Lest das Interview mit DESOLAT zu "Ueckendorfication" bei krachfink.de

Interview mit Desolat zum Album „ückendorfication“

Eure Musik ist ein ausgewogener Mix aus Punk, Garage, Grunge und Indierock, warum sprechen genau diese Genres eure Herzen an?

Markus: Die erste Musik, zu der ich etwas gefühlt habe, war Punk. Genauer gesagt BLINK 182 und DIE ÄRZTE, die ich durch die älteren Brüder meiner Freunde gezeigt bekommen hatte. Danach kam sehr viel LINKIN PARK, weil es einfach Anfang 2000 unausweichlich war. Als ich anfing selbst Musik zu machen, hat es mich jedoch zunächst in den Thrash und dann in den Black und Death Metal verschlagen. Nach über 5 Jahren hatte ich aber irgendwann die Schnauze voll von der Szene und wollte für mich etwas Rebellisches tun. Also hing ich meine Kutte in den Schrank, schnitt mir die ellbogenlangen Haare ab, begann mit Graffiti und fing an Deutschrap zu hören – lol. Über den Weg bin ich dann irgendwie in die Skatekultur gekommen. Hier lief viel alter Kram wie BLACK FLAG, DINOSAUR Jr. und JOY DIVISION, aber in den 10er Jahren auch viel Stoner, Psych und Garage. Ich habe dann die Band WAVVES für mich entdeckt und dadurch einen kurzen NIRVANA-Rückfall gehabt, bei dem ich alles aufgesogen hab, was Kurt Cobain jemals irgendwie produziert hat. Sven war da genauso obssessed wie ich. Dann kam die Idee, so eine Musik in deutscher Sprache zu machen. TOCOTRONIC kannten wir, aber irgendwie war es das nicht, was wir darin sahen.

Mika: Irgendwie distanzieren wir uns möglichst deutlich vom Deutschpunk, landen dann aber immer wieder mittendrin. Ich glaube wir wollen auch irgendwo zeigen, dass deutschsprachiger Punk nicht nur cringe ist, sondern durchaus Coolness mitbringen kann. Das zeigt die österreichische Szene momentan besonders. Punkrock, insbesondere Bands wie MISFITS, BAD RELIGION oder DESCENDENTS aber auch Alternative Bands wie NIRVANA, MELVINS und SONIC YOUTH haben mich im Alter von 13-14 dazu bewegt, das Gitarre spielen „ernst“ zu nehmen, weil ich da im Gegensatz zu vielen Rock und Metalbands das Gefühl hatte: was die da machen, kann ich auch!

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Markus erste Raubkopie im Alter von 10 auf einer alten ALF Kassette. Schreibfehler im Namen der Band oder bereits politische Revolution?

Es ist krass, wie gekonnt ihr die unterschiedlichen Stile platziert, aber trotzdem eine eigene Note eingebracht habt. Was muss ein typischer DESOLAT-Song haben?

Markus: Haha, schön zu hören. Ja wir wussten nicht, ob uns die Diversität der Songs am Ende als Schwäche oder Stärke ausgelegt werden würde, zu unserer Freude ist es meistens Letzteres. Typisch DESOLAT ist, glaub ich, dass wir nicht ändern können, wer wir sind. Egal was wir uns musikalisch als Vorbilder vorgenommen haben, irgendwie kam am Ende immer etwas anderes raus. Erst war es frustrierend, aber irgendwann haben wir es lieben gelernt. Ansonsten ist für uns Authentizität beim Songwriting wichtig. Unsere Musik soll echt, ungekünstelt und mitreißend sein. Hierfür setzen wir auch viel auf Spontanität und nehmen uns damit die Freiheit Dinge auszuprobieren. Manche Songs fühlen sich an wie eine Mutprobe, da weiß ich, dass ich meine Komfortzone verlassen habe.

Mika: Wir finden’s selbst schwer, unsere Musik mit einem Label zu versehen, weil wir gerne Verschiedenes kombinieren und immer mal was Neues ausprobieren. Jedes Bandmitglied bringt tausend bewusste und noch mehr unbewusste Inspirationen mit rein. So sind Sachen wie ein Autotune-Solo bei uns keine große Überraschung. Ich persönlich liebe die Abwechslung. Ich denke da oft an das weiße Album der BEATLES, egal wie oft man’s hört, wegen der wechselnden Stilrichtungen wird es nie langweilig. Ich will auf keinen Fall versuchen, irgendeinem Raster gerecht zu werden. Stilistische Konsistenz hin oder her, wenn auf einem Album jeder Song klingt wie der nächste, schlaf ich ein.

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DESOLATs Songwriting Garage am Ückendorfer Platz

Wie schreibt ihr in der Regel eure Songs und wie regelmäßig kommt ihr als Band zum Kreativsein oder Proben zusammen?

