Elbow – Audio Vertigo – Review
Die britische Rockband ELBOW legt mit „Audio Vertigo“ ihr mittlerweile zehntes Album in 22 Jahren vor und selten war ein Albumtitel so gut auf die Musik abgestimmt. Die Band kredenzt uns ein vielschichtiges Labyrinth aus Klängen und miteinander verflochtenen Rhythmen, die sich gerne auch mal überraschenderweise losreißen und neu formieren. Sänger und Texter Guy Garvey thront über allem, geleitet uns sanft und sicher durch die unterschiedlichen Klangkulissen. Aufgenommen wurde in den Migration Studios in Gloucestershire und den Dairy Studios in London, abgemischt dann in den Blueprint Studios in Salford. Und der erste Eindruck ist tatsächlich: Verdammt, klingt das gut!
Gebt mir was zum Fühlen
Die Kompositionen sind also durchdacht, optimal zurechtgerückt und meistens anschwellend. Trotzdem zeigen sich ELBOW nicht künstlerisch abgehoben und haben mit einem Skits wie „(Where Is It)“ und „Embers Of Day“ oder dem dichten, bassbasierten Blues-Rock von „Poker Face“ manifestiert, worum es ihnen vorrangig geht: Um den Spaß an der Musik, das Austesten von Grenzen und dadurch Provozieren von echten Reaktionen. „Balu“ ist dann nicht nur der erste offensichtliche Hit auf dem Album, sondern auch eine beeindruckende Werkschau dessen, was ELBOW beherrschen und nach ihrem Gusto frei kombinieren können.
Ein dominanter Groove stolziert, flankiert von Bläsern, scheinbar unbeirrt nach vorne, im Chorus prasselt dann ein warmer Regen aus Tönen auf einer drückende Synthiefläche herunter. In der Theorie beißt sich hier vieles, im ELBOW-Kosmos ist das ein weiterer, zeitloser Hit in der Diskografie. Ähnlich bewegend ist das offene „Good Blood Mexico City“, das leise aber stetig die verschiedenen Takte miteinander verzwirbelt, stramm zieht und aufflammen lässt sodass sie gleich mehrfach explodieren. Hier arbeiten ELBOW wirklich mit allen Mitteln: Handclaps, harmonisches Summen, ein aufstampfender Bass und ein Refrain, der so lieblich ist, dass man ihn nicht ignorieren kann.
Frust aus einer anderer Perspektive
„Audio Vertigo“ von ELBOW löst viele Stimmungen gleichzeitig aus. Einerseits ist die Platte durch ihr ständiges Vorankommen beruhigend, aber eben auch inspirierend und anregend. Es sind viele vermeintliche Kleinigkeiten, wie ein langes Nachhallen der Töne oder die Vermengungen von unterschiedlich temperierten Instrumenten. Womit wir beim Aspekt Audio wären: Die Platte klingt einfach verdammt gut. Garvey ist bemerkenswert präsent, ganz nah am Ohr der Hörerinnen und Hörer dran. Trotzdem verkörpert er eine dezente Überheblichkeit und Selbstbewusstsein im richtigen Moment. Dabei ist „Audio Vertigo“ auch eine künstlerische Verarbeitung der Wut auf politische Zustände, doch ELBOW rahmen ihre Aussagen größer und abstrakter ein.
Eine Aufforderung zum Neustart
„There’s no light in my eyes…“, singt Garvey im anklagenden „The Picture“, sein Gesang überschlägt sich anfangs, mutet bewusst wahnsinnig an, während die Band immer weiter nach vorne treibt. Der Refrain wirkt dann bizarr gegensätzlich, kreuzt eine leicht dissonante Note und eine mutmachende Tonleiter. Zum Ende hin fächert der Song glücklicherweise auf und es wirkt, als hätten ELBOW uns mit ihrer Klagefolge etwas geheilt. „Audio Vertigo“ von ELBOW ist ein gelungener Kontrast zum letzten, eher in sich gekehrten, Album und fühlt sich wie eine Aufforderung zum Neustart an.
Dauer: 39:20
Label: Universal Music
VÖ: 22.03.2024
Tracklist „Audio Vertigo“ von ELBOW
Things I’ve Been Telling Myself for Years
Lovers’ Leap
(Where Is It?)
Balu
Very Heaven
Her To The Earth
The Picture
Poker Face
Knife Fight
Embers Of Day
Good Blood Mexico City
From The River