MINE 2023, Foto von Bastian Bochinski

Interview mit Mine zum Album “Baum”

Du hast schon öfter mit Chören zusammengearbeitet, in diesem Fall gab es aber den besonderen Wunsch nach einem Männerchor. Was hat für dich den Unterschied ausgemacht?

Mine: Ich wollte mit klassischen Chören zusammenarbeiten, weil ich viel klassische Musik gehört habe. Man muss bedenken, dass es in der Zeit so um 1960 oder 1950 herum so war, dass es kaum Musikerinnen gab und die Chöre bestanden deshalb aus Männern (lacht). Wenn man also klassische Chöre anhört, dann sind es eigentlich immer Männer. Aber ich habe mich nicht aus diesem Grund für die Männer entschieden, sondern wegen des Textes. Da heißt es ja: “Junge, halt es nicht zurück. It’s ok to cry.” Und ich hatte immer ein bisschen die Angst davor oder das Gefühl, es könnte auch zeigefingrig gelesen werden, wenn es von einer Frau kommt. Das käme dann vielleicht auch bissig und ich meine ja überhaupt nicht bissig, aber man hätte so auffassen können. Und das wollte ich nicht, es sollte wie eine warme Umarmung klingen. Und ich hatte das Gefühl, dass es eher so ankommt, wenn es ein Mann einem Mann sagt. Deshalb fand ich die Idee irgendwie sehr schön.

Du hast Vocoder erwähnt, wenn man “Baum” anhört, dann meint man, es könnte auch nur mit herkömmlichen Instrumente gespielt sein. Wer dich bisschen kennt weiß, dass es sicher nicht so ist. Was ist das außergewöhnlichste Instrument, das für die Platte verwendet wurde?

Mine: Ich würde sagen, das Harpejji, ein modernes Instrument aus USA. Ein Mix aus Harfe, Gitarre und Klavier und es wird auf “Danke gut” verwendet. Das sind diese Melodieantworten auf den Refrain. Also ich singe “…triff mich da, wo es wehtut” (singt vor) und dann spiegelt das Harpejji die letzten Töne (singt die entsprechenden Töne). Das hätte man sicherlich auch mit einem anderen Instrument herstellen können, aber hätte man nicht so schön sliden können, denn auf dem Instrument kann man die Saiten so gut ziehen und klingt dann besonders schön (lacht).

Das wirst du aber nicht mit auf Tournee nehmen können, oder?

Mine: Nein, leider nicht. Das würde sich nicht lohnen, da es auch nur an dieser Stelle zum Einsatz kommt. Aber tatsächlich überlege ich mir, dass ich noch andere ungewöhnliche Instrumente integriere und die dann auf Tour verwende. Aber so weit bin ich noch nicht. Das Ding ist auch riesig, wäre schwer mitzuschleppen und ich hätte Angst, dass es kaputtgeht, weil es das teuerste Instrument ist, das ich besitze.

Das Album und die Art, wie du die Songs komponiert hast, zwingen dich ja dazu auch live noch kreativer zu sein. Du kannst das ja nicht alles so auf die Bühne bringen, machst du dir darüber schon Gedanken?

Mine: Ja, denn genau das würde ich gerne (lacht). Ich sage dir ganz ehrlich, das wäre das, was ich mir gerne irgendwann erfüllen würde: Auf Tour gehen und wirklich alle mitnehmen, die daran beteiligt waren (lacht). Na ja, dieses Mal geht das noch nicht, ich bin auch schon mitten im Prozess, Licht und Bühnenbild stehen schon. Jetzt bin ich gerade in der musikalischen Dynamik drin, habe schon ein paar Songs herausgesucht, die wir spielen. Es gibt also keine fertige Setlist, aber einen Songpool, dafür habe ich schon die Noten geschrieben. Jetzt geht es daran, wie genau es umgesetzt wird, es gibt noch keine Gesamtdynamik für das Konzert. Ich habe bis jetzt durchgehend Interviews gegeben und hatte deshalb hatte ich dafür bisher keine Zeit.

