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Interview mit Jan von Turbostaat zu “Uthlande”

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“Moses ist das sechste Bandmitglied und macht das, weil er auch Bock darauf hat und nicht, weil wir eine gewisse Summe zahlen. ” Foto von Andreas Hornoff

Ihr habt wieder mit Moses Schneider aufgenommen, eine Kombination, die ich sehr spannend finde und über die ich gerne mehr erfahren würde. Lass uns mal ganz vorne anfangen, was kriegt Moses von euch, bevor ihr zu ihm ins Studio kommt?

Wir können seit einiger Zeit, wahrscheinlich seit “Stadt der Angst”, Mitschnitte im Proberaum machen. Die hören sich dann überhaupt nicht gut an (lacht). Marten, der ja schon länger in Berlin wohnt, ist dann einfach mal zu Moses hingegangen, nachdem wir ihn schon gefragt haben, ob er Lust hat, mit uns wieder mal was zu machen. Dann hat er ihm die Sachen in Rohform mal vorgespielt und dann hat Moses meistens schon eine erste Meinung. Wir arbeiten dann immer noch ganz viel an den Liedern und so ungefähr einen Monat vor den Studioaufnahmen, kommt Moses zu uns in den Proberaum. Er bleibt da zwei Tage und wir spielen ihm dann immer die Lieder vor. Dann hört er sich das an und da beginnt wohl der erste, richtige Arbeitsprozess bei Moses.

Wirft er da schon Ideen ein? Er ist ja niemand, der nur eure Songs aufnimmt, sondern er gibt auch ganz viel von sich mit da rein. Sitzt er still dabei, macht er sich Notizen oder merkt er sich alles?

Der setzt sich in die Mitte des Raumes, da wo er am besten hört, dann trinkt er ein Bier und dann feiert er mit seinem ganzen Körper schon die Lieder. Er wackelt mit dem Kopf, er headbangt, er lacht ganz laut bei Momenten, die ihm besonders gut gefallen. Und am Schluss stellt er auch mal eine Frage, warum wir diesen Part jetzt so spielen und wenn wir ihm das gut erklären können, dann findet er das gut. Und wenn wir es ihm nicht gut erklären können, dann ist das der Punkt, an dem wir selbst merken, dass wir vielleicht nochmal genauer hinschauen könnten.

Was genau hat Moses für die Band TURBOSTAAT gemacht? Hat er in Worte gefasst oder definiert, was ihr seid oder hat er euch sogar eine neue Form gegeben, die euch bis dahin nicht bewusst war?

Er hat uns in erster Linie die Angst davor genommen, die Platten live einzuspielen. Und dieses Gefühl, von dem was wir live machen, auch auf die Platte zu bringen. Und in einigen Situationen hat er uns auch einfach sehr viel Selbstvertrauen gegeben. Einfach mal den Mut zu haben, Lieder auch mal langsam zu spielen. Das war für uns viel schwieriger, als das mit dem wir angefangen haben, nämlich einfach drauflos zu scheppern und laut zu spielen. Stattdessen können wir jetzt auch mal leiser und langsamer spielen. Und auch viele Soundideen oder Lieder nicht zu verkomplizieren, sondern dann lieber die einfachere Variante spielen, weil die tighter ist. Kein wildes Schlagzeugwirbelsolo, sondern lieber einfach weglassen, weil es dann am Ende geiler klingt. Es sind immer nur so Kleinigkeiten, eigentlich greift Moses gar nicht so sehr in die Lieder ein.

Auf welche Art und Weise gibt er denn das Feedback, merkt ihr dann schon, wenn er in der Mitte sitzt und sich nicht bewegt, dass ihm das wahrscheinlich gerade nicht so gut gefällt oder ist er rigoros und vielleicht auch sehr diplomatisch und zum Ausdiskutieren bereit?

