Interview mit Phileas Fogg zum Album „Kopf, unten“
Die Post-Punker von PHILEAS FOGG kamen ziemlich unerwartet mit ihrem bemerkenswert starken, ersten Album „Kopf, unten“ um die Ecke. Anlass genug, um zu fragen, was das Trio zu ihrem düsteren und abgeklärten Sound und den smarten Texten geführt hat. Andreas, Nicholas und Fabi gaben bereitwillig Auskunft.
Wer ist bei PHILEAS FOGG dabei, woher kennt ihr euch?
Andreas: Angefangen hat PHILEAS FOGG mit einem Projekt von Nicholas und mir, wir haben schon vor 25 Jahren zusammen bei BOKANOVSKYS PROCESS gespielt. Nicholas spielte zu der Zeit noch bei KUBALLA, und ich dümpelte so mit meinem Soloprojekt FOOL vor mich hin. Um Ostern 2016 rum kam dann Fabi dazu, den Nicholas aus dem privaten Umfeld kennt. Ab diesem Zeitpunkt kann man ernsthaft von der Band PHILEAS FOGG sprechen.
Was hat es mit dem Cover auf sich? Ich deute das zusammengeknüllte Papier als Stillstand, da es so aussieht, als ob man es jederzeit wieder aufglätten konnten und die Idee somit wieder aufnehmbar ist. Es wirkt nicht so, als sei alles verloren, nur kurz verworfen und geparkt.
Andreas: Gute Interpretation. Wir waren recht spät dran mit Cover, und relativ unschlüssig, in welche Richtung das Artwork gehen sollte. Nicholas kam dann mit der Idee des zusammengeknüllten Papiers. Ganz ehrlich war für uns am Ende aber eher der ästhetische Aspekt ausschlaggebend.
Nicholas: Meine Idee war das zerknüllte Papier, als Symbol für die Suche nach fehlenden Worten und Ideen. Eine Geschichte zu schreiben, oder einen Plan zu fassen um diesen später als nicht geeignet zu erkennen. Oder einen schönen Gedanken einfach gar nicht aufzuschreiben.
Seid ihr Pessimisten oder Optimisten?
Fabi: Ich ordne mich in keine der beiden Kategorien ein. Durch Abwarten und kontemplatives Nichtstun wird sich sicherlich rein gar nichts zum Positiven ändern. Genauso falsch wäre es, in den Fatalismus zu verfallen, dass sowieso schon alles verloren ist. Ich denke, dass wir durch persönliche und gesellschaftliche Handlungen und Verhaltensänderungen Verbesserungen bewirken können. Es liegt an uns allen, ob es gut oder schlecht wird!
Andreas: Kann man auch beides sein? Wenn ja, dann bin ich beides, abhängig davon, welche Reichweite das Thema hat. Im Alltag würde ich mich meistens als Optimisten oder fröhlichen, blinden Pessimisten sehen. Bei Themen, wie Zukunft, oder bei globalen Themen, habe ich wenig Hoffnung, dass die Menschheit sich zusammenrauft. Ich habe das Gefühl, dass wir komplett verlernt haben uns von innen heraus zu ändern. Vor allem dann wenn wir in diesem Prozess Komfort und Bequemlichkeiten über Bord werfen müssten.
Worauf “Leistung” anspielt, ist ziemlich klar. Der Song wimmelt richtig und gibt einen strikten Takt vor. Wie ist es, wenn ihr dem Hamsterrad mal – durch Krankheit oder Urlaub – entflieht? Sehnt ihr euch nach der Struktur oder könnt ihr gut abschalten und auch mal faul sein?
Fabi: Zum Abschalten brauche ich einen relativ langen Vorlauf. In den ersten Urlaubstagen sind die Arbeit und die Dinge, die ich vielleicht nicht geschafft habe, noch sehr präsent. Durch meine kleine Tochter ist auch meine Freizeit gut durchstrukturiert.
Andreas: Ich hab schon eine hohe Affinität zur zweiten Strophe, in der es ja darum geht, dass wir uns selber auch in unserer Freizeit in einer Leistungsgesellschaft bewegen. Das wird natürlich nicht besser, wenn man dem Druck der sozialen Medien nachgibt und permanent Updates über sein Tun oder Nichtstun postest. Mit dem Älterwerden schwindet bei mir die Ruhe zu entspannen. Das geht soweit, dass ich es manchmal nicht mal mehr schaffe auf dem Sofa zu sitzen und einen Film am Stück anzuschauen.
“Erwartungshaltung einer neuen Kultur”, diese Textzeile lasst darauf schließen, dass ihr Leistung, wahrscheinlich im Zusammenhang mit Kapitalismus, als aktuelle Erscheinung wahrnehmt. Denkt ihr, es war mal anders?
