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Turbostaat – Alter Zorn – Review
Mag man „Alter Zorn“ von TURBOSTAAT nur aus Gewohnheit, oder schockt die Band aus Flensburg weiterhin? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, rotierte die achte Platte besonders häufig, bevor sich krachfink eine Einschätzung erlaubte. Nach einigen Wochen ist jedoch eines klar: TURBOSTAAT sind weiterhin die liebenswertesten Botschafter der grauen Tage, ihre Musik sickert in tiefe Risse und geheime Orte im Herz, von denen man selbst bis dahin keine Ahnung hatte.
Genug der vermeintlichen Lobhudelei – unterm Strich geht es hier um Punkrock. Punkrock, der den Blick dahin richtet, wo es trübe und traurig ist. Die Auswahl ist von jeher groß, offensichtlich scheint sich das verfügbare Sichtfeld täglich zu erweitern. Im Gegensatz dazu steht die Enge im Hals, die sich breitmacht, wenn TURBOSTAAT uns mit ihrer Musik in die Mangel nehmen.
„Die Trauer fühlt sich anders an“
Dass Produzent Moses Schneider das Cover von TURBOSTAATs „Alter Zorn“ ziert, ist mehr als passend. Fröhlich sieht er aus, die Sonnenbrille stellt Style über Funktion, und offensichtlich ist er auf dem Sprung, um eine gute Zeit zu haben. Leichtigkeit, die wir alle gerne hätten. Die gute Zeit sucht man bei TURBOSTAAT allerdings vergebens, und optische Inszenierung könnte ihnen sowieso nicht ferner liegen. Am Sound hat Moses offensichtlich gedreht oder Bassist Torben hat bei den anderen einen gut, noch nie donnerte sein Bass so unermüdlich und dominant. Gitarrist Rollo hält auf allen Ebenen dagegen, ebenso wie Gitarrist und Texter Marten. Trotzdem kommt „Alter Zorn“ ungebremst daher; die fluffigen Momente sind rar gesät.
Das ist wohl die Eskalationsstufe, die eine von jeher dem Trübsinn zugeneigte Band noch erklimmen kann, wenn die Tage immer fieser werden. Dass TURBOSTAAT im Winter veröffentlichen, ist mittlerweile schon Tradition. Keine Band führt uns besser durch das nächste Jammertal, muntert uns auf mit den gleichermaßen exakten und verschachtelten Texten, die darauf hinweisen, was andere übersehen.
Zwischen Depression und Wärme im Bauch
„Nachtschimmel“, eine naheliegende Kombination zweier Wörter, auf die doch nur Marten Ebsen kommt. TURBOSTAAT vertonen in diesem dichten Song die Angst, das Herzklopfen und die zittrigen Beine. Mitten im Song reißt die Band ein imaginäres Fenster auf – das sind die Momente, in denen TURBOSTAAT ihre ganz eigene Magie entfalten. „Es ist einsam hier, ohne dich“, singt Jan Windmeier, wieder einmal entbehrt dieser Moment jeglicher Konsequenz. Keine deutsche Band, schon gar nicht im Punk, kredenzt einen derartigen Spannungsraum, in dem der Staffellauf aus Depression, Melancholie und Wärme im Bauch so brachial trifft und sich so unmittelbar abklatscht.
Aus individuell wird universell
„Isolationen“ spielt erneut mit der Ambivalenz, allerdings auf einer anderen Ebene. Eingehüllt in die mäandernden Gitarren, umwabert von einem fast entspannten Schlagzeugtakt, skizziert Jan Windmeier die dichte Wolke, die einen umgibt, sobald man das Außen bewusst (oder gezwungen) abschaltet. „De Annern sin Uhl“, eine tieftraurige Geschichte über jemanden, der durch das sogenannte Netz gefallen ist, verzweifelt versucht, mit denen da klarzukommen und zu verstehen, was an ihm so anders sein soll. TURBOSTAAT wirken hier weder melancholisch noch bedauernd, stattdessen eher angriffslustig und entlarvend.
„Alter Zorn“ konzentriert sich auf das Individuum, auf die Tragik, die jedem Einzelnen anhaftet. Es geht weniger um den kollektiven Pessimismus und die allgemeine Melancholie, die uns fest im Griff haben. Stattdessen stehen die persönlichen Geschichten und die leidvollen Erfahrungen einzelner Menschen im Vordergrund. Jede eigene Geschichte steht in ihrer universellen Wahrheit zugleich auch für das kollektive Erleben. Alle sind wichtig, alle müssen mit.
Lass dieses Werk bitte niemals vollbracht sein
„Die Trauer fühlt sich anders an“, so heißt es im abschließenden „Jedermannsend“. Ein Songtitel, der Unbehagen auslöst und eine prägnante Zeile, die auch auf TURBOSTAATs neue Platte passt. Was einst in Flensburg bekannt war, hat mittlerweile die Sicht erweitert. TURBOSTAAT können mittlerweile mühelos ein Bild malen, das deutlich mehr als nur den Kleinstadtmief in den Blick fasst. Fabrikrauch statt Nebel überm Wattenmeer, die Sicht ist beständig konfus. Dass „Alter Zorn“ überhaupt da ist, ist nicht selbstverständlich. Krankheit, Tod, Trauer und Konzertausfälle haben TURBOSTAAT auf eine harte Probe gestellt.
Ohne jeglichen Pathos kann man sich bei Bands wie TURBOSTAAT nur dafür bedanken, dass sie als fünf Freunde dieses besondere Vakuum erschaffen haben und mit ihrer Sicht auf die Welt auf ganz besondere Art und Weise verfangen. 25 Jahre beständiges Krakeelen und musikalisches Hand auf die Schulter legen. Ich bin Fan der ersten Stunde, merkt man? Das instrumentale Outro hört sich an, als wolltet ihr euch wegschleichen… wagt euch nicht. Bitte.
Dauer: 43:05
Label: Pias Recordings Germany (Rough Trade)
VÖ: 17.01.2025
Tracklist „Alter Zorn“ von TURBOSTAAT
Affenstraße
Subraum
Scheißauge
Alter Zorn
Nachtschimmel
Isolationen
Winograd
33 Tage
Otto muss fallen!
Den Annern sin Uhl
Mutlu
Jedermannsend
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