Interview mit Tor Sjödén von Viagra Boys zum Album „Welfare Jazz“
Was den Schweden von VIAGRA BOYS passiert ist, ist wohl der Traum jeder Band. Schon mit dem ersten Album „Street Worms“ heimsten sie nur gute Kritiken und Preise ein und machten sich blitzschnell einen Namen in der Szene. Dass diese Euphorie gerechtfertigt war, zeigt nun das zweite Album „Welfare Jazz“. Ständig übertreten die Songs die unsichtbaren Grenzen des Post-Punks und trotzdem klingen die VIAGRA BOYS genauso kompromisslos, wie die Wahl eines solchen Bandnamens vermuten lässt. Als wir Schlagzeuger Tor am Telefon erreichen, beichtete er, dass er vor der Veröffentlichung von Album Nummer Zwei durchaus Bedenken hatte und nun ziemlich erleichtert über die Reaktionen ist. Wir sprachen außerdem über die Albumentstehung, seinen musikalischen Werdegang und über Jazz.
Euer erstes Album kam extrem gut an. Habt ihr einen gewissen Druck für das zweite Album gespürt und hatte das Auswirkungen auf euch?
Ja, auf jeden Fall hat das Druck erzeugt. Unsere erste EP kam schon ziemlich gut an, also fiel es uns damals schon schwerer überhaupt das Debüt „Street Worms“ zu schreiben. Also während wir jetzt „Welfare Jazz“ aufgenommen haben, habe ich keinen direkten Erwartungsdruck gespürt. Aber danach fing ich an mir viele Gedanken darüber zu machen, wie die Leute es wohl aufnehmen werden und war etwas besorgt. Aber ehrlich gesagt, nehmen sie es viel besser auf, als ich es erwartet habe.
Ihr habt euch noch etwas mehr vom Punk entfernt und durch die Jazz-Einflüsse klingt es noch ungewöhnlicher. Aber solange deine Bedenken danach kommen und deine Kreativität nicht behindern, ist es ja in Ordnung.
Genau. Wir versuchen ständig besser zu werden und uns weiterzuentwickeln. Jeder bei VIAGRA BOYS hört sehr unterschiedliche Musik, das kommt dann irgendwie zusammen und verschmilzt ganz natürlich zu etwas Neuem.
Was meint ihr mit dem Albumtitel „Welfare Jazz“? Ich gehe davon aus, dass es nicht wirklich eine Kritik an der staatlichen Bezuschussung von Jazz sein soll, die sicherlich höher ist, als bspw. beim Punk.
Nein, natürlich nicht. Aus meiner Sicht ist es eher philosophisch gemeint. Gerade beim Jazz ist es so, dass heutzutage kaum jemand diese Musik hört und die Musiker*innen dementsprechend auf finanzielle Unterstützung von der Regierung angewiesen sind, um überhaupt irgendwie davon leben zu können. In Berlin gibt es wohl eine verhältnismäßig große Jazzszene, aber hier ist das nicht so. Viele meiner engen Freunde sind Jazzmusiker und in prekären, finanziellen Situationen.
Ist es härter für Jazzmusiker*innen in Schweden oder generell für alle Musiker*innen?
Na ja, wenn man Popmusik macht oder in einer Coverband spielt, dann sind die Auftrittsmöglichkeiten schon besser und es ist einfacher. Jazz holt einfach nicht so viele Leute ab. Oskar und ich spielen ja zusammen in einer zweiten Band Jazz, mit noch einigen anderen. Irgendwie haben wir mal gegenüber unserem Produzenten erwähnt, dass wir jetzt wegmüssen, um mit der Jazzband zu proben und er meinte scherzhaft ‚Oh, macht ihr Sozialhilfe-Jazz?‘ (lacht), auf Schwedisch ist damit eher gemeint, dass man einfach Musik macht, die eh keine Sau hört (lacht).
Spielst du in dieser Band auch Schlagzeug und welche Art von Jazz macht ihr da?
Ja, mache ich und es ist so eine Art (überlegt) melodischer Free-Jazz.
Ah, klingt gut, ich mag sehr gerne THELONIOUS MONK, das ist aber natürlich etwas ganz anderes. Und natürlich HELGE SCHNEIDER, der schon große Hallen voll macht, aber damit eher die Ausnahme ist und auch noch Humor miteinfließen lässt.
Es gibt hier so ein paar Leute in Schweden, die davon leben können, aber echt nicht viele.
Na ja, als Hörer*in muss man sich wirklich Zeit nehmen, um dieser Musik zuzuhören.
Genau darum geht es, die Betonung liegt auf zuhören. Man muss wirklich zuhören. Das können viele nicht mehr, sie hören nur oberflächlich und dann geht es weiter zum nächsten Lied.
Wann habt ihr denn angefangen die Songs für „Welfare Jazz“ zu schreiben?
Das war so Ende 2018 und dann haben wir das komplette Jahr 2019 daran gearbeitet. Eigentlich ist es schon lange fertig, wir mussten die Veröffentlichung aber wegen der Pandemie verschieben.
Ihr seid sechs Männer in einer Band, da gibt es garantiert viele, unterschiedliche Meinungen. Habt ihr so eine Art Anführer oder wie kommt ihr zu kreativen Entscheidungen?
Einer muss immer entscheiden, sonst wird das nichts. Und zu entscheiden, das ist eigentlich die schwierigste Sache am Musikmachen. Bei uns ist das eigentlich schon ein sehr demokratischer Prozess und wir sind uns oft einig darüber, was wir in puncto Sound erreichen möchten. Unser Sänger Sebastian macht seine Texte meistens ganz alleine, weil er verdammt nochmal der Beste ist (lacht)…
… das ist ein gutes Argument!
Wir helfen ihm dann manchmal etwas beim Singen, aber eigentlich ist es meistens so, dass wenn er seinen Mund öffnet, alles was rauskommt total gut ist.