Lest das Interview mit Tim Lannen zum Album "Collarbone" bei krachfink.de

Interview mit Tim Lannen zum Album “Collarbone”

Anfang der 2000er-Jahre habe ich mit ein paar guten Freunden das Internetmagazin Crazewire.de gegründet. Eine ziemlich schlaue Idee, bekamen wir so doch immer alle aktuellen Veröffentlichungen bekannter und – noch viel interessanter – vieler uns völlig unbekannter Bands. So lag zum Weihnachtsfest 2005 das Debütalbum einer New Yorker Band auf meinem Schreibtisch – THE DIGGS. “Commute” ist in seiner Gesamtheit ein eher solides Album. Der Opener “It´s Just Like You Say” hingegen ist einer der tollsten Songs aller Zeiten. Ich liebe dieses Stück, seine Dynamik und den stoischen Gesang bis heute. Life Changer würde man heute wohl sagen.

Dieser Song ist auch der Grund, warum ich alle Jubeljahre nach der Band gesucht habe. Im vergangenen Jahr habe ich dann zufällig den THE DIGGS-Sänger Tim Lannen im Internet gefunden. Ein sympathischer Kerl, der, wie es der Zufall will, im Juni ein neues Soloalbum veröffentlicht. Grund genug, mal nachzufragen, wie es ihm in den vergangenen Jahren ergangen ist und was uns auf seinem neuen Album erwarten wird.

Hallo Tim, ich könnte mir vorstellen, dass viele unserer Leser Dich noch nicht kennen. Möchtest Du Dich kurz vorstellen und uns etwas über Deinen musikalischen Werdegang erzählen?

Tim: Hey Lasse, schön hier zu sein! Aufgewachsen bin ich in New York, auf Long Island. Ich lebe momentan aber in Brooklyn, arbeite in Manhattan und mache bereits seit meiner Jugend Musik. Ich habe in den frühen Neunzigerjahren angefangen Gitarre zu spielen, nachdem ich JOHN FRUSCIANTE von den RED HOT CHILI PEPPERS im Video zu “Under the Bridge” gesehen habe. So albern das auch klingen mag. Ich meine, ich habe eine Fender Jaguar in der gleichen Farbe – candy apple red. Schon früh lag mein Fokus eher auf dem Songwriting und weniger darauf, ein Virtuose auf der Gitarre zu sein. Von 2004 bis 2009 war ich schließlich Frontmann einer Band namens THE DIGGS. Wir haben zwei Alben veröffentlicht, die man wirklich überall finden kann.

Nach zwei EPs im Jahr 2016 veröffentlichst Du am 30. Juni 2023 Dein erstes Soloalbum. Wie kam es nach so einer langen Pause dazu, dass Du doch noch mal ein Album aufgenommen hast? Und was kann der Hörer von Deinem neuen Album “Collarbone” erwarten?

Tim: Ich denke, die lange Pause ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass ich Vollzeit ein Café betreibe. Außerdem habe ich mir auch wirklich viel Zeit genommen, alle Gitarren und Vocals aufzunehmen. Schlagzeug und Bass wurden dann im The Bunker Studio in Brooklyn aufgenommen, was eine sehr coole Erfahrung war. Ich kann das Studio nur wärmstens empfehlen. Es war eine wahre Freude, mit Todd Carder, dem Toningenieur, zusammenzuarbeiten. Sehr chillig und professionell. Der größte Teil des Schreibens für dieses Album begann während COVID, aber einige der Songs sind auch schon etwas älter. “Collarbone” fühlt sich an wie ein Mix aus meinen älteren Solo-Sachen
und THE DIGGS. Ich glaube, das Album klingt einfach nach mir.

“Collarbone” wird auf dem Independent-Label Totally Real Records erscheinen. Was sind für Dich als unabhängigen Musiker die größten Herausforderungen im Jahr 2023? Und wird es einen weltweiten Vertrieb des Albums geben?

Tim: Ja, ich nehme an, dass es weltweit veröffentlicht wird. Es wird im Grunde auf allen Streaming-Portalen und über Bandcamp veröffentlicht. Als unabhängiger Musiker fällt es mir manchmal schwer, mich zu motivieren Musik zu machen, obwohl es mir fast immer Glück und Zufriedenheit bringt.

Warum heißt das Album eigentlich “Collarbone” (dt. Schlüsselbein)? Gibt es eine Hintergrundgeschichte?

Tim: Jemand, den ich von der Arbeit kenne, kam eines Tages herein und erzählte mir, wie er sich kürzlich das Schlüsselbein gebrochen habe und dass Schlüsselbeine lediglich ein Puffer für größere und wichtigere Knochen sei. Also im Endeffekt dazu da ist zu brechen, um andere Teile zu schützen. Das fand ich irgendwie super und entschied mich sofort dafür, dass Album “Collarbone” zu nennen.

Im Video zu Deiner ersten Single “The World’s A Toothache” wirfst Du Plattencover (zum Beispiel von SUNNY DAY REAL ESTATE-Sänger JEREMY ENIGK) und Graphic Novels (“Black Hole” von Charles Burns) auf den Boden Deines Zimmers. Sind das die Einflüsse, die wir auf Deinem Album erwarten können? Woher nimmst Du sonst noch Deine Inspiration?

