Julie von Kessel Als der Himmel fiel Artwork

Julie von Kessel – Als der Himmel fiel – Review

Die Journalistin Julie von Kessel erzählt in ihrem Roman “Als der Himmel fiel” von den beiden Cousinen Franka und Ophelia, die gemeinsam am Rhein aufwuchsen. Zwei junge Frauen, die sich tief verbunden fühlen und doch nicht unterschiedlicher sein können. Während Ophelia musikalisch begabt und sehr diszipliniert oder schon fast verbissen ist, stolpert Franke in eine kurze Affäre nach der anderen. Beide verschlägt es nach Amerika und selbstverständlich kreuzen sich auch dort ihre Leben. Die Ereignisse überschlagen sich am Tag des Anschlags auf das World Trade Center, als ein vermeintlich dunkles Geheimnis offenbart wird.

Zwei unterschiedliche Frauen in Amerika

“Als der Himmel fiel” von Julie von Kessel liest sich herrlich leicht und fast schon gierig verschlingt man Seite um Seite, um zum angekündigten Geheimnis zu kommen. Die Autorin eröffnet immer wieder neue Handlungsstränge, deren Dringlichkeit sie größtenteils aber leider nicht gerecht wird. Manche der eröffneten Pfade versanden sogar komplett. Sie werden nie wieder aufgegriffen und für die LeserInnen zu keinem schlüssigen Ende aufgearbeitet. So ist Ophelia, die begabte Violinenspielerin, in der Obhut des berühmten Lehrers Henry geraten. Der wiederum war Häftling in Auschwitz, was weder ausreichend noch behutsam genug besprochen wird und letztendlich in dieser Form auch nichts zur Geschichte beiträgt.

Franka lernt in der Galerie, in der sie arbeitet, einen geheimnisvollen Mann kennen, mit dem sie überstürzt eine Affäre beginnt. Die Dinge, die sie im Laufe dieser sehr toxischen und fragwürdigen Beziehung herausfindet, werden niemals abschließend geklärt. Letztendlich endet das Techtelmechtel für sie mit einer traumatischen Erfahrung, die auch nicht hinreichend bearbeitet wird. Darüber hinaus gibt es noch weitere Rückblenden in die Kindheit der beiden und nervige Zitate aus dem Kinderbuch Struwwelpeter, die überhaupt nicht in den Fluss und die Stimmung des Buches passen. Und natürlich noch zahlreiche weitere Nebenstränge, die den Roman verlängern und für die Geschichte überhaupt nicht relevant sind.

Zu viele Themen, zu wenig Fingerspitzengefühl

Erst auf den letzten Seiten von “Als der Himmel fiel” enthüllt Julie von Kessel das dunkle Geheimnis und der Umgang mit diesem traumatisierenden Thema, ohne spoilern zu wollen, erscheint mir nicht mehr als unangemessen. Genauso verschwommen, wie die Beschreibung, dass die beiden Cousinen “am Rhein” aufwuchsen, bleibt der ganze Roman. Genauso wie der Rhein nämlich eine Gesamtlänge von ca. 1.200 km hat, haben auch alle in dem Roman angerissenen Themen eine komplexe Bandbreite und die Autorin auch eine Art Fürsorgepflicht gegenüber den LeserInnen, wenn sie diese (teilweise stark triggernden) Themen behandeln möchte.

Angepriesen wird “Als der Himmel fiel” als eine Geschichte über Freundschaft, Familie und Verrat. Das Verhältnis zwischen den Cousinen ist größtenteils von Konkurrenz und falschem Pflichtbewusstsein geprägt, die restlichen Verwandtschaftsverhältnisse werden eher flach gehalten und sind auch von Misstrauen und Sprachlosigkeit gezeichnet. Echte Freundschaften oder Verrat finden sich ebenfalls nicht in “Als der Himmel fiel”. Die beiden Hauptcharaktere Ophelia und Franka sind zumindest schön geschärft, sodass man mit ihnen grundsätzlich mitfühlen kann und sich für deren Schicksale interessiert. Letztendlich hat Julie von Kessel sich einfach zu viel vorgenommen. Ihr schöner Schreibstil leitet die LeserInnen zumindest leichtfüßig durch den Roman und lässt so Sätze wie “Sie drückte sich die Zigarette auf dem Schuh aus.” oder seltsame Dialoge verzeihen, aber unter Strich ist der Roman sehr unbefriedigend.

Seiten: 368
Verlag: Rowohlt Verlag
ISBN-10: 3463407000
ISBN-13: 978-3463407005
VÖ: 12.03.2019

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