The Hirsch Effekt Kollaps

The Hirsch Effekt – Kollaps – Review

Mit ihrem fünften Album “Kollaps” widmet sich die deutsche Art-Core-Band THE HIRSCH EFFEKT dem Klimawandel im Allgemeinen und der Schwedin Greta Thunberg im Speziellen. Es gibt wohl kaum eine musikalische Vertonung für die Komplexität dieses Problems, die besser geeignet wäre, als das wohlgeordnete, anspruchsvolle Chaos des Trios. Umso tragischer, dass der Albumtitel leider Programm ist und die Band aufgrund der aktuellen Pandemie extrem ausgebremst wird.

Die ganze Hässlichkeit auf dem Silbertablett

Der Opener “Kris” jongliert nicht nur, wie gewohnt stilsicher, mit unterschiedlichen Genres, er widmet sich den Kindheitstagen der jungen Schwedin. Die Gitarren kündigen Unheil an, anders und besser kann man den brutalen Moment des Bewusstseins wohl mit Tönen kaum beschreiben. Wie ein schwerer Stein fällt die Erkenntnis den Denkenden auf den Kopf, gleichwohl wissend, dass Leugnen spätestens ab jetzt zwecklos und die Unschuld unwiederbringlich verloren ist.

Auch THE HIRSCH EFFEKT lassen sich grundsätzlich nicht ignorieren, die Kernbotschaft von “Kollaps” ebenso wenig. “Ich leihe euch, wenn es sein muss, mein Gesicht” heißt der Satz, der in die von den Drums verursachte Hetzjagd einleitet. Das vertont den medialen Druck, dem Greta als lebende Galionsfigur ausgesetzt wird. Wahrscheinlich haben THE HIRSCH EFFEKT noch niemals so bildlich und nachdrücklich komponiert, wie auf “Kollaps”. Das ganze Album ist ein opulent inszeniertes Kopfkino.

THE HIRSCH EFFEKT, 2020
THE HIRSCH EFFEKT, 2020

Sag, wovor habt ihr Angst?

THE HIRSCH EFFEKT nehmen sich wahrlich nicht aus von ihrer eigenen, spitz vorgetragenen Kritik, wie könnten sie auch? “Bilen” verteufelt nicht das Auto als solches. Es geht um die Selbstverständlichkeit, mit der wir es benutzen und um die faulen, vermeintlichen Werte, die wir damit verbinden. Umprogrammieren lautet der Denkanstoß. Fällt jedem gleich schwer, hilft aber jedem weiter. Es geht nicht um Weltrettung vs. Verzicht, sondern um Alternativen. Musikalischen bieten THE HIRSCH EFFEKT jede erdenkliche Alternative. Weiterhin genremäßig gepatchworked und wunderschön intensiv, montieren Nils, Moritz und Ilja alles zusammen, was irgendwie zweckdienlich klingt. Mitnichten wahllos, denn der Rappart in “Noja” passt auch einfach zu gut zur Darstellung von Egoismus und Prahlerei. THE HIRSCH EFFEKT reiben uns den bitteren Widerspruch unter die Nase. ‘Es wird schon nicht so furchtbar sein’ prallt ungebremst auf ‘Wer will mir schon etwas verbieten?’, ohne eines der beiden Lager abschließend zu verurteilen.

Nur was Dir gehört hat Wert?!

Mit “Torka” und dem Titelsong eröffnet die Band einen neuen Handlungsstrang, stattfindend auf den Osterinseln. Die Überreste der einstigen Hochkultur sind ein real existierendes Mahnmal dafür, was passieren kann, wenn sich ökologische Selbstzerstörung nicht mehr aufhalten lässt. Musikalisch sind die drei Kerls schon lange über jede Kritik erhaben, haben sich selbst den Trend geschaffen, auf den sich jetzt andere zubewegen und den man, in Ermangelung von passenden Begriffen, eben Art-Core oder Prog-Metal nennen muss. Schon mit “Eskapist” hat sich die Band mit einem politischen Thema auf ihre ganz eigene Weise bemerkenswert kritisch und künstlerisch ansprechend auseinandergesetzt. Mit “Kollaps” perfektioniert die Band diese Vorgehensweise, ruft starke Emotionen wie Selbstekel, Hoffnung, Depression, Trauer und Motivation hervor. Mehr kann man von Kunst nicht erwarten.

Tracklist “Kollaps” von THE HIRSCH EFFEKT
Kris
Noja
Deklaration
Allmende
Domstol
Moment
Torka
Bilen
Kollaps
Agera

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