
Swain – Infinite Child – Review
Sobald „Infinite Child“ von SWAIN startet, sind die letzten sechs Jahre vergessen. Die Grunge-Band aus den Niederlanden, mittlerweile based in Berlin, spielt ihren größten Trumpf sofort aus. Musik, Gesang und Stimmung sind umgehend da, füllen den Raum aus und geben ein warmes Gefühl im Bauch. Das Trio beschäftigt sich mit der Angst vor Veränderungen, dem inneren Ringen um das Bewahren der Kindlichkeit und dem ständigen Wandel. Der Opener „Goodbye Kiss“ wiegt uns friedlich in den Armen – SWAIN starten mit dem Ende. Ein versöhnliches soll es sein. Versöhnlichkeit und ein beruhigtes Abfinden mit den Tatsachen: Das sind die beiden wesentlichen Merkmale dieser tollen Platte.

Von Grunge zu Pop: So leicht klingt Veränderung
Den Sprung von Hardcore und Grunge zu Pop und Atmosphäre meistern SWAIN auf „Infinite Child“ so mühelos und unverkrampft, dass die softe Transformation unvermeidbar wirkt. Das liegt auch an dem peniblen Aneinanderpappen der Songs. Alles auf „Infinite Child“ ist miteinander verwoben, Abschlussakkord und erster Ton des Folgesongs geben sich den Staffelstab weiter. Konzeptionell im eigentlichen Sinne ist „Infinite Child“ aber nicht. SWAIN hängen mit den Gedanken in früheren Tagen, teilen Erkenntnisse und die Momente, in denen sie straucheln oder emotional stolpern.
„Dig Into Yourself“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie plastisch SWAIN komponieren und wie stark sie Rhythmen und Töne nutzen, um Schwerelosigkeit, Wut und heißkaltes Empfinden zu vertonen. „Find Your Groove“ nimmt Anlauf und leitet dann in einen von schwingendem Bass geprägten Song mit klebriger Hook über. Das hätte gut als Soundtrack für Spyro the Dragon gepasst.
Produziert wie ein Puzzle: J. Robbins’ Feinarbeit
Die eingangs angedeutete Stärke von SWAIN ist eine emotionale Dichte, die gar nicht so leicht herzustellen ist, wie man meint. Produzent J. Robbins hat die Kompositionen beeindruckend optimiert und nach dem Minimalprinzip das Maximale geschaffen. Scheinbar simple Riffs wiegen sich in Hall und Echo, sodass der Eindruck entsteht, wir hätten es mindestens mit einem Sextett zu tun. Grunge mit Pop-Kante, konzipiert wie komplexer Prog-Rock. Wahrscheinlich haben SWAIN sich deshalb so lange Zeit gelassen. So konnten sie einen spürbaren, aber trotzdem organisch wirkenden nächsten Schritt gehen, ohne zu viel von ihrer Band-DNA einzubüßen.
Die steckt auch in ihrem bemerkenswert verflochtenen Songwriting und Noams variablem Gesang. SWAIN ergänzen sich nicht nur, sie spielen drei Songs in einem, sublimieren sich, schlängeln am anderen vorbei, um kurz ein neues Leuchtfeuer zu zünden. Trotzdem hat man es hier nicht mit Einzelkämpfern zu tun: Am Ende steht immer der Kosmos SWAIN im Mittelpunkt.
Große Grunge-Gefühle, einfach so zurückgebracht
Die Zeit der großen Grunge-Songs ist schon lange vorbei. SWAIN lassen sie mit „Unbecome“ oder „Shapeshifter“ ganz selbstverständlich wieder aufleben. Kokonartige Hymnen, die einem sofort die Nackenhaare aufstellen und das emotionale Warnsystem in Alarmbereitschaft versetzen. Eine Qualität, die 2025 wahrscheinlich nicht mehr großflächig gefragt ist. Aber beim Zuhören alle Sinne aktiviert und die Seele angenehm kalibriert. SWAIN wandeln sich von Song zu Song, lassen alle Songs atmen, beben, erzittern oder verhalten am Limit pulsieren. „Infinite Child“ wirkt wie ein längst vergessenes Abenteuer, an das man sich nur vage erinnern kann, dessen Nachwirkungen aber noch deutlich spürbar sind. Ein emotionaler Rundumschlag.
Dauer: 42:42
Label: Family Therapy
VÖ: 27.06.2025
Tracklist „Infinite Child“ von SWAIN
Goodbye Kiss
Infinite Child
Cold Fever
Unbecome
Sugarblind
Shapeshifter
Dig Into Yourself
Find Your Groove
Fade Out
Time Beats Me Hollow
Comedown
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