Aber nächste Woche fange ich an und bin schon richtig heiß drauf und freue mich, mir das zu überlegen. Weil es ist genauso, wie du sagst, mir stehen gefühlt alle Türen offen und es wird anders klingen, als das Album. Ja, live klingt immer anders, als auf Platte, aber dieses Mal ist es eine besondere Herausforderung. Welche Tür macht man auf, nimmt man andere Instrumente? Es gibt so viele Möglichkeiten und das ist für mich das Allerschönste, so eine Spielwiese zu haben.

Eine Song auf “Baum” heißt “Copycat” und ich dachte erst, es sei ein Cover von THE CRANBERRIES (MINE lacht), weil ich weiß, dass du die Band magst. Aber es ist eher ein Diss an illoyale Künstler, was war der Auslöser?

Mine: Dass ich übel sauer war, auch wenn ich selbst noch nicht beklaut wurde. Aber in meinen Bekanntenkreis kam es in letzter Zeit öfter vor, dass wirtschaftlich erfolgreichere Act sich an Indie-Acts bedient haben und keine credits gegeben habe, keine Gema-Punkte abgegeben, sie nicht informiert oder gefragt haben und es aber sehr offensichtlich war. Durch Verbindungen im Business weiß man ja schon, wer was kennt und wer mit wem gearbeitet hat. Das hat mich übel sauer gemacht, zumal es auch von Leute kommt, von denen man es auch so gar nicht erwartet.

Die verkaufen sich selbst als künstlerische Genies und sowas finde ich total schäbig, denn meistens haben sie es gar nicht nötig und den Indie-Acts würde es aber sehr viel bringen, wenn sie diese credits bekommen würden, weil sie wirtschaftlich noch viel, viel abhängiger sind, aber unsere Kulturlandschaft ausmachen. Und gerade jetzt nach Corona, wo die Schere zwischen Künstler und Künstlerinnen im Hinblick auf reich und arm so krass auseinanderdriftet und es so wenig Möglichkeiten für Platzierungen gibt, da finde ich das nochmal auf eine ganz andere Art ekelhaft. So lange war ich schon darüber sauer, dass der Song einfach so passiert ist, der war gar nicht geplant (lacht).

Und du hast es gut auf den Punkt gebracht, dich nicht in Rage geredet und trotzdem alles gesagt. Ein Song, der mir erst im Nachhinein aufgefallen und jetzt einer meiner Favoriten ist, ist “Weiter gerannt”. Er kommt nach “Baum (Reprise)” und wirkt so wie zusätzlich angefügt, wie ein Stück aus einer Zeit nach allem. Als ob man eigentlich schon das Ende erreicht hat und dann doch nochmals zurückkommt. Was hat es damit auf sich und warum ist das der letzte Song?

Mine: Das ist ein Rückblick in eine Gefühlswelt, die mich lange begleitet hat und jetzt zum Glück nicht mehr präsent ist. Ich wusste, als ich ihn geschrieben habe, dass ich ihn an den Schluss machen will, weil ich es als Bild so schön finde, dass es eigentlich das Ende ist, man aber trotzdem noch weitermacht. Und ich fand es gut, dass “Baum (Reprise”) einen vorher nochmals so herunterholt, eigentlich wollte ich das Horn-Stück gar nicht auf die Platte machen, das war eine kurzfristige Entscheidung. Direkt nach “Fesch” wäre es zu plakativ und man wäre weniger aufnahmefähig gewesen. Und, “Weiter gerannt” ist auch mein heimlicher Favorit (lacht).

Ich finde, die Instrumentierung klingt wie in futuristisches Spinett.

Mine: Ja! Aber es ist einfach nur ein digitaler, auf random eingestellter, Synthesizer, den haben wir ganz oft aufgenommen. Jedes Mal, wenn man den abfeuert, macht er etwas anderes. Er bricht die Akkorde auf, aber nach keinem System und dann haben wir aus den verschiedenen Aufnahmen etwas zusammengeschnitten. Und es so krass, den so zu produzieren, denn eigentlich hatte ich einen Appetiator für “Ich weiß es nicht” gesucht und da kam der Synthesizer dann um die Ecke, der hat zu dem Song dann gar nicht gepasst. Aber ich hatte eben sofort den neuen Song damit im Kopf und mir war gleich klar, wie die Melodie sein muss und welche Rhythmik ich wollte. Den Song selbst habe ich dann in 10 Minuten geschrieben, das war voll krass, richtig magic (lacht).

