Linus Volkmann – Interview über Festivals, Verrisse, Feminismus & Autotune
Linus Volkmann und ich treffen uns auf dem Maifeld Derby, quasi das Gegenteil von Kommerzfestivals wie Rock am Ring und Wacken. Hier liest der Autor und Musikjournalist (Cosmo, Die Zeit, Neo Magazin Royale… ) aus seinem Buch „Sprengt die Charts! Wie werde ich Popstar (und warum?)“. Die Stimmung ist am Kochen, als Volkmann seine eigene Mische von Klosterfrau Melissengeist mit Red Bull an das Publikum verteilt. Manchmal ist es einfach.
Beim Maifeld Derby haben die Künstler jeweils eine Pferdebox als Aufenthaltsraum. Wer kein Musiker ist, nur Bücher vorliest und Alkohol mit Medikamenten mischt, steht bei Festivals vom Niveau her so kurz über Bauchredner. Weshalb Linus keine eigene Box hat, deshalb weichen wir in die Box der Postpunkband KARIES aus.
Ist man als Lesender auf einem Festival gerne gesehen oder winken da eher alle ab?
Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Wenn man seine eigene Veranstaltung hat, dann kann man schon einschätzen, wer kommt und was die Leute wollen. Bei Festivals ist das ja alles ein Megazufall. Es gibt schon konzentriertes Publikum und auch so diese Festivals, die eh schon fünf Bühnen haben, dann aber noch eine Kinderbühne machen und vorher halt eben noch so ’ne Lesebühne, auf der sich dann jemand verwirklichen darf und für ein paar hundert Euro die Leute bespaßen kann. Man merkt schon, wenn es dem Festival wichtig ist, dann kommt das auch rüber und das Publikum hat dann auch einen Bezug dazu. Wenn das Festival das einfach noch dazu geklatscht hat, dann sitzt man da auch echt vor den letzten Ratlosen, die sich eben einfach nur mal setzen wollten.
Verfolgt das Maifeld Derby für Dich einen guten Ansatz? Hier gibt es immerhin den festivaleigenen Derbydollar als einziges Zahlungsmittel und morgen gibt es hier Steckenpferddresseurreiten. Da hinten auf dem Platz rennen dann ein paar Verrückte mit zu viel Tagesfreizeit und Besenstielen zwischen den Beinen auf dem Platz herum und tun so, als ob sie echte Pferde reiten würde. Ist Dir das schon zuviel?
Von meinem Millieu und von meinem Blick her, würde ich sagen, dass das Festival echt gut ist. Richtig gute Leute und eben das Millieu, von dem ich auch lebe, wegen dem ich nicht zu Rock am Ring muss. In diesem Fall ist es ja keine abstrakte Agentur, sondern das macht alles Timo Kumpf (GET WELL SOON) und insofern ist das mega. Mir persönlich ist das eigentlich alles zu viel, auch wenn ich es lustig finde, hier mitzuorgeln. Ich bin nicht so der Typ für ‚die beste Hochzeit‘ oder ‚den besten Kindergeburtstag‘, sowas reizt mich alles trotzdem nicht. Das ist mir auch viel zu unhygienisch, ich habe da meine Rolle gefunden. Also es ist jetzt nicht so, dass ich total euphorisch von so kleinen Festivals nach Hause komme und komplett aus dem Häuschen bin, weil die da jetzt noch ein Rennen oder ein Fußballturnier veranstalten.
Festivals sind Deiner Meinung nach generell eine Scheißerfindung?
Ich bin halt nicht so gerne unter Leuten, ich bin nicht gerne unter vielen Leuten und auch nicht so gerne im Freien. Und da ist eben natürlich schon vieles vom Festival abgedeckt. Mein Traumfestival wäre, wenn diese Hologramme sich verselbstständigen. Es gab ja schon ein Festival, wo dann 2PAC als Hologramm auf der Bühne war. Mein Traum wäre, dass man als Publikum als Hologramm erscheinen könnte beim Festival und eigentlich zu Hause wäre.
Wäre 2PAC jemand, denn Du Dir angucken würdest?
Könnte mein Hologramm sich dann angucken, ja.
Entsprach der aber Deiner Vorstellung von einem Popstar?
Nein, ich habe in den Neunzigern nur Dorfmetal, Punk und Hamburger Schule gehört. Kann also wirklich nichts Valides zu 2PAC sagen. Ich weiß aber, dass es den gab.