Tim: Inspiration ist überall. Vor allem die Texte stammen aus meinem ganz normalen Alltag. Wenn ich etwas lese oder hier im Laden jemand etwas sagt, schreibe ich es in meine lange Notizbuchdatei, die ich auf meinem Handy habe. Ich bin im Laufe der Jahre ein bisschen zu einem Comic-Leser geworden und habe “Black Hole” wirklich geliebt. Aber ich kann nicht sagen, dass es einen der Songs in irgendeiner Weise beeinflusst hat. Ich glaube einfach, dass mich alles inspirieren kann, ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. Ich liebe übrigens diese Platte von JEREMY ENIGK (gemeint ist “Return Of The Frog Queen”, Anm. d. Verfassers). Allerdings weiß ich nicht, ob “Collarbone” irgendwelche Songs enthält, die an seine Arbeit erinnern, aber noch einmal, man weiß nie. Es hat mir übrigens sehr viel Spaß gemacht, dieses Video zu drehen! Ich wachte an einem Samstagmorgen auf und wusste, dass ich ein Video machen musste. Also fing ich
einfach an, mit meinem Handy und einer Bearbeitungssoftware herumzuspielen, von der ich kaum wusste, wie man sie benutzt. Am Ende des Tages hatte ich dann dieses Video fertig!

Reden wir kurz über Deine Texte. Textzeilen wie “Have you ever been lucky? If I have, I’ve forgotten. If I’ve forgotten, refresh me” holen mich persönlich ziemlich ab. Wie wichtig sind Dir Deine Texte und wie autobiografisch sind sie?

Tim: “The World’s A Toothache” ist ein ganz besonderer Song für mich geworden. Auf meinem Handy hatte ich eine Demo der Gitarrespur und ein paar Fake-Drums. Eines Tages nahm ich ein paar dieser Ideen im Studio auf. Dabei merkte ich schnell, dass der Song eigentlich strukturell bereits fertig war. Bei den Proben war es dann mein Drummer Charlie Schmid, der sagte, wir sollen doch mal mit unterschiedlichen Dynamiken und Tempi arbeiten. Steve Pellegrinos Bassline fügt dann eine weitere dringend benötigte Dimension hinzu. Ich denke, meine Texte sind größtenteils autobiografisch, obwohl ich gelegentlich etwas hinzudichte, dass ich irgendwo gelesen oder gehört habe. Ich schätze, die Songs drehen sich fast immer um mich, mich, mich! Mit zunehmendem Alter möchte ich, dass meine Songs textlich und thematisch Sinn ergeben. Ich hoffe auf der einen Seite, dass der Hörer weiß, was ich zu sagen versuche. Auf der anderen Seite wäre es aber auch ziemlich cool, wenn sie es nicht tun, glaube ich.

Als unabhängiger Künstler ist es heutzutage ziemlich kompliziert, von seiner Musik leben zu können. Einerseits sind die Einnahmen aus dem Verkauf von Vinyl und CDs – gerade bei Live-Konzerten – enorm wichtig. Andererseits hätte ich Dich ohne Streamingdienste nicht wieder entdeckt. Wie gehst Du mit diesem Dilemma um?

Tim: In schreibe einfach Songs und nehme sie mit meinen Freunden auf. Wir spielen hauptsächlich lokale Gigs. Ich hoffe, dass sich Vinyl und Kassetten sich gut verkaufen, aber eigentlich möchte ich nur, dass die Leute meine Lieder hören. Ich müsste daher meine Social-Media- und Internet-Kenntnisse ein wenig auffrischen, aber das ist wohl typisch für alte Leute wie mich.

Das Album erscheint Ende Juni, was passiert dann weiter? Gehst Du mit Deiner Band auf Tour? Und gibt es Pläne, die Dich vielleicht auch nach Europa führen könnten?

Tim: Es ist keine Tour geplant, aber ich hoffe, dass dieses Album viele Menschen hören. Sei es durch die Kassetten und Schallplatten, die über Totally Real Records veröffentlicht werden, oder eben durch Streamingdienste. In Europa zu spielen, wäre natürlich cool! Shows zu spielen macht immer noch sehr viel Spaß, egal ob ich alleine unterwegs bin oder mit einer kleinen Band.

Danke Tim. Und viel Glück mit dem neuen Album.

Tim: Vielen, vielen Dank!

Artikel von Lasse Paulus

There’s also an english version of this interview with Tim Lannen about his new album “Collarbone” available, you’can find it here

Artikel, die Dir gefallen könnten:
ACCIDENTAL BIRD – The Old News Shrug
Paul Sexton – CHARLIE’S GOOD TONIGHT: Die autorisierte Biographie von Charlie Watts
Dirk von Lowtzow – Ich tauche auf
BURKINI BEACH – Best Western
FAKE NAMES – Expendables
BAD COP/BAD COP – The Ride
RONG KONG KOMA – Delfine der Weide
JOYCE MANOR – Song From Northern Torrance
DAYS’N DAZE – Show Me The Blueprints
CLOWNS – Nature / Nuture
DUNE RATS – Hurry Up And Wait
MEAN JEANS – Gigantic Sike
Gemischte Tüte mit Stevie und Will von CLOWNS
THESE NEW SOUTH WHALES – I Just Do What God Tells Me To Do
AMYL AND THE SNIFFERS veröffentlichen Video zu “Gacked On Anger”
FAKE NAMES – s/t
27 Jahre DONOTS – “Heute Pläne, morgen Konfetti” – Die Show
HAL JOHNSON – Seasons
13 CROWES – Solway Star
FOUR YEAR STRONG – Brain Pain
Fiddlehead veröffentlichen Video zum Song “Down University”
WESTERN ADDICTION – Frail Bray
CULTURE ABUSE – God Shit, Bad Shit, Who Gives A Shit
THE OFFSPRING – Let The Bad Times Roll
Die Geschichte der Donots: Heute Pläne, morgen Konfetti von Ingo Neumayer
AUTHORITY ZERO – Ollie Ollie Oxen Free
DESCENDENTS – 9th & Walnut

TIM LANNEN bei Instagram
TIM LANNEN bei Bandcamp

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert