Joakim Zander – Ein ehrliches Leben – Review
„Ein ehrliches Leben“ von Joakim Zander verdient eines der kostbarsten Labels, die man einem Roman verleihen kann: Er ist so spannend, dass man ihn nicht aus der Hand legen und in einem Rutsch lesen will! Kein Wunder, dass das neuste Werk des schwedischen Autors bereits für eine Netflix-Verfilmung bestätigt wurde. Simon lebt in einer Kleinstadt und wie die meisten jungen Menschen auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz in der Gesellschaft. Er entscheidet sich dazu, in Lund ein Jurastudium anzutreten und wagt somit einen Schritt aus der ihm vertrauten Mittelschicht.
Schnell merkt er, welche nicht aufholbaren Unterschiede es zwischen ihm und den anderen Kommilitonen gibt. Zufällig gerät er in eine Demonstration, lernt dort eine geheimnisvolle Frau kennen, die ihn in eine ganz andere, aufregende Gesellschaft einführt. Die anfängliche Neugier schlägt schnell um, denn Simon wird klar, dass vermeintlich profunde Begriffe doch dehnbar und mit seinem Gewissen unvereinbar sind.
Willst du frei sein oder angepasst?
„Ein ehrliches Leben“ von Joakim Zander befasst sich durchweg mit der vermeintlichen Chancengleichheit unserer Gesellschaft und dem tatsächlichen Wert von Arbeit und Bildung im direkten Vergleich mit Herkunft und angeborenen Privilegien. Die rebellische Antwort darauf erfährt Simon vermeintlich von seiner Bekanntschaft und deren Anhang, den selbst ernannten Banditen. Sie zeigen ihm Möglichkeiten des Widerstandes auf, versprechen aufregende Abkürzungen und ein wildes, freies Leben in einer geheimnisvollen Unterwelt. Der Eindruck, dass Simon eine Wahl hat, trügt.
Der Autor Joakim Zander hat ein gutes Händchen für Cliffhanger, jeder letzte Satz eines Kapitels ist ein Anreiz um sofort weiterzulesen. Selbst wenn man meint, den Verlauf zu kennen und aus manchen Gesprächen schon ableiten kann, wie sich die Geschichte entwickelt, ändert der Autor doch immer die Richtung und hält viele Überraschungen bereit. Die Banditen definieren ihre eigenen Grenzen, kehren sich von der Gesellschaft ab und sind doch weiterhin zwangsläufig ein Teil von ihr. Es ist verlockend, sich dieser Möglichkeit hinzugeben, bis man erkennt, welche Konsequenzen das nach sich zieht.
Wie viel Radikalität ist gerechtfertigt
Die eigene Perspektive schwankt also in „Ein ehrliches Leben“ von Joakim Zander, stellt die Leserinnen und Leser auf die Probe. Man neigt dazu, die radikalen Ansichten zu befürworten, legt für sich selbst Grenzen fest und merkt erst, wenn diese überschritten werden, welche Folgen daraus entstehen können. Die dynamische Gefühlswelt des Studenten Simon ist nachvollziehbar, er leidet unter seinen überheblichen Mitstudenten und versucht seine Herkunft zu vertuschen. Nach und nach wächst sein Selbstbewusstsein, allerdings wird ihm auch klar, wie aussichtslos sein Kampf ist und dass er noch viele weitere Optionen hat.
Am Ende von „Ein ehrliches Leben“ hat man wahrlich noch keine Definition für viele Begrifflichkeiten. Aber Joakim Zander vermittelt, dass man sich selbst damit auseinandersetzen muss, woher man seinen Selbstwert zieht, wie weit man sich anpasst und was man für sich als Werte definiert. Ein aufregendes Buch, das nachhallt.
Seiten: 432
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
ISBN-10: 3499012162
ISBN-13: 978-3499012167
VÖ: 16.07.2024
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