Moses ist ein total guter Psychologe und er stellt einfach die richtigen Fragen. Er will dann wissen, warum man das dann da so und so tut, aber nicht, weil er sagt, dass es scheiße ist. Sondern er möchte, dass man selbst darauf kommt, dass es vielleicht unnötig ist. Und wenn man nicht weiterkommt, weil man sich irgendwie verrannt hat, dann kann es auch sein, dass er die richtige Idee bringt. Er sagt dann zu unserem Schlagzeuger Peter zum Beispiel, dass er mal einen bestimmten Beat spielen soll und irgendwie flutscht es dann. Bei allen entsteht ein Aha-Erlebnis und man geht am Ende des Tages aus dem Proberaum raus und hat das Gefühl, man wäre auf alles selbst gekommen. Das ist wohl sein großes Geheimnis.

So viel Auswahl hat man auch gar nicht, wenn man einen guten, erfahrenen Punkrockproduzenten haben will. Moses Schneider, Vincent Sorg und Kurt Ebelhäuser sind die drei, die mir einfallen. Auch wenn es darum geht, live aufzunehmen, das ist ja seine Besonderheit.

Ja und es ist die Person Moses. Wir haben ihn damals bei “Frieda und die Bomben” mit den BEATSTEAKS kennengelernt. Und es war ja auch nicht so, dass wir jetzt gesagt haben, dass wir auf der Suche nach einem renommierten Produzenten sind, sondern Moses war da schon ein cooler Typ, dem man einfach sofort vertraut hat. Also fiel die Wahl schnell auf ihn und im Laufe der Zeit, im Laufe der gemeinsamen Plattenproduktionen, ist es ja auch ein Kumpel geworden. Deshalb könnten wir uns auch nicht vorstellen, mit wem wir das sonst machen wollen würden. Wahrscheinlich würden wir es dann alleine machen, wenn er mal keinen Bock hätte. Er ist eher so das sechste Bandmitglied und macht das, weil er auch Bock darauf hat und nicht, weil wir eine gewisse Summe zahlen.

Welche Angst hattet ihr denn genau vor dem Livespielen, wirklich so ganz klassisch, dass ihr nicht gut genug spielen könnt?

Ja, klar. Wir haben Platten aufgenommen, so wie man früher dachte, dass man Platten aufnehmen muss. Man nimmt erst Schlagzeug und Bass auf und dann die Gitarrenoverdubs und zum Schluss die Stimme, dann wird alles zusammengefügt. Wenn du eben live in einem Raum spielst, dann bist du als Band erstmal sehr laut. Und wenn sich dann jemand eklatant verspielt, dann ist das eben auch auf den Mikros von den anderen drauf. Dann ist es ein geiler Verspieler oder du musst das Lied neu machen (lacht).

Wie viele Takes braucht ihr denn so durchschnittlich?

Das ist ganz unterschiedlich. Weil wir die Lieder ganz viel proben, bevor wir ins Studio gehen, weil so ein Studio ja auch teuer ist. Also haben wir dann ein gewisses Level, das Moses dann auch sofort erkennt. Und er kennt ja auch uns und dann kann es schon mal nach dem vierten Take sein, dass er sagt ‘Wir haben es jetzt, besser wird’s eh nicht’.

Man verkünstelt sich ja manchmal auch einfach.

Ja, genau. Und manchmal braucht ein Lied einfach die Schwere nach dem Essen, weil wir dann entspannter spielen und langsam müde werden. Dann spielen wir manche Songs nach dem Essen und die Lieder, bei denen man ballert, die spielen wir am Anfang.

Klingt nach einer guten Mischung aus Klassenfahrtgefühl und Arbeit.

Ja, es kommt auch mal vor, dass wir ausmachen, dass wir pünktlich um 10 Uhr anfangen und dann ist das Zusammensitzen doch so schön, dass man erst zwei Stunden später anfängt. Aber das liegt auch an uns, dass wir einen bestimmten Fokus setzen und viele Familienväter in der Band sind, die auch noch andere Verpflichtungen haben. Die machen dann schon mal Druck, dass es strukturierter zugeht.

Was habt ihr euch denn auf “Abalonia” erspielt oder erarbeitet, dass ihr jetzt für “Uthlande” nutzen konntet?

