Interview mit The Pill zum Album „Hollywood Smile“
Bei dem Gedanken an Frankfurt kommt einem sofort folgendes in den Sinn: Wolkenkratzer, der absurde Kontrast zwischen Banken- und Bahnhofsviertel, Goethe, vielleicht noch an Äppelwoi und Grüne Soße. THE PILL setzen nun mit „Hollywood Smile“ eine bemerkenswerte musikalische Marke, ihr energiegeladener Hardcore-Punk-Mix kommt eben nicht aus Berlin, sondern aus der hessischen Großstadt. Die Themen, an denen sich das Quintett musikalisch abarbeitet, sind aber sowieso nicht ortsgebunden. Es geht um Freiheitsdrang, Kapitalismuskritik, Gleichberechtigung und Frustabbau durch Musikmachen. Anlässlich der ersten Platte „Hollywood Smile“, bat krachfink.de THE PILL zum Interview und bekam von der kompletten Band interessante Antworten.
Ihr kommt aus Frankfurt und seid schon lange in der Hardcore-Punk-Szene unterwegs. Was hat sich in den letzten Jahren geändert, was fesselt euch noch immer an dieser Szene?
Sascha: Mich freut so sehr, dass die Szene viel diverser geworden ist. Schwarze und poc-Musiker*innen musste man früher wirklich suchen. F.l.i.n.t.a.-Bands, weiblich gelesene Musikerinnen… das ist großartig und unterstreicht für mich auch nochmal die politische und inkludierende Haltung, die ich bei Hardcore und Punk immer gefühlt, aber nicht immer gesehen habe. Es geht wieder mehr um Werte und Haltung und Meinung sagen. Davon kann es momentan nicht genug geben. Musikalisch holt mich auch vieles ab, HIGH VIS, END IT, die neue HAMMERHEAD . Alle super unterschiedlich, sehr authentisch und jede auf seine Art und Weise einfach großartig.
Wie schreibt ihr eure Songs, immer gemeinsam im Proberaum?
Jan: Die Songs entstehen immer zusammen im Proberaum. Das ist ein organischer Prozess. Jede*r in der Band hat bestimmte Qualitäten und Eigenheiten. Diese schlagen sich auch beim Songwriting nieder. Sam hat Texte für die nächsten zehn Alben und schreibt zudem häufig spontan, wenn ihr etwas einfällt, dass dem Vibe des jeweiligen neuen Songs entspricht. Phil schleppt meist eine Song-Idee an, die dann von allen geformt, erweitert und häufig komplett umkomponiert wird. Ein paar Dinge sind uns allen gemein: den Willen zum komprimierten Song – nie zu lang, immer auf den Punkt – und einen gut ausgeprägten Shit- Detector, also was fühlt man, was reißt uns mit und was nicht.
Welche Deutung habt ihr euch bei dem Bandnamen THE PILL gedacht? Seid ihr die bittere Pille, die man jetzt schlucken muss?
Sam: Für mich ist die Pille das Allheilmittel, auf das die Welt, oder besser gesagt ich, so lange gewartet habe. Ich habe eine chronische Krankheit, die leider, wie der Name schon sagt, unheilbar ist und ich habe mir so oft ein Wundermittel gewünscht. Wenn ich mit den Jungs spiele, habe ich kaum noch Schmerzen und fühle mich für einen Moment geheilt. Super kitschig, aber so ist es.
Nachdem ihr beinahe als instrumentale Band geendet seid, kamst du dann dazu. Gefunden habt ihr euch auf einer Art Tinder-Plattform für Musik. Woran erinnerst du dich, wenn du an das erste Treffen im Proberaum zurückdenkst?
Sam: Das war wirklich ein ganz besonderer Moment. Am Anfang tut man gerne noch ein bisschen cool und manchmal nervt mich das echt, vor allem in der Szene. Als ich die Jungs kennengelernt habe, ging alles ganz schnell. Kurze Vorstellungsrunde und dann wurde los gehackt. Die Texte hatte ich schon, die Jungs den richtigen Sound und dazu noch alle einen sehr ähnlichen Humor. Die Stimmung war super und wir hatten alle ein fettes Grinsen im Gesicht, das nicht mehr weichen wollte. Ich glaube, wir haben in der ersten Probe direkt zwei Songs geschrieben, unser erster war „Complex“. Der stand dann innerhalb von zwei Stunden und wir wussten alle, okay, jetzt kann es endlich losgehen.
