Akne Kid Joe – Die große Palmöllüge – Review
AKNE KID JOE melden sich mit ihrem zweiten Album „Die große Palmöllüge“ und Punkerdeutschland ist gespannt drauf, wie der Hosenbund von Rainer Calmund. Aufgestöbert wurde das Quartett von Alex von PASCOW, der sich die Band gleich für sein Label Kidnap Music abgegriffen hat. Aber das alleine reicht sicher nicht aus, um den Erfolg der Band aus Nürnberg – sexy Leute sagen Nürnberch – wirklich zu erklären. Abgesehen vom gar nicht mal so pfiffigen Bandnamen, kann man der Band außerdem noch ankreiden, dass sie noch nicht mal eine Bassistin oder einen Bassisten haben. Stattdessen gibt es ein zwar immerhin ein Keyboard, entschuldigt wird der Faux pas mit einer Verneigung vor ANTITAINMENT, aber klingt eigentlich alles bisschen nach B-Ware-Punk, oder?
Punk is dead and so am I
Genau das Gegenteil ist aber der Fall, denn AKNE KID JOE empfehlen sich mit „Die große Palmöllüge“ für eines der besten deutschsprachigen Punkalben der letzten fünf Jahre. Up and coming würde der Pornofan sagen. Nach dem „Intro“ – übrigens aus der Serie „Tote Mädchen Lügen Nicht“ entnommen – könnte man meinen, dass AKNE KID JOE einfach mal lospoltern. Hauptsache Fun und Hauptsache meckern. Bei genauem Hinhören stolpert man aber schnell über doppelte Böden, smarte Wendungen, starke Aussagen und das schon fast buchhalterisch genaue Abstimmen von Musik und Texten. AKNE KID JOE scheißen gleich vor mehrere Türen, einige sind offensichtlich und zum Zuscheißen freigeben, aber auch vor eigenen Tür macht die Band nicht Halt.
Für ’ne Frau…
Mit „Sarah (Frau, auch in ner Band“ setzen AKNE KID JOE schon den ersten Meilenstein, nutzen ihre Chance einmal ihre Meinung zum Thema zusammenzufassen. Eingangs erwähnter Alex PASCOW stimmt im Refrain, gewohnt angespitzt wie ein Holzpflock, zu. Im Video wird er als Hologramm zugeschaltet, womit wir bei den doppelten Böden wären. Hologramm, Zukunft und somit die Gewissheit, dass es selbst in der eigenen Szene noch einiges zu tun gibt und wir noch von einer entfernten Realität sprechen. Mit „What AfD thinks we do…“ widmen sich AKNE KID JOE einer offensichtlichen Baustelle, Nazis auf’s Maul. Ironisch greifen sie die von der Partei selbst erschaffene Diskussion um das sogenannte „Demogeld“ auf, konterkarieren deren Dummheit und setzen mit „Ich habe einen Antifatarifvertrag, du hast einen Antifatarifvertrag…“ nicht nur einen der besten Refrains der Platte aber, sondern wieder einen versteckten Denkanstoß.
Brüche im System…
Auch bei „Schäm Dich“ geht es darum, nicht unbedingt die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Asylämtern, Waffenindustrie und Polizei per se zu verteufeln. Es geht darum, die Frage zu stellen, was passieren würde, wenn sich Einzelne dem System verweigern und sich nicht jeder einfach auf die Order von einer Ebene weiter oben beruft. Ja, Scheiße fällt nach unten, aber muss das eigentlich wirklich so sein? Mit „Unser Lehrer Dr. Specht“ und „Pizza Napoletana“ gibt es mindestens zwei eher lustige und nicht so stark kritikbeladene Songs, die das Album „Die große Palmöllüge“ etwas auflockern. „Steppenwolf“, „Emergenza“ und „Unsere Kneipe“ wirken auf den ersten Blick ebenfalls harmlos, legen allerdings den Finger in die Wunden der eigenen Szene.
… gerne auch im eigenen
Saufen, früher war alles besser und für Geld überall auftreten? AKNE KID JOE geben keine abschließenden Wertungen ab, trauen sich aber die Fragen einfach mal zu stellen. Mit „Zwischen Thermomix & Webergrill“ bringen AKNE KID JOE die Discoampel zum Glühen. HC BAXXTER im Gepäck, Beat aufgedreht und ab dafür. Wenn Punk schon tot ist, dann lasst uns aber auch noch mal auf ihm abdancen, nicht nur Maria mag es laut.
Zuverlässiges Serviceteam AKNE KID JOE
AKNE KID JOE bieten auf „Die große Palmöllüge“ eine unfassbare Themenvielfalt an, viel mehr kann man auf Albumlänge nicht verdauen. Dabei hat die Band lediglich ihre bereits bekannten Waffen geschärft. Sänger Matthi singt aufgedreht wie eh und je, Sängerin Sarah hat deutlich mehr Stimmanteile bekommen und die Lieder sind noch griffiger und noch besser geschliffen. Mit „Ich vs. mich vs. euch“ deuten AKNE KID JOE nicht nur auf die Szene, sondern auf sich selbst. Post-punkige Gitarrenklänge und ein erschreckend ehrlicher Text, den jeder von uns nachvollziehen kann. Ein Song, der live wahrscheinlich niemals aufgeführt werden wird (auch wegen dem Zungenhasplerende), dessen Existenz trotzdem wichtig ist.
Dank Corona steht hier nun eine Kiste Konfettikanonen und selbstgemachter Eierlikör, beides sollte auf der Releaseparty der Band zum Einsatz kommen. Die Tour von AKNE KID JOE wird sicher nachgeholt, solange müsst ihr eben die Platte laut pumpen. Aber nicht zu laut bitte, denn wenn die Punker zu laut sind, ruf ich die Polizei. Sind bei mir auf Kurzwahl im Telefon. Prost.
Dauer: 34:58
Label: Kidnap Records
VÖ: 03.04.2020
Tracklist „Die große Palmöllüge“ von AKNE KID JOE
Intro
Sarah (Frau, auch in ner Band)
Gestern Emergenza
What AfD thinks we do…
Unser Lehrer Dr. Specht
Pizza Napoletana
Steppenwolf
Unsere Kneipe
Dagmar Wöhrl
Was ist eigentlich dein scheiß Problem?!
Das schöne Leben
Ich vs. mich vs. euch
Nachbarn
Schäm dich!
Zwischen Thermomix & Webergrill
Er darf das (Hiddentrack) – Vinyl only
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