“Spiegel” und “Stein” sind beides Song über innere Verhärtungen und Unsicherheiten, aber beide auch mit lockerer, schon fast fröhlicher Musik. Wolltest du damit mitgeben, dass man im Nachhinein über vieles lachen kann?

Mine: Ich habe schon viel Abstand zu diesen Gefühlen und deshalb spreche ich auch in der Vergangenheitsform. Da ich das nicht mehr als negatives Gefühl in mir drin habe, klingt die Musik auch eher leichtfüßiger. Für mich ist das eher Storytelling und gar nicht so, dass ich mich übel traurig gefühlt habe und mir Luft gemacht habe. Eher ein Rückblick, ohne große, tiefe Emotionen dazu, also eher analytisch. Und deshalb fand ich eine Chanson-artige Nummer aus “Spiegel” zu machen sehr sinnig.

“Stein” fühle ich auch nicht so ernst, es geht eher um negative Gefühle generell. Ich hatte immer mal wieder Probleme mit Depressionen und war sehr hilft – wenn man es schon mal hatte und darüber hinweg ist – wenn man weiß, auch wenn man gerade drinsteckt, dass es vorbeigeht. Das Gefühl ist weiterhin groß, übernimmt einen und legt einen lahm. Aber man weiß, wenn man lange genug ausharrt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es wieder vorbeigeht. Das ist ja ein sehr positives Gefühl, gibt mir eine gewisse Ruhe und hat mich gelehrt Geduld zu haben. “Stein” geht eher um dieses Gefühl, dass man weiß, es wird wieder OK (lacht).

Das heißt, das war nur möglich, weil du den nötigen Abstand zu diesen Gefühlen hast. Erst dann kannst du angemessen darüber sprechen?

Mine: Ja, aber so ist es bei mir eh immer.

Bei dem Albumtitel “Baum” bietet sich die Frage nach Nachhaltigkeit an, du bietest das Album auch als Recycled Vinyl an. Vorhin meintest du, du würdest am liebsten alle mit auf Tour nehmen, was weniger nachhaltig wäre. Kannst du sowas auf deiner Tour berücksichtigen, dass du nachhaltig bist?

Mine: Ein sehr guter Punkt, den du ansprichst, über den ich mit unserem Gitarristen Hannes sehr viel gesprochen habe. Der hat nämlich seine Masterarbeit darüber geschrieben, mit der Fragestellung “Wie kann man nachhaltig touren?”, er hat auch mit Bussen und Elektro schon einiges ausgecheckt. Ich muss sagen, dass wir auf Tour in dem Rahmen des Möglichen versuchen, darauf zu achten. Aber natürlich ist das nicht das Geilste für die Umwelt, drei Wochen mit einem großen Bus durch Deutschland zu fahren. Auf der anderen Seite gibt es Stellschrauben, an denen sich in meinem Beruf gut drehen lässt. Ich kann ja nicht sagen, dann spiele ich eben nur in einer Stadt, dann müsste ich den Job wechseln. Was ich aber machen kann, sind keine Inlandsflüge, kein Plastik auf der Tour und darauf achten, dass alles was wir kaufen und auch das Catering nachhaltig ist. Für die Produktion und die Bühnenoutfits achte ich darauf, dass keine Menschen ausgenutzt werden. Aber das ist eher hinter der Bühne.

Genau, denn Nachhaltigkeit bezieht ja, abgesehen von der CO₂-Einsparung, Soziales mit ein, also wie stelle ich mein Team zusammen und wer bekommt welches Geld.

Mine: Auf jeden Fall, gerechte Bezahlung. Bei uns bekommen alle im Team gleich viel, egal was sie tun. Das war schon immer so und das behalten wir auch bei, soziale Komponenten sind natürlich wichtig. Aber es ist grundsätzlich ein wichtiger Punkt, deshalb sprechen wir auch immer wieder darüber, den richtigen Umgang damit, habe ich noch nicht gefunden.

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