Wahrscheinlich etwas anderes, als Du denkst (lacht). “Abalonia” war für unsere Begriffe ziemlich viel nach rechts und links geguckt, im Hinblick auf das Songwriting haben wir schon einige Grenzen überschritten. Und im Laufe der Zeit kam bei allen das Gefühl, dass wir einfach mal wieder total nach vorne spielen wollten, so wie früher. Gerade durch die Liveplatte “Nachtbrot” wurden wir dann wieder mit zwanzig Jahren TURBOSTAAT konfrontiert und dann hört man sich auch mal wieder die alten Lieder an. Jeder von uns hatte das Gefühl, wieder so Lieder machen zu wollen, so wie früher.

Euer Vorabsingles finde ich immer ganz nett, aber so richtig was kann ich immer erst mit dem ganzen Album anfangen. Dann, im Albumkontext, klingen auch die vorab bekannten Lieder ganz anders.

Das ist schön zu hören, weil wir sehr Zeit investieren, um ein Album zu machen. Weil wir über Reihenfolgen auch mal zwei Tage diskutieren könnten. Welches Lied ist das erste, was soll dann kommen, damit können wir uns sehr lange beschäftigten. Wir bringen Singles raus, um Promo zu machen. Wir schreiben keine Singles extra für das Album.

Alles andere hätte mich sehr gewundert.

Nein, wir diskutieren sehr viel über sowas (lacht). Mehr als sich der ein oder andere vorstellen kann.

Turbostaat draußen AMKL2019 Foto von Nadine Schmidt
“Jeder von uns hatte das Gefühl, wieder so Lieder machen zu wollen, so wie früher.”

Bei “Ein schönes Blau” singst Du “ein Tag zu lang, ein Leben viel zu kurz”. Kommt Dir Dein Leben rückblickend auch viel zu kurz vor?

Ja, aber das hat, glaube, ich jeder. Und jeder hat wohl das Gefühl, dass die Tage rennen, je älter man wird und man verliert so ein bisschen den Halt in der Zeit. Das hat wohl was mit dem Altern zu tun.

“Stine” ist mein Lieblingslied von “Uthlande”. Es geht da um Annline Petersen, die auch im Booklet auf dem Foto zu sehen ist.

Ja, das war eine Stadtbäuerin aus Husum.

Erzähl mal mehr über sie.

Viele Leute haben über sie geschimpft. Was wir in dem Lied beschreiben, dass der Busfahrer schimpft, weil sie mit dem Trecker da langsam fährt, das sind Dinge, die wirklich genau so passiert sind. Rund um ihren Hof haben sich so Neubauviertel gebildet und sie hat einfach ihren Hof weiter betrieben. Der ein oder andere hat sich über sie geärgert, weil es eben bei offenen Fenster bei denen in der schicken Wohnung dann nach Bauernhof stank.

Viele Leute haben sie so abwertend belächelt, wenn sie sie irgendwo gesehen haben, weil sie dreckig war und von der Arbeit kam. Aber als sie dann gestorben ist, dann wurden auf einmal so Bücher über sie geschrieben und es gibt Dokumentationen auf YouTube. Die Leute werden plötzlich ganz melancholisch beim Gedanken an sie. Sie musste erstmal sterben, damit die Leute auf einmal diesen bunten Vogel akzeptieren.

Die Zeile “wenn Du endlich tot bis” in dem Song, könnte man auch so deuten, dass sie darunter gelitten hat. Oder war sie eine Person, die das eher locker nahm, was die anderen von ihr hielten? Wollte sie wie die anderen sein?

Neee, ich glaube Stine war wie Stine und das fand sie auch ok so.

In welchem Alter hast Du sie erlebt?

Als Jugendlicher, als ich immer mit dem Bus zur Schule gefahren bin.

Hast Du sie von Anfang an gut gefunden?

Ja, ich mochte es immer schon, wenn Leute anders waren, wenn sie irgendwie ausbrechen und fand es immer witzig und habe darüber gelacht, wenn der Busfahrer sich ganz doll über sie aufgeregt hat. Genau deshalb bin ich wohl auch Punker geworden.

In “Stormi” habt ihr einen Kinderchor, alles Kinder aus eurem familiären Umfeld. Habt ihr den Kindern vorher erklärt, was sie da singen? Es ist jetzt nicht auffällig deprimierend, aber schon ein seltsamer Text.

Nein, wir haben die einfach singen lassen und wenn danach noch Fragen kamen, dann war das die Aufgabe der Eltern, die kindgerecht zu beantworten (lacht).

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