Fabi: Ich denke, dass wahrscheinlich bisher alle Produktionsverhältnisse mit Zwängen verbunden waren. Allerdings kamen diese Zwänge von außen – auch in den Anfangszeiten des Kapitalismus. Im Gegensatz dazu ist der heutige Zwang zur Selbstoptimierung in allen Lebensbereichen sehr stark verinnerlicht. Umso schwerer ist es, sich von ihm zu befreien.
Andreas: Der „Burnout“ als Ritterschlag ist, so denke ich, das Problem unserer westlichen Gesellschaft. Man kann das sehr gut beobachten, wenn man nach ein paar Wochen in einem anderen Kulturkreis wieder hierher zurückkommt. Ich denke, Leistung als Messlatte war schon immer da, die Anwendung dieser Messlatte auf unser Freizeitverhalten ist aber erst in den letzten 30 Jahren entstanden, proportional zu den Möglichkeiten, dieses zu kommunizieren. Rainald Grebe hat das mal genial in einer Zeile zusammengefasst: „It´s competition, wir fischen“.
„Tanzen bis das Licht angeht“ ist auch eine Textzeile, die sofort hängenbleibt. Seid ihr gute Tänzer und ist damit wirklich das ausgelassene, fröhliche Tanzen gemeint oder eher ein Zappeln, um nicht gefangen zu bleiben?
Fabi: Es sollte nicht allzu verkopft an die Themen Musik und Tanzen herangegangen werden. Es ist einfach ein gutes Gefühl sich zur Musik zu bewegen und dabei gerade nicht daran zu denken, ob ich das gut oder schlecht mache. Dadurch hat es durchaus etwas Befreiendes. Egal, ob ich „fröhlich tanze“ oder „zapple“!
Andreas: Tanzen steht in diesem Song vor allem dafür die Musik mit dem Bauch und dem Herz zu hören, und nicht mit dem Hirn. Ich erwische mich selber allzu oft, dass ich über den ganzen Technikkram auf der Bühne nachdenke, und mein Urteil über die Musik auch manchmal davon abhängt, ob ich die Gitarren, Verstärker oder so Zeug gut fand. Ein guter Tänzer? Ich glaube, dass die Musik, zu der ich tanze, einen objektiven Maßstab über den aufgeführten Tanz nicht zulässt. Aber ja, ich mache das gern, und viel zu selten.
Trefft ihr euch regelmäßig zur Probe oder setzt ihr euch einmal gezielt zusammen, um Songs zu machen?
Andreas: Eigentlich gibt es einen wöchentlichen Termin für die Probe. Auch deshalb, weil wir unseren Proberaum mit zwei anderen Bands teilen. Da wir aber alle Menschen sind, die auch noch andere Sachen machen als Musik, gibt es auch immer mal wieder probenfrei. Wir proben jedoch immer mindestens 1 bis 2 Mal, bevor wir live spielen. Das schulden wir der Tatsache, dass das Spielen mit Drumcomputer keine Fehler verzeiht. Neue Songs brauchen bei uns relativ viel Zeit, und wir haben uns vorgenommen nächstes Jahr ein paar Monate nicht live zu spielen, um endlich ein paar neue Sachen auszuarbeiten.
Bei „Tag“ bin ich mir nicht sicher… wer wartet? Diejenigen, die sich auf jedes negative Ereignis stürzen, um ihren Frust darüber zu kanalisieren? Oder diejenigen, die eigentlich denen die Stirn bieten konnten und mussten?
Andreas: Bei Tag geht es ja um die Leute, die sich mit wildesten Verschwörungstheorien und kruden Ideen tagtäglich gegenseitig übertrumpfen, ungeachtet wie rassistisch und menschenverachtend sie auch werden müssen. Und das alles nur für die berühmten fünf Minuten Ruhm. Ich befürchte aber, dass sie im wahren Leben ewig auf jemanden warten, der Ihnen mit Respekt und Verständnis begegnet. Aber wahrscheinlich müssen auch wir endlos warten, bis sich Themen wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus und noch vieles mehr aufgelöst haben. Aber das ist nicht das Thema des Songs.
Was genau ist PHILEAS FOGG für euch, was könnt ihr über diese Band kanalisieren?
Andreas: Abgesehen davon, dass Musik ein bestimmender Bestandteil meines Lebens ist, ist PHILEAS FOGG sicher auch ein Ventil, das mich den einen oder anderen Tag etwas entspannter durch die Welt gehen lässt. Und dann ist es auch die Möglichkeit uns als Generation neu zu definieren, und eben nicht das Leben unserer Eltern zu wiederholen.
