Interview mit Kontrolle zum Album „Grau“
KONTROLLE war die erste Band, die 2019 für krachfink.de, damals zum Debüt „Egal“, interviewt wurde. Seitdem ist die Begeisterung für das Punk-Wave-Trio nur noch größer geworden. Mit „Grau” liegt nun ihre dritte Platte vor – und fühlt sich anders düster an, als erwartet. Wo vorher scharfer Zynismus und laute Wut spürbar waren, scheint sich passive Resignation breitgemacht zu haben. Das lässt die neue Platte nur noch garstiger wirken und wirft viele Fragen auf. Carsten, Andrew und Daniel gaben gerne ausführlich Auskunft über die Entstehung der neuen Songs, ihr Zusammenhalt untereinander, Perspektiven zum eigenen Sound, den neuen Songs und einen Ausblick auf eine optimistische und vielleicht sogar verträumte Zukunft.
Das Artwork zu „Grau“ dominiert eigentlich Rot. Und ich würde mal sagen, es ist wahrscheinlich das wuseligste Artwork eurer Diskografie. Ich würde mal als Kernaussage rauslesen, dass das Chaos Formen angenommen hat. Andrew, was waren deine Ideen bei der Gestaltung?
Andrew: Der Plan für das Artwork stand, bevor wir den Albumtitel hatten. Und wir haben uns natürlich auch die Frage gestellt, ob es nicht irgendwie ein bisschen seltsam ist, wenn das Album „Grau“ heißt und das Artwork hauptsächlich Rot ist. Und dann haben wir eigentlich ziemlich schnell gesagt, ist egal. Da ist eine Menge Ordnung, aber auch eine Menge Chaos drin, ja. Ich habe anfangs die ganzen Formen skizziert, die später mit Fotos und Texturen und lose Blättern, die ich mit Farbe bemalt habe, vollgekritzelt wurden. Ich habe diese Formen dann halt damit gefüllt. Also ursprünglich war es schon sehr ordentlich und später gar nicht mehr, was auch das eigentliche Ziel war.
Hast du bewusst die Menschen aus dem Fokus genommen?
Andrew: Ja, eigentlich schon. Also überall sind es relativ simple Formen: Kreise, Rechtecke, einzelne Linien hier und da. Und ich habe jetzt nicht darauf geachtet, was die Fotos für Formen in sich haben.
Also klar ist in der Struktur selbst, aber chaotisch angeordnet. Jetzt heißt eure Band Kontrolle. Würdet ihr euch aktuell mehr Kontrolle wünschen?
Daniel: Worüber?
Na, über gewisse Dinge. Gibt es Dinge, über die du dir mehr Kontrolle wünschen würdest? Hat sich der Begriff „Kontrolle“ für dich vielleicht verändert über die Jahre?
Daniel: Ich assoziiere natürlich die Band damit. Klar, auf so einer Wortspiel-Assoziations-Ebene. Die Witze sind ja inzwischen durch. Wir sind auch schon in sozialen Medien von irgendwelchen Verkehrsfunk-Accounts getaggt worden: „Achtung Kontrolle“, und dann waren wir da drin. Ich erkenne die Zweideutigkeit, wenn in anderen Kontexten von Kontrolle die Rede ist. Für mich hat sich die Bedeutung des Begriffs nicht geändert. Und ob ich mir mehr Kontrolle wünsche über mein Leben? Na ja, es kommt sehr darauf an, worüber und durch wen. Das ist ja auch nicht ganz unentscheidend.
Ursprünglich klang der Bandname cool und es wäre spaßig, wenn wir die Kontrolle hätten. Jetzt im Zusammenhang mit dem Artwork und den Formen hat es ein bisschen ein anderes Geschmäckle bekommen. Ich hätte gerne wieder ein bisschen Kontrolle, ein bisschen gute Ordnung oder Struktur. Deshalb habe ich gefragt – der Bandname ruft bei mir mittlerweile andere Assoziationen hervor. Das Wort „Grau“ ist genauso wie Kontrolle vielfältig interpretierbar. Weisheit, interpretiert im Sinne von grauen Haaren, als ausgewogener Ansatz, aber natürlich auch als Depression, Schatten, Tod. Was ist euer Gefühl?
