Maxim Leo – Wir werden jung sein – Review
Maxim Leo ist nicht nur Autor von Büchern und Drehbüchern (u.a. Tatort), Journalist und studierter Politikwissenschaften, er ist auch gelernter Chemielaborant, all das kommt ihm bei seinem Roman “Wir werden jung sein” zu Pass. Seine Geschichte ist eigentlich ein Gedankenexperiment, das erst nach der Lektüre so richtig nachhallt: Was wäre, wenn wir ewig leben könnten und nicht älter, sondern im Gegenteil sogar jünger werden würden? Im Roman passiert genau das mehreren Probanden einer wissenschaftlichen Medikamentenstudie der Berliner Charité, die eigentlich Herzprobleme bewältigen wollen und unfreiwillig eine biologische Verjüngung erfahren. Die Erfüllung einer unerreichbaren Sehnsucht vieler Menschen, ein paar Klicks Recherche im Internet und man stellt erstaunt fest, dass die Utopie gar nicht so weit entfernt ist.
Ewiges Leben, Fluch oder Segen
In “Wir werden jung sein” von Maxim Leo wird schnell klar, dass es sich hier nicht ausschließlich um Segen, sondern auch um Fluch handeln kann. Das Gehirn bleibt unangetastet und ist nicht mehr kompatibel mit den körperlichen Bedürfnissen. Es stellt sich auch die Frage, wer in den Genuss des ewigen Lebens kommen soll. Was gilt es mit der zusätzlichen Zeit anzufangen, wer hat die finanziellen Mittel für diese Bonus-Lebenszeit und was ist mit den Menschen, die noch gar nicht geboren sind? Soll man die Population ab hier stoppen und die Welt ausschließlich mit dem vorhandenen Humankapital bestreiten? Nicht alle Fragen werden offen gestellt, aber schnell begibt man sich die grüblerische Position, checkt im Kopf die eigenen ethischen Grundsätze und macht sich Gedanken darüber, wie wohl die aktuelle Gesellschaft mit einer solch mächtigen Waffe umgehen würde.
Was tun, mit der Bonus-Lebenszeit?
Die Protagonisten in “Wir werden jung sein” von Maxim Leo symbolisieren unterschiedliche Fallbeispiele. Wir haben den jungen Jakob, der gerne mit seiner ersten Freundin schlafen möchte, dessen Körper aber durch die Verjüngung nicht mehr zu körperlicher Liebe fähig ist. Als absoluter Kontrast dazu steht der betagte, ehemalige Firmenbesitzer Karl, der eigentlich sein Leben schon beenden wollte und sein Vermächtnis schweren Herzens an seine beiden Kinder abgegeben hat. Soll er nun nochmals alles an sich reißen und käme er damit klar, ohne seine Frau zu leben? Zudem gibt es noch die plötzlich wieder sehr leistungsstarke Profisportlerin Verena, die ihre Konkurrenz im Wasser abhängt, sich aber damit auch erneut dem Druck ausliefert. Außerdem ist da noch Jenny, die lange versucht hat Mutter zu werden und nun endlich ein Kind bekommt, was auch mit der Verjüngung ihres Körpers kollidiert.
Ein Ende, das doch versöhnlich stimmt
Abgesehen von den Betroffenen gibt es noch den Leiter der Studie. Professor Mosländer hadert damit, was er mit seiner Errungenschaft anfangen soll, fühlt sich aber durchaus verantwortlich. Richtig kommt der Stein erst ins Rollen, als die Presse davon erfährt und Politiker sich einschalten, hier merkt man, dass Maxim Leo für “Wir werden jung sein” auch seine Erfahrungen aus der Pandemie einbringt. “Wir werden jung sein” ist in erster Linie eine gute Diskussionsgrundlage, über den Wert des Lebens und natürlich auch um dessen Sinn. Die Figuren sind gerade so scharf skizziert, dass man anknüpfen und eigentlich in jedem etwas von sich finden kann. Eine interessante Ausgangslage, um sich gedanklich damit zu befassen und auch mal die aktuelle Faktenlage zu dem Thema zu recherchieren. Das Ende ist überraschend und irgendwie versöhnlich, da alle ihren Weg machen.
Seiten: 304
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462003755
ISBN-13: 978-3462003758
VÖ: 07.03.2024
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