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Turbostaat – Uthlande – Review

TURBOSTAAT waren dieses Mal wahrlich nicht geizig mit Vorboten, wobei diese einzeln entrissenen Fragmente die Atmosphäre auf dem mittlerweile siebten Studioalbum „Uthlande“ nur anreißen können. Was nach dem ersten Durchlauf von „Uthlande“ bleibt, ist die altbekannte, ambivalente Mischung aus bitterem Trost und tiefer Traurigkeit. Gemessen am aktuellen Status der Welt – scheiße, wie immer, aber so langsam kriegt man es deutlicher zu spüren – wird natürlich auch eine Band wie TURBOSTAAT etwas düsterer und auch ratloser. Will man „Uthlande“ einen Rahmen geben, dann ist es sicher der Ort selbst und das Gefühl unterschiedliche Geschichten von verschiedenen Schicksalen aus einem abgesteckten Rahmen zu hören. Es fühlt sich ungefähr so an, als ob TURBOSTAAT in einem großen Haus immer eine andere Gardine zur Seite schieben, um kurz durch das Fenster zu linsen.

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TURBOSTAAT 2020, Foto von Andreas Hornoff

Menschen sind kein Wetter

„Rattenlinie Nord“ gibt den Startschuss mit warnenden Gitarren und einem knurrenden Bass im Anschlag, der immer wieder ins Bodenlose zu fallen scheint. Jan spricht von den „wirklich dunklen Jahren“, also wohl wissend, dass wir uns noch am Anfang vom Ende befinden und noch irgendeiner das Licht anschalten könnte. Das hilflose Gestammel des mittlerweile alten Mannes, der sich für seine Taten während der Nazizeit verantworten soll, ist beinahe unerträglich. Sänger Jan Windmeier scheint von Produzent Moses Schneider noch mehr ins Zentrum gerückt worden zu sein, immer öfter enden seine Sätze nicht nur sauer und aufgebracht, sondern einfach fragend (“ Hemmingstedt“). „Uthlande“ ist aber, im direkten Vergleich mit dem Vorgänger, herrlich schnörkellos. Häufig werden einzelne Instrumente ins Rampenlicht geschubst, diese abrupte Reduktion erhöht den Druck enorm („Nachtschreck“). „Luzi“ und das abschließende „Stormi“ teilen sich einige Zeilen, allerdings vollkommen anders vorgetragen. Während „Luzi“ schon fast beschwingt nach vorne dopst und verhältnismäßig aufmunternd klingt, übernimmt bei „Stormi“ ein rührender Kinderchor mit entsprechendem Drama das Ruder.

Warum kannst Du nicht wie alle sein? Warum kannst Du’s nicht?

TURBOSTAAT haben sich allerdings einiges von „Abalonia“ erhalten, die deutlich prägnanteren und klar ins Spiel kommenden Chöre zum Beispiel. „Schwienholt“ wird zwar vom Bass nach vorne getrieben, schwebt aber ansonsten so leicht wie eine Feder kurz über dem Boden. Irgendwie hat man den Eindruck, der Song würde wegfliegen, wenn man ihn nicht festhält. Etwas handfester, aber nicht ruppig wird es in „Stine“. Eine Hymne ohne Höhepunkt, an die schrägen Typen, die die wirklich interessanten Ansichten haben, aber genau deshalb keinen Platz in der Gesellschaft finden. „Le Hague“ und „Nachtschreck“ sind typische TURBOSTAAT-Songs. Nach vorne getragen von der schaukelnden Kraft eines starken Seegangs, bei dem man sich gut festhalten sollte, um nicht über Bord zu gehen. Daran erkennt man TUROBSTAAT aus hunderten Nachahmern und mögen sie noch so talentiert und engagiert sein.

Poesiealbum für die dunklen Stunden

Entgegen dem aktuellen Trend, gerade heraus und unmissverständlich zu texten, bleiben TURBOSTAAT genau so, wie sie sind. Die Kunst von Marten Ebsen ergibt sich allerdings auch gar nicht aus der Kryptik und schon gar nicht aus dem Anspruch, besonders missverständlich zu schreiben. Er findet starke und selten benutzte oder längst vergessene Worte wie Häwelmann, flattern, Handschlag, Zwischenraum oder lieb. Worte, die stark belegt sind mit Metaphern, Geschichten und Emotionen. Ebsen ist ein Meister im Triggern von Gefühlen und im Konservieren von Momenten. Nicht nur deshalb ist „Uthlande“ ein Album, das man so wertvoll hüten sollte wie ein Geschichtsbuch. Es lohnt sich ganz sicher in ein paar Jahren nochmals darin zu schmökern.

Dauer: 43:37
Label: Pias / Rough Trade
VÖ: 17.01.2020

Tracklist „Uthlande” von TURBOSTAAT
Rattenlinie Nord
Meisengeige
Ein schönes Blau
Schwienholt
Stine
La Hague
Nachtschreck
Luzi
Heilehaus
Brockengeist
Hemmingstedt
Stormi

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