Markus: „ückendorfication“ haben Mogli und ich großteils zu zweit geschrieben und recorded. Das war vor allem durch den Wunsch nach Effizienz begründet, da wir die Songs endlich fertig machen wollten. Corona hat hier vor allem vieles in die Länge gezogen und die Band auch fast gekillt. Im Anschluss haben wir die Songs dann gemeinsam, in der Regel zweimal die Woche, für die Livegigs geprobt. Da waren wir aber auch noch zu dritt. Jetzt sind mittlerweile fünft und sehr glücklich darüber, Mika und Lilly dabei zu haben. Die beiden sind super Musiker und werden sich für das nächste Album in den Songwritingprozess einbringen. Mal schauen was da raus kommt, hehe.

Mika: Lilly und ich haben schon einiges fürs nächste Album vorbereitet – es wird anders wild.

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DESOLAT, Foto von Annika Toyah Bode

„Autos, Autos“ spricht mich besonders an, da ich die Faszination dafür wenig nachvollziehen kann und mich durch die steigende Anzahl von Karren, Individualverkehr und die sogenannte Freiheit der anderen ziemlich eingeengt fühle. Was wäre euer Ideal, autofreie Zonen?

Markus: Ich habe klassisch mit 18 den Führerschein gemacht und bin, bis ich ausgezogen bin, auch gerne mit meinem Opel Corsa B durch die Gegen gecruised. Mit dem Auszug wurde das Auto schnell lästig: kein Geld für Sprit, Parkplatz-, Strafzettel- und Reparaturgebühren. Ich habe es dann mit 21 verkauft und lebe seitdem autofrei. Da wir sowieso zu viele Karren haben, kann ich, wenn es mal sein muss, ein Auto von anderen ausleihen. Das ist auch das Stichwort: Ich glaube den Individualverkehr werden wir nicht mehr los, aber wir können ihn effizienter gestalten, bspw. durch Sharing-Angebote. Leider klappt das im Ruhrgebiet aus verwaltungstechnischen Gründen nicht so easy wie bspw. in Berlin. Ebenso sollten wir das innerstädtische Parkplatzangebot reduzieren. Die ganzen Autos sehen scheiße aus und klauen Lebensraum. Ich hasse sie einfach – auch E-Autos.

Mika: Was Markus sagt. Man merkt einfach jeden Tag mehr, dass wir ZU VIELE Autos, und ZU WENIG Platz dafür haben. Im Ruhrgebiet schon scheiße, bei Städten wie Berlin oder Hamburg muss ich garnicht anfangen. Am schlimmsten finde ich aber, die komplett unnötigen Aspekte unseres Auto-Fanatismus. Niemand, aber auch wirklich Niemand braucht in der Stadt eine G-Klasse. Niemand braucht Supersportwagen, mit 500+ PS. Niemand braucht Autokorsos mit Gehupe und unnötiger Staubildung und wirklich überhaupt niemand braucht die Sportauspuff-Lelleks die Nachts mit 120 durch die 50er Zone ballern.

„Verpass nicht den Anschluss I“ widmet sich dem täglichen Hamsterrad. Den Wunsch, nicht stumpf 9 to 5 zu arbeiten, kann ich gut nachvollziehen, finde es aber auch schade, dass Arbeit für die meisten per se negativ ist. Um was geht es euch genau in dem Song, um die Zeit, um die Sinnlosigkeit der meisten Jobs oder etwas ganz Anderes?

Markus: Es geht um die Überbewertung der persönlichen Erfüllung durch Lohnarbeit. Unsere Generation ist durch unsere Eltern dazu erzogen worden, dass wer viel arbeitet, am Ende viel verdient und letztlich glücklich ist. Dieses „sei nur fleißig“ entspricht in unseren 20er-Jahren leider schlichtweg nicht mehr der Realität. Wir befinden uns in einer Zeit, in der es uns erlaubt ist, über die eigene psychische Verfassung offen sprechen zu dürfen. Das ist eine große Errungenschaft.

Mit dieser Möglichkeit bröckelt die Fassade des 9 to 5 Erfolgsmodells. Ich glaube, dass nicht jeder Mensch für die klassische Lohnarbeit gemacht ist und trotzdem für die Gesellschaft wertvoll sein kann, indem er etwas ganz anderes tut. Deswegen befürworte ich ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ich denke, wenn jeder nur so viel arbeitet, wie er möchte und nicht wie er muss, wäre unsere Gesellschaft am Ende produktiver und glücklicher.

Ich selbst habe gemerkt, dass mich gewisse Arbeitsmodelle krank machen. Im Endeffekt arbeite ich aktuell, wenn man auf die Uhr guckt, sogar mehr als früher, aber frei und für mich sinnstiftend. Damit schöpfe ich das Kapital, das ich erwirtschaften könnte zwar nicht ansatzweise aus, aber dafür kauf ich mir weniger Scheiße, die ich sowieso nur kaufen würde, weil ich von meinem Job so gestresst bin. Das gibt mir das wertvollste Gut überhaupt: Zeit. Und mit Zeit kann ich meine Umwelt und meine Mitmenschen intensiver wahrnehmen, was mich glücklicher macht.

Mika: Word.

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