Giulia Becker – Das Leben ist eins der Härtesten – Review
Giulia Becker liefert mit „Das Leben ist eins der Härtesten“ ihren Debütroman ab und sichert sich so ganz nebenbei den Debütpreis auf der lit.COLOGNE (in Versalien, weil wichtig!). Verdient hat sich die Wahl-Kölnerin, unter anderem für das Neo Magazin Royale als Autorin tätig und angeblich auch aktiv bei den Hunde-Frisbee-Weltmeisterschaften, den Preis allemal.
Scharfsinnig beobachtet, lenkt sie das Licht auf die tatsächliche Menschlichkeit und die Dinge, die in Deutschland seltsam laufen. Es geht um Leute, die wirklich abgehängt sind und an ihrem Leben schwer zu knabbern haben. Sehr behutsam fängt Giulia Becker die Komik dieser Tragik ein, sodass „Das Leben ist eins der Härtesten“ trotz aller Bitterkeit sehr unterhaltsam ist.
Watt willste machen? Kannste nix machen.
Es geht um Silke Möhlenstedt, die im Zug und gleichzeitig auch in ihrem Leben die Notbremse gezogen hat. Dafür wird sie zu Sozialstunden in der Bahnhofsmission verdonnert, was ihr Leben auch nicht wirklich erleuchtet oder bessert, aber dafür anders macht. Umgeben ist Silke von seltsamen Personen, allesamt anstrengend, verschroben und genau deshalb liebenswert. Ein wirkliches Happy End mit Fanfaren und Feenstaub ist nicht in Sicht, Giulia Becker beschreibt also das echte Leben. Es macht nachdenklich, wie klein die Träume mancher Menschen sein können und wie durchlässig und verbesserungswürdig unser deutsches Sozialsystem ist.
Giulia Becker beschreibt die Tatsache, dass Gesellschaft und Zusammenhalt nicht vom Staat geregelt werden und jeder Einzelne, bewusst oder unbewusst, seinen Teil dazu beiträgt. Es beschreibt sehr schön, warum sich manche nicht für Politik und das große Ganze interessieren. Weil sie selbst damit beschäftigt sind, irgendwie ihre eigenen Ängste und die nächste Alltagssituation zu überwinden. Oder weil sie wissen, dass gegen „die da oben“ sowieso nichts auszurichten ist und die einzige Lösung lautet: „Hilf Dir selbst, dann wird Dir geholfen.“
Wenn alle alleine sind, ist keiner alleine.
„Das Leben ist eins der Härtesten“ wird sehr intensiv erzählt, mühelos entstehen die Bilder dazu im Kopf. Jeder kann sich wiederfinden, in den gescheiterten Existenzen, die der eigenen doch gar nicht so fern sind, wie man denkt. Insgeheim ertappt man sich dabei, mindestens eine Person zu kennen, die denen im Buch gefährlich nahekommt. Die Norm ist dazu da, um sie zu ignorieren und der Großteil der Gesellschaft läuft ganz sicher nicht nach Plan A.
Giulia Becker beschreibt die Hauptcharaktere in „Das Leben ist eins der Härtesten“ so detailliert und wertfrei, dass man ganz scheuklappenfrei deren Vorzüge definieren kann. Ein warmes und kluges Buch, über die ganz normale Scheiße, für die niemand etwas kann, weil sie einfach so passiert. Wenn man das erst akzeptiert, ist es schon ein Stück leichter. Und irgendwie habe ich jetzt auch Lust, mindestens einmal im Leben ins Tropical Islands zu fahren. „Das Leben ist eins der Härtesten“ ist locker geschrieben und leicht zu verschlingen, lediglich das Ende kommt schnell und knapp. Aber so ist es im normalen Leben ja oft auch._
Für Leute, die …
sich vom Traumleben verabschieden möchten.
Seiten: 224
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3498006894
ISBN-13: 978-3498006891
VÖ: 26.03.2019
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