Interview mit Mine zum Album „Baum“
Es ist der Tag der Veröffentlichung von MINEs neuem Album „Baum“, als wir uns per Videokonferenz zusammenschalten. Die Stimmung ist entsprechend gut, es fühlt sich an wie Geburtstag. Wir sprechen über weniger offensichtliche Songs, über ausgefallene Instrumente, Nachhaltigkeit in der Produktion und auf Tour, ihren veränderten Kreativprozess, dunkle Phasen, die Macht von Chören, illoyale Kunstschaffende und den neu gewonnen Freiraum, den die veränderten Kompositionen vor allem live bieten.
Herzlichen Glückwunsch, heute ist dein release day!
Mine (strahlt): Dankeschön, grüß dich, guten Morgen! Ich bin ganz aufgeregt!
Aber nicht wegen dem Interview, oder?
Mine: Wegen dem Tag!
Fühlt es sich an wie Geburtstag?
Mine: Besser. Ich hatte erst sechsmal release day wegen eines Albums gehabt und Geburtstag hatte ich ja schon 38 Mal und deswegen fühlt sich das noch besonderer an (lacht). Und außerdem musste ich für die Geburt ja gar nichts machen, da müsste man eigentlich meiner Mutter gratulieren.
Lass uns über das Album sprechen, wann hast du angefangen an „Baum“ zu arbeiten?
Mine: Kommt darauf an, wie man das sieht. Die richtig intensive Zeit war vielleicht so ein Jahr bis eineinhalb Jahre. Aber ich habe schon als ich schwanger war den Song „Schattig“ geschrieben, das war kurz nachdem „Hinüber“ veröffentlicht wurde. Also vor mittlerweile vor drei Jahren fast, wow.
Gibt es lange Phasen bei dir, in denen du gar keine Musik machst?
Mine: Ne, aber für mich hat es sich schon voll lange angefühlt. Ich war ein paar Monate raus, als die Kinder zur Welt kamen, da habe ich gar nichts gemacht, gar nichts geschrieben. Und da habe ich am Ende gemerkt, dass es mir etwas zugesetzt hat.
Nicht kreativ sein zu können?
Mine: Ja, genau. Ich brauche das. Ins Studio gehen zu können, zu schreiben, weil es für mich ja schon ein bisschen Therapie ist. Im Nachhinein war es gar nicht so lange, aber es kam mir damals ewig lang vor.
Da du Mutter geworden bist, hat sich dein Tagesablauf geändert und somit die Möglichkeiten, wann du dich dem widmen kannst. War das ausschlaggebend, dass die Platte so klingt, wie sie jetzt klingt?
Mine: Auf jeden Fall. Beziehungsweise… ich weiß es ja nicht, wie die Platte geworden wäre, wenn es anders gewesen wäre. Aber ich glaube anders, weil der größte Unterschied war, dass ich portionsweise im Studio war. Am Anfang wollte ich in Berlin bleiben und hier schreiben, habe dann aber gemerkt, dass das nicht funktioniert. Für das Produzieren und Aufnehmen war es cool, aber für das Schreiben nicht, weil ich wusste, dass ich um 18 Uhr wieder daheim sein möchte und ich brauchte diesen luftleeren Raum und die gefühlte Langeweile. Das ist keine wirkliche Langeweile, aber es war wichtig, zeitlich an nichts gebunden zu sein. Ich bin dann nach Sandhausen (Anmerk. d. Red.: Stadtteil von Mannheim) gefahren und das hat sehr gut funktioniert, also bin ich immer wieder dahin gefahren, aber musste dann auch von dort oft mitten im Prozess los.
Dann ging es zurück in den Alltag und erst nach einigen Tagen oder sogar Wochen zurück ins Studio, dann habe dort den Song wieder gehört und hatte Abstand davon. Ich habe ihn zwar daheim immer mal wieder angemacht, konnte aber nicht daran arbeiten. Das war ein großer Unterschied und ich habe das Gefühl, dass es „Baum“ ganz gutgetan hat, denn ich habe dann richtig hart aussortiert. Und teilweise sind die Songs auch so kurz, weil nur die Essenz übrig geblieben ist. Also das, was mir am besten gefallen hat, weil ich das Gefühl hatte, das andere stinkt dagegen ab, ich schneide es weg. Manchmal habe ich versucht, noch etwas dazuzuschreiben, dann aber gemerkt, dass da nichts mehr ist und habe es einfach so gelassen wie es war und mich damit am besten gefühlt.
Ich habe den Eindruck, dass man noch nie so viel Facetten von dir gehört hat, wie auf „Baum“! Und deine Platten waren immer vielfältig. Man meint beinahe, deine Tagesform zu spüren.
Mine: Ja, stimmt. Das ist witzig, in einem anderen Interview wurde mir gesagt, es fühle sich an wie ein Mixtape und beim letzten Album sei alles sehr detailliert und jeder Ton dreimal durchdacht gewesen. Ich habe beim Prozess diesen Unterschied nicht gemerkt. Aber tatsächlich war es so, dass ich weniger Zeit hatte und trotz aller Euphorie das ganze tiefe Eintauchen in die Songs anders war und ich musste Dinge zur Seite legen, wo ich sie noch gar nicht zur Seite legen wollte. Aber ich bin überhaupt nicht weniger zufrieden oder so, habe trotzdem das Gefühl, dass es zu Ende gebracht wurde. Es war wohl etwas unbedarfter an manchen Stellen.
Ja, genau, unbedarft trifft es gut und das Wort Mixtape habe ich auch in meiner Review verwendet. Lass mal über den Männerchor sprechen, den du auf „Hinüber“ sicher auch anders integriert hättest. Jetzt steht er für sich und fasst diesen Song „Danke gut“ als „Danke gut (Intro)“ zusammen, oder?
Mine: Die Geschichte dazu ist ganz witzig, denn eigentlich ist das der Refrain zu dem Song „Danke gut“ gewesen, von dem Song, wie er früher mal geklungen hat, da hieß er noch „Wenn die Sonne scheint“. Ich habe mir den immer wieder angehört und … ähm… das war einfach nicht gut (lacht). Der Refrain war aber geil und ich habe den Text dann genommen und „Danke gut“ geschrieben, wollte den Teil aber nicht wegschmeißen. Der bestand erstmal nur aus Vocoder, dann kam die Zusammenarbeit mit den ffortisibros zustande und jetzt finde ich es perfekt, weil es zwar zusammengehört, aber trotzdem zwei Stücke sind.