Man munkelt ja, dass es den sogar noch immer gibt.
Ist das nicht bei allen, die gestorben sind, so, dass man denkt, dass die noch leben? Das klingt so bisschen so wie: ‚Glaubst Du wirklich, dass jemand auf dem Mond gelandet ist? Hast Du nicht den Schatten da gesehen? Uiuiui‘
Ich glaube, dass ich hier vorhin auch die Pferdebox von 2PAC gesehen habe.
Elvis wurde ja auch mal immer wieder gesichtet. Aber ich fürchte, der ein oder andere Künstler ist wirklich tot, man kann nichts machen.
Du hast zusammen mit Paula Irmschler einen Podcast namens „Feminismus und Autotune“. Da ging es in der ersten Folge unter anderem auch um Frauen, beziehungsweise keine Frauen, auf Festivals. Woher kommt es, dass man die Verantwortung jetzt offensichtlich komplett an die Festivalveranstalter abgibt, fängt es nicht viel früher an?
Natürlich. Meine Vorstellung ist ja, dass es so eine eigene Szene ist, in der wir uns bewegen. Es gibt so Bands wie KARIES, bei denen wir jetzt in der Box sitzen, das sind ja keine abstrakten Leute von der Kulturindustrie, ebenso wenig wie Timo vom Maifeld Derby. Und seine eigene Szene sollte man auch mitgestalten. Von mir aus können die Rock am Ring auf ewig nur mit Männern bestücken. Aber hier, in solchen Zusammenhängen, da ist die Möglichkeit, als Publikum oder Szene mitzugestalten und da sitzt der Veranstalter natürlich am längeren Hebel. Die Repräsentation auf Bühnen, das ist ein ganz neuralgischer Punkt. Wenn die Mädels im Publikum sehen, dass sie nicht nur als Publikum gemeint sind, sondern eben fünf Bands wie GURR spielen, dann kommen die auch auf andere Gedanken.
Sie merken, dass es möglich ist und es einen Platz für sie auch auf der Bühne und nicht nur davor gibt. Vielleicht gründen sie dann Bands und interessieren sich dann wieder mehr dafür. Und über die Bühne selbst transportiert sich das schneller, als wenn man Workshops oder Camps anbietet, wobei das natürlich auch wichtig ist. Und ich will denen ja auch nicht Böses, es geht eher um das Ausreizen der Möglichkeiten und die Chance, dass ein Festival der Zeit bei sowas auch gerne voraus und nicht hinterher sein kann. Bei vielen Festivals habe ich das Gefühl, dass die noch dem Status Quo von 2008 nachhängen.
Der Schauspieler Benedict Cumberbatch hat sich dahingehend geäußert, dass er in Film XY nicht mitspielt, wenn die Hauptdarstellerin nicht das gleiche Gehalt bekommt wie er. Das ist ein konsequenter Ansatz, der auch andere Künstler mit ins Boot holt, wo siehst Du deren Verpflichtung?
Ich finde es schwieriger von außen, als Künstler, auf ein Festival einzuwirken. Wenn ich auf einem Festival bin, mache ich es so, dass ich eben auch skandalisiere, wenn dann keine Frauen da sind. Aber wenn man gebucht ist, dann ist ja eigentlich schon alles durch. Der Veranstalter hat schon den längsten Hebel, wobei ich niemanden aus der Verantwortung nehmen möchte. Wenn die Welt, gerade die Popkultur, paritätischer wäre, also mehr Frauen mit an Bord wären, dann ist es ja auch für Männer besser.
Die Kultur ist besser, es ist eine andere Stimmung und Männer profitieren auch davon. Deshalb möchte ich nicht so rüberkommen wie ‚Oh, der gute Linus und jetzt setzt er sich so schön da ein und so…‘. Nein, ich mache das auch für mich, weil ich auch keinen Bock habe auf den Mackerscheiß und es wäre ganz eindeutig besser, wenn es anders wäre. Und da versuche ich jetzt etwas Druck zu machen, mit meinen kleinen Mitteln.
Lass uns mal zurück zum Popstar kommen, was macht für Dich einen Popstar aus?
