Friedrich Christian Delius – Die Zukunft der Schönheit – Review
Dem Autor Friedrich Christian Delius gelingt mit seiner teilweise autobiografischen Erzählung „Die Zukunft der Schönheit“ ein kleines Kunststück. Er nimmt uns mit in das Jahr 1966 in einen Jazzclub in New York zu einem Freejazz-Konzert mit dem berühmten Saxofonisten Albert Ayler. Wir erleben das Konzert aus seiner Sicht und steigen an dem Punkt ein, als er mit dem losgelöstem Musizieren ohne jegliche Grenzen erst gar nichts anfangen kann. Es kostet ihn einige Überwindungen und unter dem selbst aufgebauten Druck, bloß nicht als Nichtkenner aufzufallen, überspielt er seine Irritationen und scheint regelrecht angewidert davon zu sein.
Musikalischer Freiflug
Schon nach kurzer Zeit wandelt sich seine anfängliche Abneigung, gegen den subversiven und unkontrollierbaren Sound, in zeitgeschichtliche Assoziationen. Er beschreibt die schon fast rücksichtslose Schlacht der Töne mit beeindruckenden Details und zieht Parallelen zum Krieg, zu den unterschiedlichen Traumata der Deutschen und der Amerikaner. Das Konzert führt ihn aber immer näher zu sich selbst und immer weiter zurück in seine eigene Vergangenheit, seine Jugend und frühe Kindheit. Die aufeinanderprallenden Melodien rufen in ihm eingebrannte Szenen in sein Gedächtnis, über deren Bedeutung er sich, angefacht vom Konzert, intensive Gedanken macht. Seite für Seite überlagern seine eigenen, persönlichen Rückblicke die Beschreibung der Musik und die weltweit erschütternden Ereignisse immer mehr. Eine schöne Metapher zum Thema Musik, die den HörerInnen am Ende nur das liefern kann, was selbst schon in ihnen steckt. Wir landen bei seinem Vater, bei dessen Bürde im Schatten des Krieges, seinem Platz in der Familie und die daraus resultierende Prägung von Delius selbst.
Kleinteilige Inspiration
Friedrich Christian Delius legt in „Die Zukunft der Schönheit“ ein, für seine Verhältnisse, schnelles Tempo vor und verzichtet auf jedes unnötige Detail und jegliches Füllmaterial. Man kann sich auch ausschließlich an der ausgeprägten Beschreibung der Musik berauschen, fast als ob man selbst dabei gewesen wäre. Das Buch wirkt sprachlich so liebevoll komponiert, wie eine gelungene Jazz-Komposition und atmet einen ganze besonderen, packenden Rhythmus, der tatsächlich Musik in die Seiten zu bringen scheint. Mit weniger als 100 Seiten bietet „Die Zukunft der Schönheit“ einen enormen Nachhall und eine Menge Denkanstöße.
Seiten: 96
Verlag: Rowohlt Buchverlag
ISBN-10: 3737100403
ISBN-13: 978-3737100403
VÖ: 20. 02. 2018
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