Body Politics Melodie Michelberger

Melodie Michelberger – Body Politics – Review inkl. Lesung vom 16.02.2021

Die Autorin, Aktivistin und ehemalige Redakteurin Melodie Michelberger geht mit ihrem Buch “Body Politics” ein wichtiges Thema an. Es gibt sicher viele, die ein Buch über Diäten oder Mode hinter dem Titel und dem Cover vermuten. Hat man doch schon tausendfach gehört und gelesen, oder? Aber es geht in eine ganze andere Richtung und ist viel mehr, denn sie erzählt uns von ihrem jahrzehntelangen Kampf gegen ihren eigenen Körper und wie sie es geschafft hat, Frieden mit ihm zu machen oder sich zumindest auf den richtigen Weg zu begeben.

Die Zeit vor und nach dem Rock

Bewusst ausgelöst wurde das in ihrer Kindheit, durch eine vermeintlich banale Situation. Sie wollte gerne einen bestimmten Rock haben, von dem ihr ihre Mutter aufgrund ihres Körpers aber ruppig abriet und den sie ihr letztendlich verweigerte. Von da an, beginnt Melodie Michelberger ein seltsames Verhältnis zu ihrem Körper zu entwickeln. Sie versucht sich anzupassen, um fast jeden Preis. Vorgaben und schlechte Tipps, wie man sein sollte und was man für die vermeintliche Optimierung tun könnte, damit der Köper “richtig funktioniert”, gibt es genug. In Zeitschriften, im allgemeinen Umfeld, in Büchern, im TV, in den Modegeschäften, im Freundeskreis und innerhalb der eigenen Familie.

Als Redakteurin für Gala und Brigitte und als PR-Expertin für verschiedene Modelabels, wurde sie auch als Erwachsene noch regelmäßig mit den gesellschaftlich geprägten Idealmaßen konfrontiert. Sie festigte eine verzerrte Wahrnehmung von ihrem eigenen Körper und saß immer fester in der Falle. Als sie soweit geheilt ist, dass sie realistisch reflektieren kann, ist sie geschockt darüber, dass sie sich in der Vergangenheit als falsch und zu viel wahrgenommen hat, obwohl dies manchmal gar nicht der Fall war. Ein Phänomen, dass viele kennen, wenn sie alte Fotos betrachten und sich dann wundern, dass sie damals doch gar nicht so furchtbar aussahen, wie ihnen von außen (und irgendwann auch von innen) eingeredet wurde.

Mit dem Körper in einem Team spielen

Die Frustration, die Scham und die Verzweiflung, die man empfindet, wenn der Körper von der Gesellschaft als nicht richtig gelesen wird, kennen viele. Man entwickelt eine Abneigung gegen etwas, dass die Seele beherbergt und mit dem man ständig konfrontiert wird. Dabei wäre es sinnvoller, mit dem Körper in einem Team zu spielen und nicht gegeneinander. Alles andere macht auf Dauer krank. Doch Melodie Michelberger überzeugt in ihrem Buch “Body Politics” besonders mit der Selbsterkenntnis. Die bezieht sich nicht ausschließlich darauf, wie man sich selbst liebt und behandeln sollte.

Sie bezieht sich besonders auch darauf, dass man selbst Teil des bitteren System ist und andere Mädchen oder Frauen in den gleichen Teufelskreis treibt. Durch unüberlegte Äußerungen oder durch das Wiederkauen von fest verankerten, falschen Traditionen. Aus meiner Sicht, ist das fast der wichtigste Punkt der Botschaft.

Screenshot von der Online-Lesung am 16.02.2021

In der Online-Lesung vom 16.02.2021 ging Melodie Michelberger auch näher auf die Beweggründe für das Schreiben des Buches ein. “Ich möchte meinen Körper nicht mehr hassen”, erzählt sie BodyMary, die an diesem Abend an ihrer Seite ist. Dabei geht es nicht darum, sich jeden Tag im Spiegel euphorisch selbst zu beklatschen, sondern eher um das Bewusstsein, dass der Körper einen durch das Leben trägt und behütet. Mit “Body Politics” leistet sie einen wichtigen Beitrag dafür, dass hoffentlich auch die innerhalb der Familie unbedacht getätigten Äußerungen – die schon kleine Mädchen in den Diätenwahn treiben und ihnen das Gefühl vermitteln einen falschen, schlechten Körper zu haben – weniger werden.

Keine individuelle Erfahrung

Auch der Buchtitel kommt nicht von ungefähr, denn die Erfahrungen der Autorin sind nicht individuell. Ganz im Gegenteil, ihre Geschichte steht stellvertretend für die vieler Frauen und den Auswirkungen einer kapitalistisch motivierten Struktur. Die im Buch abgedruckten Interviews belegen das mehr als deutlich. Noch dazu weisen die drei Befragten auf die Intersektionalität hin, wenn Diskriminierung der Körper in Zusammenhang mit der Hautfarbe steht. Es lohnt sich sehr, die Drei online zu verfolgen und sich auch zu diesem Thema schlau zu machen: Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum (@nkweeny), Body Mary (@bodymary) und SchwarzRund (@schwarzRund).

Die eigenen Muster überdenken

Michelberger spricht auch darüber, dass man mit Gewichtsverlust den absoluten Erfolg und seinen Seelenfrieden verbindet. Man malt sich aus, wie toll das Leben werden wird, wenn man erst den einen Körper hat, der von der Gesellschaft als perfekt wahrgenommen wird. Über lange Phasen hat sie sehr wenig gegessen, sich eindeutig nicht verantwortungsbewusst verhalten und nicht auf die Gesundheit geachtet. Trotzdem galt immer die Formel, dass dicke Menschen faul und undiszipliniert seien, während dünne Menschen sich dahingehend nicht rechtfertigen müssen und grundsätzlich vital gewertet werden. Die Erkenntnis, dass es kein definiertes Ziel gibt, ist ernüchternd, aber an einem gewissen Punkt auch befreiend.

Nach einer guten Stunde ist die inspirierende Lesung vorbei, das Buch “Body Politics” steht ab sofort in den Läden und lohnt sich auf jeden Fall.

Seiten: 224
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
ISBN-10: 3499003317
ISBN-13: 978-3499003318
VÖ: 26.01.2021

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