Für mich ist das larger than life. Also jemand, der einem Bilder der Gesellschaft zeigen kann, die bisher noch nicht da sind. Gute Beispiele sind David Bowie und Lady Gaga. Wo man auch als Kleinstadtheini beeindruckt ist, weil Geschlechtergrenzen und Geschlechterrollen komplett aufgehoben sind und alles möglich zu sein scheint. Das ist total faszinierend und für mich das Spannende. Einfach mal rauskommen aus diesen Determinationen. Durch „Deutschland sucht den Superstar“ und „Popstar“ wurde das dann aber so eine Art Lehrberuf.
Ständig wird nur noch vermittelt, dass es darum geht pünktlich und fleißig zu sein. Der Popstar wurde durch die Castingsshowgesellschaft so extrem entzaubert. Durch das Buch wollte ich daran erinnern, dass der Popstar eigentlich eine Figur ist, die einen ganz woanders hinbringen sollte, das macht für mich die Faszination des Popstars aus.
Du musst Dich ja mit dem Zeug beschäftigen, um zu wissen, worüber Du redest und schreibst. Tun Dir die Castingteilnehmer und die Fans dieser Formate manchmal leid, weil sie darauf hereinfallen?
Das ist einfach nur ein Produkt der neoliberalen Unterhaltungsgesellschaft, dass man solche Sachen wie den Popstar als Blaupause benutzt, um das Versprechen des Kapitalismus von Teilhaben, Ruhm und Reichtum sichtbar zu machen. Alexander Klaws, der erste Gewinner von DSDS, der hat damit auch eine Karriere gemacht. Also eine Karriere, aber er ist doch kein Popstar, von dem ich beeindruckt bin und denke, dass er mal alles weggefegt hat, was ich für richtig hielt. Ich wünsche mir Popstars, die etwas machen, was ganz neu ist.
Erklärst Du nur den Popstar für tot oder gilt das auch für den Rockstar und den Schlagerstar?
Der Popstar ist schon der, der alles überstrahlt. Rockstar ist ja immer ein Versprechen von Authentizität und Ehrlichkeit, so jemand wie Thees Uhlmann oder Bruce Springsteen, das ist eher eine Rolle. In meiner Vorstellung ist der Popstar nicht greifbar, also so wie Lady Gaga in dem Fleischkleid. Fand ich als Vegetarier nicht so geil, aber diese Art der Verstörung würde jetzt Bruce Springsteen als Rockstar nicht machen, weil es nicht zu seiner Rolle passt. Schlagerstar ist so ein Kulturindustrieprodukt, dem ich wenig freien Willen und freie Gedanken zusprechen würde. Gibt bestimmt auch da geile Leute, aber diese Kunst ist doch sehr formalisiert und wenig frei.
Man nennt Dich häufig den Chefverreisser. Findest Du das gut oder sollen sich da lieber alle erstmal beruhigen?
Also diese Rolle gefällt mir eigentlich ganz gut, weil ich die damals als Redakteur auch immer gesucht haben. Wenn alle geschrieben haben, dass die neue CD von CASPER kommt und man schon vorher wusste, dass alles geil ist. Der Kanon wurde immer breiter und ich dachte mir, wenn alles geil ist, dann ist ja auch nichts mehr geil. Wenn man Plattenkritiken liest, dann sind alle super und wenn man Glück hat, dann ist mal eine negative dabei und die liest man dann auch gerne. Diese mediokre Scheiße der Popindustrie, alles ist immer gut, das nervt.
Du machst aber nie den Verriss nur des Verrisses wegen, Du findest die Musik dann wirklich scheiße, oder?
Sachen, die ich gut finde, will ich natürlich nicht verreißen. Ich suche mir schon Sachen, von denen ich weiß, die sind einfach objektiv scheiße, aber es sagt immer keiner. Mein Lieblingsbeispiel ist die Platte „Hammer und Michel“ von JAN DELAY. Das war seine Soloplatte, bei der er dann Rock machte und das wurde auch von der Plattenfirma ganz episch angekündigt. Man will dann natürlich die Titelstory haben, hat zwar noch keinen Ton gehört, sagt, dass dann aber schon sechs Monate vorher zu. Dann darf man doch nicht wie versprochen vorher im Studio vorbeikommen, kriegt nur das normale Scheißinterview und dann ist die Platte auch noch kacke.