Fabi: Ich mache sehr gerne Musik, da ich das Gefühl mag, wenn ein Song fertig ist und auch funktioniert. Es ist auch eine gute Möglichkeit, sich dabei auf kreative Art und Weise mit Themen auseinanderzusetzen, die einen beschäftigen. PHILEAS FOGG ist für mich auch gemeinsame Zeit mit zwei lieben Menschen, die mir mittlerweile zu Freunden geworden sind.
Ihr habt gerade mit KONTROLLE gespielt, kurz nach dem Release von „Kopf, unten“, wie waren die ersten Reaktionen von Fans?
Andreas: Bisher waren das Feedback fast ausschließlich sehr positiv. Immerhin hat seit dem Release keiner mehr zu uns gesagt, dass wir einen Schlagzeuger bräuchten (lacht). Ganz besonders ist für uns aber das Feedback aus dem Ausland. Was kann es cooleres geben, als als deutschsprachige Band (fast) überall auf der Welt gespielt zu werden?! Das kennt man eigentlich nur von ganz herausragenden Bands wie den EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, BLUMFELD und den GOLDENEN ZITRONE. Letzte Woche haben wir eine Platte nach England verschickt und wenn alles glatt geht, wird unsere Platte demnächst in Peru auf Kassette erscheinen. Das schmeichelt dem Ego natürlich ganz klar.
Musikalisch – gutes Beispiel ist der Song „Reise“ – habe ich euch mit einigen deutschen Bands verglichen. Könnt ihr mit denen was anfangen, haben sie euch in irgendeiner Art und Weise inspiriert?
Andreas: Egal, wo in Reviews musikalische Vorbilder zitiert werden, lag das nie daneben. Mit über 40 hat man halt auch eine ganze Menge Musik kennen und lieben gelernt und zitiert da wohl oft auch ungewollt. Am Anfang war uns ja selber gar nicht klar, wo unsere Reise musikalisch hingehen soll, umso erstaunlicher ist es, dass wir es geschafft die vielen Einflüsse eine einheitliche musikalische Form zu bringen. Das war uns selber gar nicht so klar, bis wir das nach dem Release von „Kopf, unten“ den Plattenbesprechungen entnehmen. Als wir die Bandcamp-Demos gemacht hatten war das sicher noch nicht so.
Welche Bands inspirieren oder beeindrucken euch musikalisch oder durch ihre Haltung ?
Fabi: Vor Kurzem hatten wir ein gemeinsames Konzert mit der Band LAUT FRAGEN. Sie bezeichnen es selbst als Musik- und Performanceprojekt. Sie haben sehr politische Texte – vertonen unter anderem auch Gedichte. Haltung, Herangehensweise und auch die Live-Präsenz haben mich sehr beeindruckt.
Andreas: Eine Frage, die ich schon für mich kaum beantworten kann. Wenn man das auf das letzte Jahr reduziert, war die beeindruckendste Band mit großem Abstand IDLES. Diese Intensität habe ich womöglich zum letzten Mal bei FUGAZI erlebt. Und das dürfte dann doch schon ein paar Jahre her sein. Aber auch Bands wie FRONT oder KONTROLLE mit denen wir dieses Jahr zusammen gespielt haben lassen mich immer wieder ins Staunen und Schwärmen kommen.
Wer schreibt bei euch die Texte und hat diese Person selbst ein lyrische Vorbild, dessen Ausdrucksweise sie beeindruckt?
Andreas: Puh, Glatteisfrage. Weniger Bargeld, mehr Mechenbier!? Ich glaube das sind wir noch in der Findungsphase.
Habt ihr für 2020 eine kleine Tour geplant, was sind eure generellen Pläne mit PHILEAS FOGG?
Andreas: Wir sind ja aktuell immer wieder mal ein Wochenende unterwegs und planen bis Ende April jeden Monat ein bis zwei Konzerte zu spielen. Eine längere Tour lässt sich momentan einfach nicht mit Berufs- und Privatleben vereinbaren. Dann wollen wir wie gesagt endlich neue Songs machen. Und vielleicht lädt uns ja im Sommer noch jemand auf ein Festival ein.
Und natürlich noch die obligatorische Frage, welchen Bezug die Romanfigur PHILEAS FOGG zu euch hat?
Andreas: Eigentlich gar keinen. Wir waren froh, dass wir einen Namen hatten, der kein Klischee bedient hat. Aber natürlich lässt PHILEAS FOGG unglaublich viele coole Assoziationen zu. Immerhin ist doch „In 80 Tagen um die Welt“ der Prototyp für das Genre Roadmovie
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