Daniel: Eben gerade vieles gleichzeitig. Also da spiele ich ja gerne mit, auch in den Texten und so. Also eigentlich ist Grau ja eher negativ besetzt. In dem Text zu dem Song „Grau“ kommt ja auch im Grunde beides vor. Da geht es ja einmal „Wenn ich aufs Fenster schaue, alles grau, alles trist“, so in die Richtung. Das ist ja auch ein Statement gegen Schwarz-Weiß-Denken, was in einer sehr polarisierten Zeit auch Not tut, finde ich. Es ist halt beides. Die Welt ist halt grau. Das ist ja nicht schlecht. Ich kenne meinen eigenen Text nicht mehr, aber ich singe auch einmal „Es ist nicht gut, es ist nicht schlimm“. Also weder noch. Es ist nicht gut, aber es ist halt auch nicht schlimm. Es ist halt so. Und die Facetten machen es im Endeffekt auch aus.
„Grau“ wirkt auf mich nicht mehr nur angepisst, sondern auch resigniert.
Andrew: Schön (grinst).
Würdet ihr zustimmen? Wenn ihr jetzt lacht und grinst, liege ich damit wohl nicht so falsch.
Daniel: Ja, das passt. Also das ist ja nicht intensiv, wir nehmen uns das ja nicht vor, das passiert ja einfach. Aber das passt auf jeden Fall.
Auch musikalisch wirkt es deutlicher kompakter. Was hat sich zwischen euch verändert als Musiker und innerhalb der Band?
Daniel: Wir kennen uns schon lange, machen das ja schon lange zusammen. Und es ist tatsächlich auch so, dass „Grau“ kompakter ist. Das ist nicht nur ein Gefühl. Gerade vor Kurzem ist es mir selbst aufgefallen. Nimmt man den Song „360 Grad“, das ist eine Zugabe von der allerersten Platte. Das ist dieser ganz langsame, eigentlich unser erster Song mit über fünf Minuten Länge. Und da passiert ja in der ersten Minute – also es ist ein geiler Song, das baut sich halt auf – aber da passiert ja in der ersten Minute erstmal gar nichts (lacht). Das haben wir auf der neuen Platte gar nicht mehr.
Das ist wirklich auf den Punkt kompakt, das sagst du ganz richtig. Es ist kompromissloser alles, jetzt mal rein auf die Musik bezogen und ohne da jetzt zu viel hineinzupretieren. Wir planen das nicht, aber so ein bisschen Gedanken machen wir uns ja schon als grobe Ideen, wohin es mit der neuen Platte hingehen soll. Die letzte war ja schon ziemlich finster, das war ja auch die Pandemie-Platte, und das hat man auch gehört – nicht nur an den Texten, sondern an der Musik, die war ja sehr, sehr düster.
Und dann haben wir schon ein bisschen gedacht: Werden wir jetzt noch düsterer und noch waviger? Sind wir zum Teil ja auch, aber eigentlich ist da auch wieder mehr Punk drin. Das war schon so gewollt, aber am Ende ist trotzdem alles ein Prozess, währenddessen sich so Dinge halt entwickeln. Wir sitzen ja nicht am Reißbrett und denken, so muss es jetzt werden und dann arbeiten wir darauf hin. Und zwischen uns läuft sicher alles immer runder und immer routinierter mit der Zeit. Wir kennen uns sehr lange, also Carsten und ich sowieso, aber Andrew inzwischen ja auch, machen das sehr lange zusammen. Das ist schon ziemlich eingespielt.
Mir macht die neue Platte jetzt deutlich mehr Angst. Nämlich, weil es über diesen Punkt der Hoffnung hinausgeht. „Zwei“ war noch getreu dem Motto „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“ (Anmerk. d. Verf.: Zitat aus einem Song von TON STEINE SCHERBEN). „Grau“ ist jetzt schon so ein bisschen drüber…
Daniel: Ja, das ist ja genau die Attitüde.