Jetzt hat man aber schon zugesagt und kommt da gar nicht mehr raus, das war so mein Anreiz. Das war so 2012 oder 2013 und das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich bei INTRO kündigen werde. Ich habe mich echt gefragt, was ich da eigentlich mache. Ich wollte immer sagen, was geil ist und was scheiße und jetzt fand ich mich in einem Journalismus, wo das gar nicht mehr relevant war. Die Leser interessiert es nicht so richtig, das Marketing nicht und die Plattenfirma wollen natürlich auch, dass man positiv berichtet.
Hast Du Dich wegen dem Mangel an Faktizität für den Musikjournalismus entschieden? Normalerweise ist es ja beim Journalismus so, dass man Fakten schaffen muss und das entfällt in deinem Fall.
Bisschen ein Armutszeugnis, aber ja. Ich habe es nicht studiert und bin kein guter Journalist. Journalismus definiert sich ja auch über den Abstand, den habe ich nie gesucht. Ich habe als Fanzine-Schreiber angefangen und wollte die Regierung stürzen. Die einen haben Punkbands gegründet und im AJZ gespielt und ich war der Heini, der die Sache als Sprachrohr begleitet hat. Das habe ich mir auch ein bisschen bewahrt.
Ich lese gerne von Jens Balzer eine schlaue Plattenkritik über Madonna in DIE ZEIT, die ich so nie schreiben könnte. Aber bei mir gibt es natürlich Partizipation, mir geht es darum, dabei zu sein. Deshalb wahrscheinlich auch meine Stimme für mehr Frauen auf Festivals, das ist dieser Kampagnenjournalismus, der ja auch verpöhnt ist. Aber das ist so mein Ansatz. Ich will dabei sein, mitgestalten, mitmachen, bin Teil der Szene und niemand der da von außen draufkuckt und was Schlaues schreiben will.
Aber es ist Dir schon wichtig, dass Deine Verrisse fundiert sind, was macht für Dich einen guten Verriss aus?
Wenn man mit jemandem Schluss macht, dann versucht man ja so Schluss zu machen, dass der andere nicht denkt, es liegt an ihm. Obwohl es ja genauso ist. Verrisse sind genau das Gegenteil. Man muss sich einfach vorstellen, was die Leute eigentlich nicht hören wollen und ihnen genau das reindrücken. Die Leute haben ja schon abgespeichert, also wenn jetzt Jens Balzer einen Verriss schreibt, dann muss er schon aufpassen. Aber bei mir erwarten die das schon auch, ich kann mir da schon einiges mehr herausnehmen, weil ich es schon so lange mache.
Hat sich schon mal jemand für einen Verriss bedankt, weil ein Volkmann-Verriss eine Art Auszeichnung ist?
Kleine Bands bitten manchmal darum, ob ich was über sie schreibe, gerne auch schlecht. Das Beste bei Verrissen ist aus Sicht der Band, wenn man das totschweigt. Sobald man darauf reagiert, steht man total bescheuert da und hat verloren. Das würde ich keinem empfehlen.
Zum Abschluss lese ich Dir einen Originalpromotext vor, über den Du Dich eigentlich sehr freuen solltest. Mich würde interessieren, ob Du erkennst, um wen es sich handelt: ‚Der Song „Day & Night“ erzählt eine komplexe Geschichte von einer fast unmöglichen Liebe, dem Rausch eines Sommers und dem Kampf gegen Klischees und Vorurteile. Ein tiefgehender Reggae-Pop-Song mit Ohrwurmqualität‚. Der Text kam vorgestern rein…
Versteh ich doch gar nicht, diese Art von Musik… wen könnte ich da denn wohl mögen?
(Linus bekommt noch weitere Hinweise, rätselt aber vollkommen in die falsche Richtung…)
Ich löse auf. Es ist REBECCA SIEMONEIT-BARUM mit ihrem Duettpartner LE PRINCE
Ach jetzt hör auf, das gibt es doch nicht.
Doch, Iffi Zenker aus der Lindenstraße, für die Du mal einen Fanclub namens „Aus lauter Liebe“ geleitet hast. Wahrscheinlich wäre ich damals auch eingetreten, weil sie in unseren Kinderaugen ein frecher, gelenkiger Star war.
Wir hatten ja nichts, Nadine. Es gab ja nur Iffi Zenker, dann konnte die auch noch Handstand und war ein Zirkuskind.
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Wer hier lachen konnte, der wird auch mit TOT und derem Album „Lieder vom Glück“ Spaß haben, die Review dazu findet ihr hier.