65daysofstatic – replicr, 2019 – Review
Ganz schön langes Intro, denke ich mir, als „replicr, 2019“, das neue Album von 65DAYSOFSTATIC aus Sheffield, zum ersten Mal mit mir Kontakt aufnimmt. Spätestens „stillstellung“ kriegt mich, es zieht dich entweder in seinen manischen Bann oder widert dich an. Mit diesem Song lassen sich Teufel im Sinne einer Austreibung weg- oder herbeitanzen. 42 Minuten Angst kündigt uns die Band an, gutes Marketing funktioniert in der Regel anders. Aber „replicr, 2019“ ist deutlich mehr, ein musikalischer Fiebertraum, ein drehendes Gedankenkarussell, auf dem Angst, Beklemmung, Wut und Apathie sitzen. Dass 65DAYSOFSTATIC wie immer instrumental bleiben, erzeugt eine noch bedrückendere Stimmung. Keine tröstenden Worte, keine motivierenden Parolen und keine erhellenden Refrains.
Die Zukunft wurde abgesagt
„bad age“ scheint mit aller Gewalt versuchen zu wollen, den Herzrhythmus der Hörer zu manipulieren. Alleine diese Penetration sorgt schon für Aufmerksamkeit, gepaart mit den leicht spukigen Synthies entsteht eine angenehm beklemmende Wirkung. Keine Ahnung, ob das deren Therapieansatz oder ein Kunstprojekt ist, es fühlt sich erleuchtend an. 65DAYSOFSTATIC machen ihre Musik zur Sprache, die Geschichten, die sie damit erzählen, sind trostlos, karg und dystopisch. „popluar beats“ klingt wie eine von Angst getriebene Sprint durch einen dichten Wald, ohne Ziel und am besten unbewusst immer im Kreis rennend. Das folgende „five waves“ ist mit Sicherheit der herkömmlichste Song und nach langer Zeit der erste Lichtblick.
Dementsprechend ist auch die Wucht, mit der die hellen Synthies und die schon fast fröhlich tanzenden Beats den Horizont aufreißen und gleißendes Sonnenlicht in den Keller lassen. „This was supposed to be the future, but future got cancelled“, so fast Drummer Rob Jones „replicr, 2019“ zusammen und damit liegt er verdammt richtig. Unerfüllte Hoffnungen, sich selbst übertreffende Angstszenarien und eine Welt, der jegliche Wärme entzogen wurde.
Musik als Sprache
Es gibt diese Alben, die dein Kunstverständnis ein Stück weiter bringen und deinen musikalischen Horizont erweitern. Zuletzt geschah mir das LITURGY und ihrem Album „The Ark Work“. „replicr, 2019“ von 65DAYSOFSTATIC ist ein Album, bei dem viele zu Recht irritiert sind und von Geräuschen sprechen. Ich weiß gar nicht so genau, was 65DAYSOFSTATIC von mir wollen, fühle mich aber herausgefordert und es berührt mich. Das ist schon deutlich mehr, als ein Großteil der anderen Bands und Alben erreichen. Das Album endet mit „trackerplatz“ einer 16-Bit-Sinuswelle, also einem Notsignal. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber 65DAYSOFSTATIC geben vorher einen guten Eindruck davon, wie es sich anfühlen könnte, wenn wir die Scheiße weiter gegen die Wand fahren.
Tracklist “replicr, 2019“ von 65DAYSOFSTATIC
pretext
stillstellung
d|| tl | | |
bad age
05|| | 1|
sister
gr[]v—_s
popular beats
five waves
interference_1
[]lid
z03
u| || | th | r| d
trackerplatz
Dauer: 42:09
Label: Superball Music (Sony Music)
VÖ: 27.09.2019
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