Wer kam auf die Idee mit den Hasenkostümen in „Salaryman“, sind wir alle die Häschen, die der Karotte, also dem Geld, hinterherrennen?
Philipp: Die Idee ist in einem bandinternen Kreativmeeting, in liegender Position, auf dem zum ersten Mal seit Jahren frisch gesaugten Teppich im Proberaum entstanden. Wer die Idee ausgesprochen hat, weiß ich nicht mehr, ist auch egal, denn der Weg dorthin ist wichtiger, der kreative Prozess in unserer Band… und ja, es kann eine sehr traurige Seite haben, Geld mit Glück oder Erfolg gleichzusetzen.
Spielt und schreit ihr aus Erfahrung, seid also selbst in typischen Malocherjobs oder macht ihr es besser und versucht so selbstbestimmt wie möglich zu leben?
Sam: Der „Salaryman“-Text war, wie einige Texte auf der Platte, mehr oder weniger schon fertig, bevor ich die Jungs kennengelernt habe. Ich schreibe jeden Tag alle möglichen Textfetzen in meine Notizen-App, um Druck abzulassen. Die ersten paar Zeilen für „Salaryman“ habe ich geschrieben, als ich selbst in einem Bürojob feststeckte und unglücklich auf das nicht vorhandene Ende dieses Hamsterrades wartete. Schließlich habe ich gekündigt und mich ein paar Tage später auf die Suche nach einer Band gemacht… und kurz darauf wurde THE PILL gegründet.
Jetzt bin ich natürlich immer noch auf ein Einkommen angewiesen, das ich aus verschiedenen freiberuflichen Tätigkeiten beziehe, die mich alle sehr erfüllen. Ich bin Designerin, Künstlerin, Synchronsprecherin und nebenbei arbeite ich noch in einem Tattoo-Studio. Eigentlich ist das zusammen mit der Musik viel mehr Arbeit als früher, aber ich bin selbstbestimmt und liebe die Arbeit.
Sascha: Maloche hat für mich immer was mit ‚Ich muss da hin und will möglichst früh wieder weg‘ zu tun. Das war bei vielen Nebenjobs früher so ein Ding. Im Beruf hat man in der Regel mehr Gestaltungsspielraum. Wir alle in der Band haben uns unabhängig voneinander eine recht hohe berufliche Selbstbestimmtheit erarbeitet und erhalten. Ich hatte lange eine Druckerei und war im Bereich Merchandise und Band-Merchandise aktiv. Aber auch da habe ich nach Jahren gemerkt, dass Selbstständigkeit nicht immer auch Selbstbestimmtheit heißt und musste das für mich korrigieren.
Mir persönlich ist das autonome Einteilen meiner Zeit wahnsinnig wichtig. Ich habe eine kleine Tochter und wollte da in den ersten Jahren einfach viel da sein. Dafür bin ich aus meiner Druckerei ausgestiegen und habe nochmal was ganz anderes gemacht. Ich glaube eine gewisse Flexibilität und keine Angst vor neuen Herausforderungen ist da hilfreich.
Philipp: Als Schüler habe ich in den Ferien öfter in einer großen Bank Akten sortiert – typischer Frankfurter Malocherjob. Relativ schnell war klar, dass diese Parallelwelt, bestehend aus albernen Vorgesetzten und Kantinengängen, nicht meine Zukunft wird. Ich glaube, dass jeder von uns bei THE PILL in seiner Jugend den D.I.Y.-Gedanken, der im Punk Rock und Hardcore eine wichtige Rolle spielt, stark verinnerlicht hat.
Dieses D.I.Y.-Prinzip, lässt sich auf Vieles im Leben anwenden und wirkt als eine Art Self-Empowerment – jedenfalls sind wir heute alle selbstständig oder haben kreative Jobs in Anstellung mit viel Eigenverantwortung und Freiraum. Eine gewisse Bereitschaft die „Extra-Meile“ zu laufen ist dafür die Voraussetzung, was auch manchmal auch sehr anstrengend ist, der Preis aber das Gefühl der Selbstbestimmung.