leuten während der Show, aber nicht alle fühlen sich gut und sicher dabei, mit mir zu reden. Sie brauchen Menschen, die so fühlen und aussehen wie sie und mit denen sie ihre Erfahrungen teilen können. Deshalb sollte die Band diese Vielfalt spiegeln, weil das einfach toll ist. Man kann nicht immer nur über Utopien reden und dann etwas ganz Anderes repräsentieren. Diese Band ist eine Mission, nicht nur eine neue Band. Wir versuchen, als ein Kollektiv und eine Gemeinschaft, die Menschen auf einer ganz anderen Ebene zu erreichen.

Vielen Bands fällt es gar nicht auf, dass ihre Worte nicht mit ihren Taten übereinstimmen.

Ja, das ist bedauerlich. Sei die Veränderung. Ich hoffe, dass die Leute das merken bei unserer Band, sich davon angesprochen fühlen, mehr Vertrauen in die Texte haben und sich gut aufgehoben fühlen. Es geht so oft um nur um starke Slogans und Symbole, diese vielen aktivistischen Parolen und trotzdem geht man am Ende irgendwie enttäuscht nach Hause. Denn eigentlich hat man nur eine Band gesehen und gute Dinge gehört, aber geändert hat sich dann doch nichts. Aber hey, die Musik war gut (lacht).

Habt ihr also die Musik schon zusammen entwickelt?

Die Grundlagen der Songs kamen von mir, aber wir haben dann alles zusammen entwickelt.

Kannst du mir sagen, was das mit dir als Künstler gemacht hat, plötzlich mit diesem Line-up zu arbeiten?

Das hat mich extrem verändert. Es ist ganz anders, wenn man mit so vielen Menschen spricht, die alle ganz andere Erlebnisse, Idee und Lebensläufe haben und nicht mit einem Haufen weißer Typen (lacht). Es ist schön, das, was ich bisher geschaffen habe, als Grundlage zu haben und daraus jetzt etwas ganz Anderes abzuleiten. Viele Musiker sollten das tun, denn es ist sehr bereichernd. Gerade weiße Männer gehen verdammt oft davon aus, dass sie gerade absolut Großartiges geschaffen haben und ihre Perspektive wegweisend für alle ist. Es ist natürlich nicht leicht, sich selbst einzugestehen, dass das nicht so ist. Deshalb halten wir daran krampfhaft fest, verweigern anderen Raum, ignorieren andere Kulturen und andere Ideen. Das ist eine fürchterliche Bigotterie, richtig schöne Kunst können wir erschaffen, wenn wir loslassen und andere Einflüsse zulassen. Genau deshalb liebe ich das Album, denn normalerweise kann ich nur meine eigenen Einflüsse erkennen, aber dieses Mal höre ich die anderen und das macht mich wirklich glücklich (lacht).

Im Titelsong singst du darüber, dass Musik kein Produkt ist. Kannst du mir sagen, was Musik dir gegeben hat?

Es war ein neues Verständnis davon, wie das Leben funktioniert. Als ich Musik in der Sammlung meiner Eltern entdeckt habe und zum ersten Mal etwas gefühlt habe, war ich total begeistert. Was ist das, wo kann ich mehr darüber erfahren? Als ich dann später einige dunkle Tage in meiner Kindheit überstehen musste, war es Musik, die mir Hoffnung gab. In Zeiten, als ich eigentlich keine hatte. Musik war da und ging nicht weg, das war so ein Geschenk. So ist es bis heute geblieben und ich kann sagen, dass Musik mein bester Freund ist.

Was ist denn der Unterschied zwischen Musik selbst machen und Musik als Fan hören?

Musik machen gibt dir in erster Linie diesen Besitzanspruch, den du nicht hast, wenn du Musik von anderen hörst. Für mich ist es total wichtig Musik selbst zu machen, ein Teil davon zu sein. Jemand wie ich kann einen Song machen, der geht raus in die Welt, keine Ahnung wohin. Aber an einem Punkt, an dem ein anderer Mensch diesen Song braucht, ist der da und kann Leben verändern. Ist das nicht verrückt?

Klingt wie Magie.

Ja, ist es doch auch (lacht). Das kommt Spiritualität wohl am nächsten, oder? Die Kraft von Musik, das Gleiche ist mir ja auch passiert. Wir treffen uns nie im Leben, die Künstler und ich, aber in diesem Moment waren die Songs da. Das ist auch der Grund, warum wir traurig sind, wenn Künstler sterben. Ja, wir kennen uns nicht, aber wir waren die besten Freunde. Wie herrlich ist das denn? Für die Künstler und die Hörenden ist Musik von so enormer Wichtigkeit, was für eine starke Verbindung.

Der Übergang wirkt jetzt hart, aber “Capitol Stairs” befasst sich mit Sicherheit damit, was im Januar 2020 passiert ist, als das Capitol in Amerika gestürmt wurde. Wann hast du davon erfahren und was war deine erste Reaktion?

Zu dieser Zeit klebten wir sowieso alle vorm Fernseher. Denn wir warten sehnsüchtig darauf, dass endlich von Pence verkündet werden sollte, dass Trump nicht mehr Präsident ist und Biden übernehmen wird. Um ehrlich zu sein, die meisten von uns dachten, dass das nicht passieren wird und wir stattdessen sehen werden, wie die Demokratie live und vor unseren Augen zugrunde geht. Plötzlich hörte man diese Panik und das Klopfen an der Tür, im Sekundentakt kamen Nachrichten von Freunden bei mir an. Was ist da los? Was passiert da? Wir waren verängstigt und die meisten von uns haben sofort an 9/11 gedacht.

Wie aus dem Nichts kam diese Attacke, das war grauenhaft, nach und nach kamen dann immer mehr Bilder davon rein, auf denen zu sehen war, was genau da abging. Je mehr Informationen hereinkamen, umso ruhiger wurde man, denn es war klar, dass es zwar absolut verrückt ist, aber schon sehr isoliert stattfindet. Dann schlug Angst in Wut um und für mich war das ein Moment, in dem ich realisierte, dass diese Menschen benutzt wurden. Man will sie hassen und wütend auf sie sein, weil das einfach ist.

Aber ich konnte es nicht, aber ein Teil von mir tat es doch und ich fühlte mich so schlecht dabei. Angeführt von diesem furchtbaren Mann, der sie jahrelang mit Hass gefüttert und angestachelt hat, wurden sie zu diesen Menschen. Es machte mich sehr traurig, dass unser Land so weit gekommen ist. Ich will sie nicht entschuldigen, aber sie tun mir leid. Den Song habe ich geschrieben, weil ich weiß, dass Trump und seine Anhänger deshalb niemals Gewissensbisse deshalb haben werden. Darum geht es und nicht um die Menschen, die gefolgt sind. Sondern um die, die sie auf diese Spur und den Hass in ihren Herzen gebracht haben.

Ein Kommentar

  • Das ist ein herrlich tiefgründiges Interview. Mir gefallen die Boysetsfire Sachen zwar besser, aber Nathan Grey ist ein interessanter Typ und jetzt hör ich mir das neue Zeug doch mal an.

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