Interview mit Nathan Gray über das Album „Rebel Songs“
Mit seinem neuen Album „Rebel Songs“ erweitert NATHAN GRAY seine eigene und unsere Perspektive. Mit THE IRON ROSES hat sich eine heterogene Gruppe aus Künstlerinnen und Künstlern zusammengefunden, die sich gegenseitig inspiriert und mit Sicherheit in den nächsten Jahren noch mehr zusammen ruckeln wird. Schon bevor es möglich war, offen über männliche Unsicherheiten und psychische Probleme zu sprechen, hat NATHAN GRAY genau das getan. Bei BOYSETSFIRE war der innere Kampf immer spürbar, in Interviews und auf seinen Social Media Kanälen hat er oft die richtigen Worte gefunden.
Das war aber nicht immer so. Wir sprachen darüber, wie schnell der Hass Menschen auf die andere Seite ziehen kann, die Macht des Einzelnen, Musik als Stütze und die Tatsache, dass man raus auf der eigenen Komfortzone muss, wenn man tatsächlich etwas bewegen möchte.
Meiner Meinung nach, ist „Rebel Songs“ das positivste Album, das du bisher veröffentlicht hast. Bist du der fröhlichste Rebell der Welt, was ist passiert?
(lacht) Ich denke, bei all dem Unheil und Verderben, das in der Welt gerade passiert, ist fröhlich bleiben wohl einer der stärksten, rebellischen Aktionen, die man aktuell bringen kann. Im Moment können wir beobachten, wie viele Menschen von anderen dazu verleitet werden zu hassen, sie werden kontrolliert und dazu gedrängt. Wir sollten den Gegenpol dazu bilden. Es reicht nicht, nur die gute Version von Wut zu sein.
So würdest du Rebellion definieren?
Ja, absolut. Rebellion ist immer ein Gegenpol zu den vorherrschenden Zuständen. Wenn du wirklich ein Rebell sein willst, dann kannst du eigentlich nicht die gleichen Werkzeuge der Unterdrücker benutzen. Sie suchen sich gezielt Leute aus, die verletzt wurden und geben ihnen einen Grund, indem sie eine andere Gruppe als Schuldige für deren Verletzung benennen. Wir erkennen die Verletzung auch, suchen aber keine Schuldigen, sondern wir bieten ihnen unsere Hilfe an.
Wir müssen nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern wir können wieder eine Gemeinschaft werden, die füreinander da ist und sich gegenseitig hilft. Innerhalb dieses Prozesses entwickelt sich das Glück von ganz alleine und glückliche Menschen haben es am Ende des Tages nicht nötig andere zu beschuldigen. Wütende Menschen, gebrochene Menschen, sie alle verletzten andere Menschen. Von glücklichen Menschen geht keine Gefahr aus, sie wollen alle anderen auch nur glücklich sehen. Alle die über Geflüchtete oder Immigranten schimpfen, diese ganze Scheiße, es liegt es immer daran, dass sie gebrochen wurden und Hass sich in sich tragen.
Das erinnert mich an Hippies oder an das Prinzip killem with kindness“…
(lacht) Ja klar. Wobei, das Ding mit killem with kindness hat etwas passivaggressives. Wenn man nur liebenswürdig ist, um jemand anderen anzupissen, dann ist ja nicht wirklich liebenswürdig. Das trifft es also nicht ganz, aber mit Sicherheit kann man sich aus der Geschichte und unterschiedlichen Kulturen einiges zusammentragen. Wenn man ehrlich gesagt in die Sechzigerjahre zurückschaut, dann waren da aber nicht nur die Hippies und es ging nicht ausschließlich harmonisch zu. Es gab ja auch Gruppen wie die Black Panther und die hatten ganz andere Ziele als peace, love and joy (lacht). Und es gab noch einige mehr in der Zeit, die rebellisch gegen das System gekämpft haben.
Es gibt ein System, das sich zu bekämpfen lohnt und es gibt diese Zeit, um wütend zu sein und es muss sich etwas verändern. Wir sollten aber klug vorgehen. Es gibt mit Sicherheit einige Menschen, die man nicht mehr erreichen kann, die sind komplett und für immer verloren. Aber wir sollten den Unterschied zwischen denen erkennen, die verloren sind und manipuliert wurden oder denen, die wütend oder verletzt sind und denen wir sagen können: Hey, das ist nicht der richtige Weg.
Genau diesen Unterschied herauszufinden, ist ja aber total schwer. Wie gehst du da vor, redest du viel mit Menschen?
Auf jeden Fall ist das nicht einfach. Revolution nicht einfach. Veränderung ist nicht einfach und Glücklichsein ist auch nicht einfach. Bigotterie ist einfach und Hass ebenfalls. Es startet damit, dass man sich überhaupt um diese Menschen schert und bereit ist, diese verdammt, harte Aufgabe anzunehmen. Und nicht wenige, denen du helfen möchtest, werden dir sagen, dass du dich verpissen sollst, dich auslachen und deine Hilfe ablehnen, vielleicht schlagen sie dir sogar eine rein. Menschen, die missbraucht werden, verbünden sich oft mit ihren Unterdrückern, das ist Teil des Plans.
Auf dem Album „Rebel Songs“ gibt es viel Ska und Reggae-Elemente und gerade Reggae hatte immer eine starke, politische Komponente, hast du dich deshalb mit diesem Genre auseinandergesetzt?
Ich war auf der Suche nach einem Weg, um zwar sehr persönlich über Politik zu singen, aber eben auch auf eine fröhliche Art. Ein sanfter Protest. Ich bin so müde und ausgebrannt davon, immer wütend sein zu müssen und darüber zu singen, was mich so ankotzt. Das hilft niemandem weiter, mir auch nicht. Aber zu realisieren, dass ich auch revolutionäre Musik machen kann, die zielgerichtet sein kann, das war für mich eine Erkenntnis, die mein Leben verändert hat. Ob das jetzt Reggae oder Hip Hop ist, beide haben diesen Effekt und beide Musikstile habe ich schon immer gemocht, kam aber nie auf die Idee, sie selbst so einzusetzen. Letztendlich hat das auch meine Vorgehensweise beeinflusst, wie ich mich textlich ausdrücken muss. Es reichte nicht mehr aus, ein Lied zu schreiben, das pissed off heißt und in dem es darum geht, dass ich angepisst bin. Wen interessiert’s? Die Frage lautet doch viel eher, was können wir tun, um das zu ändern? Es geht um Lösungen, selbst wenn das nicht die letztendlichen Lösungen sein müssen.
Also geht es darum, stetig echte Nachwirkungen zu erschaffen?
Genau, denn nur das kann uns als Individuen verändern. Wir haben größtenteils eine Nachbarschaft, also auch Nachbarn, haben wir schon jemals wirklich Kontakt aufgenommen? Also zu denen, die nicht wie wir in der Punk- oder Hardcoreszene sind. Wie können wir uns anmaßen, sie auszuklammern und dann gleichzeitig erreichen zu wollen? Deinen Nachbarn ist deine Punkmusik scheißegal. Performativen Wandel erreichen wir, wenn wir auf einer Bühne stehen und nur zu anderen, die alle das Gleiche denken wie wir, sprechen. Aber wir wollten doch echt Veränderung. Oder im Internet, wo doch eh alle, die uns folgen, nur nicken, bei dem, was wir sagen.
Also raus aus der Blase!
Ja, auf jeden Fall.
Das ist ein herrlich tiefgründiges Interview. Mir gefallen die Boysetsfire Sachen zwar besser, aber Nathan Grey ist ein interessanter Typ und jetzt hör ich mir das neue Zeug doch mal an.