Kontrolle – Grau – Review
Postmoderner Zynismus mit Musik – KONTROLLE aus Solingen fassen die aktuelle Lage auf ihrem mittlerweile dritten Album passend als „Grau“ zusammen. Je nachdem, aus welcher Perspektive man die Farbe analysiert, kann sie durchaus positive und negative Aspekte haben. Der Post-Wave-Punk des Trios neigt sich eher Richtung Ambivalenz und Unsicherheit und vermittelt das Gefühl von Leere und Eintönigkeit. Fliegt man so über die Tracklist, fällt einem tatsächlich spontan zu jedem Titel ein spitzes Klischee oder eine passende Metapher auf unsere kaputte Gesellschaft ein.
Texter, Bassist und Sänger Daniel überrascht trotzdem immer wieder mit neuen, ganz eigenen Sichtweisen, die eben nicht immer auf der Hand liegen. Diese skandiert er dramatisch oder einfach maximal angepisst und klar gesprächsverweigernd. Drummer Andrew und Gitarrist Carsten prügeln die Kompositionen durchweg nach vorne; im direkten Vergleich mit dem Vorgängeralbum „Zwei“ wirken KONTROLLE mehr unter Stress und musizieren stoisch in eine Richtung.
Marginale Veränderungen, die es in sich haben
Vom vermeintlich wegweisenden Album und prägenden Kursänderungen kann hier nicht die Rede sein. Der Sound ist gefestigt und erschließt sich nichts Wesentliches Neues. Gut so! Wer ganz sensibel ist, wird aber schon merken, dass selbst KONTROLLE die letzten paar Glückshormone auszugehen scheinen. Die Soundwände wirken unerschütterlicher, der Aufbau der Songs geht deutlich fixer und die miese Stimmung ist unverrückbar. Kein Wunder, die schlechte Laune ist berechtigt, denn ein Großteil der angekündigten Dystopien, die auf den ersten beiden Alben angedeutet wurden, hat sich mittlerweile selbst überholt.
„Ich atme ein, ich raste aus.“
So richtig in eine Szene haben KONTROLLE nie gepasst. Zu sperrig für den Punk, zu schwarz der sogenannte Humor, die schlechte Laune zu ernst gemeint und zu rigoros in der Auflösung. Songs wie „Hans Dampf in der Krise“ erinnern stark an die Pioniere der Neuen Deutschen Todeskunst der späten Achtzigerjahre, sind aber für das aktuelle Gothic-Personal eigentlich zu rüde: abgenagte Kompositionen, lediglich getragen von bitterbösen und disharmonischen Synthies, die nur durchbrochen werden durch eine Eskalation. Daniels düstere Lyrik bietet sich eben für die Kombination mit elektronischer Musik geradezu an, ein Akzent, der KONTROLLE mittlerweile ausmacht.
Dass besagter Hans Dampf in der Krise steckt, ist besonders tragisch, steht er doch für eine Person, die eigentlich vielseitig begabt ist. Ähnlich wie DIE NERVEN findet die Band immer wieder passende Teekesselchen; so werden aus denen, die eigentlich (mit)gestalten sollen, im abschließend schleppend stumm nach vorne schreienden Ja-Sager-„Gestalten“.
“Was ist los mit den Leuten?”
KONTROLLE fischen wirklich da, wo vorher noch niemand sein Glück versucht hat, und leben dann aber auch mit den Konsequenzen, dass einige schlichtweg nichts damit anzufangen wissen. Die Kernfrage stellt Daniel eigentlich schon im Opener “Leseecke”: Was ist los mit den Leuten? Wer gar nicht mehr mitkommt, kann zu „Grau“ immer noch tanzen. Es ist kein leichtfüßiges Tanzen, sondern eher ein wütenden Ausschütteln. KONTROLLE wiegeln mit „Grau“ anständig auf; man verliert sich in den Songs und nimmt irgendwann nur noch den hitzigen Takt, den aufstachelnden Gesang und die alarmierende Kombi aus Gitarre und Bass wahr. So muss das sein; anders als im Rausch kann man diesen Abfuck wirklich nicht mehr ertragen.
Dauer: 31:12
Label: Holy Goat Records
VÖ: 28.09.2024
Tracklist “Grau” von KONTROLLE
Leseecke
Grau
Laubbläser
Sei Nicht So
Die Meisten
Hans Dampf in der Krise
Bohren
Hüttenschnaps
Epoxid
Am Fluss
Knotenkopf
Gestalten
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