Rechter Terror Artwork Martin Steinhagen

Martin Steinhagen – Rechter Terror: Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt – Review

Der Journalist und Autor Martin Steinhagen hat seinem aktuellen Buch „Rechter Terror: Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt“ vollkommen bewusst diesen Titel verpasst und weist damit auf einen wesentlichen Punkt hin. Gewalt erfolgt nicht immer impulsiv oder gar aus Versehen. Sie ist Teil einer groß angelegten Strategie. Steinhagen recherchiert schon lange in der rechtsextremen Szene und kann seine Einschätzung deshalb mit Fakten begründen.

Er beschreibt eine Szene, die vor allem in den Neunzigerjahren als laut wahrgenommen wurde. Ein Jahrzent, das zweifelsohne sehr prägend war. Danach hat man sich geschickt umstrukturiert und anders, unauffälliger maskiert. Die Rechten agieren nun auf eine Weise, die für die breite Öffentlichkeit nicht vorhersehbar und schwerer einzuordnen ist. Der Plan, die öffentliche Wahrnehmung zu verschieben, scheint erfolgreich.

Vorbei sind die Zeiten mit optisch unverkennbaren Indizien wie Bomberstiefeln und Glatzköpfen. Die eine Szene gibt es sowieso nicht. Stattdessen sind zahlreiche Splittergruppen mit unterschiedlichen Zielen und Zusammensetzungen gleichzeitig unterwegs. Alle fallen durch xenophobe Äußerungen und Handlungen auf.

Das Märchen vom Einzeltäter

Immer wieder fällt in der medialen Berichterstattung der Begriff „Einzeltäter“. Ein Begriff, der einer großen Gruppe den Freischein gibt, sich nicht weiter damit auseinandersetzen zu müssen. Und die andere Gruppe darf wieder gedanklich ein Fähnchen in ihre Deutschlandkarte pinnen. Für sie ist es ein weiterer Triumph, da sie ihre menschenverachtenden Ideologien durchsetzen konnten, ohne Folgen befürchten zu müssen.

Denn was kann die Gesellschaft dagegen tun, dass es immer wieder vereinzelt Verwirrte gibt? Der schon damals von Gerhard Schröder beschworene „Aufstand der Anständigen“ lässt Luft nach oben. Die Zahl der ungeklärten, eingestellten oder schlichtweg niemals mit dem Anspruch auf Aufklärung aufgenommen Fälle, ist lang. Es herrscht eine gefährliche Mischung aus körperlicher und psychischer Gewalt, die mit dem Mord an Walter Lübcke einen einen weiteren, traurigen Tiefpunkt erreichte.

Schrittweise radikalisiert

Der Politiker wurde auf seiner eigenen Terrasse in einer für ihn vollkommen ungefährlichen und entspannten Situation getötet. Der Täter Stefan Ernst hat einen bemerkenswert auffälligen rechtsextremen Lebenslauf, in dem Rohrbombenanschläge und rassistische Schmierereien an fremden Hauswänden noch zu den harmlosen Delikten gehören. Das Buch durchläuft seinen Weg bis zur Tat und dokumentiert die schrittweise Radikalisierung. Und man kann nicht behaupten, dass es keine Hinweise darauf gegeben hätte, dass Lübcke sich aufgrund seiner liberalen Äußerungen schon längst in Gefahr befand. Wie übrigens einige, andere Politiker*innen.

Traurige Chronik der rechten Vernetzung

Der Autor Martin Steinhagen startet die Chronik der rechten Gewalt in seinem Buch „Rechter Terror: Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt“ schon in den Fünfzigerjahren und verknüpft die einzelnen Ereignisse bis heute. Das erste Forum für Arier ging bereits 1980 ans Netz, was auch die Bedeutung des Internets in ein anderes Licht rückt. Es sind immer wieder dieselben Köpfe, die überall mitmischen, den Hass befeuern und emsig daran arbeiten ihr deutschlandweites Netzwerk enger zu verbinden und aus dem Hinterhalt zu stärken. Mit der AfD gibt es nun auch einen parlamentarischen Arm, der in einigen Bundesländer erschreckend hohe Wahlergebnisse verbuchen kann und in zwei unterschiedlich stark nach rechts ausgeprägte Lager aufgeteilt zu sein scheint.

Aufschlussreich und frustrierend zugleich

Letztendlich ist das Buch „Rechter Terror: Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt“ lediglich eine sehr aufwändige in Form gebrachte Recherche, die nachträglich nichts verändern und keine Opfer zurückholen kann. Steinhagen kann die Opfer-Biografien lediglich streifen, sein klar verständlichet Sprachstil ist eher journalistisch geprägt, seine Ausführungen dementsprechend faktisch. Es ist eher eine Mahnung, die traurig macht und in erster Linie aber nur Menschen erreichen wird, die sich sowieso schon mit dem Thema befassen.

Seiten: 304
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3499005999
ISBN-13: 978-3499005992
VÖ: 21.04.2021

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