Mauersegler Valerie Jakob

Valerie Jakob – Mauersegler – Review

Mit „Mauersegler“ legt die Autorin Valerie Jakob einen packenden Familienroman vor, der besonders durch seine historischen Hintergrund überzeugt. Die Geschichte startet relativ belanglos, wir machen Bekanntschaft mit der etwas aus der Bahn geschlitterten Juliane, die über Umwege an ihren Großcousin Johann gerät. Sein idyllisch gelegenes Sommerhaus gibt ihr die Möglichkeit zum Durchatmen und führt sie darüber hinaus zu einem spannenden Abschnitt der Familiengeschichte. Wir erleben die Geschichte also auf mehreren Ebenen, die erst nach und nach zu einer Geraden zusammenfinden. Grundsätzlich hätte man auch jede Ebene alleine verfolgen und jeweils ein einzelnes Buch daraus machen können.

Historischer Unterbau

Der Buchtitel „Mauersegler“ nimmt mehrfach, auf unterschiedliche Weise, Bezug auf den Roman von Valerie Jakob. Die Leser*innen dürfen zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen hin- und herspringen. Meistens sind wir den Protagonisten einen Schritt voraus und während diese ahnungslos auf alte Erb- und Schriftstücke stoßen, wissen wir schon längst Bescheid, was mit den ehemaligen Besitzer*innen passiert ist. Ein Teil der Beschreibungen der vergangenen Zeit, beruht auf dem wahren Leben von Hanna Reitsch (1912 bis 1979). Sie war eine der erfolgreichsten Fliegerinnen des 20. Jahrhundert, ihr Wagemut und ihr Durchsetzungsvermögen wurden aber auch schon damals eher als rebellisch und seltsam gewertet. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie viel sie in dieser Hinsicht erreicht hat. Bemerkenswert ist aber auch ihr Verhältnis zu Hitler und ihre Einstellung zu Vaterlandsliebe und Treue. In „Mauersegler“ gibt es noch weitere starke Frauen, die teilweise fliegen, ohne jetzt zu viel Handlung vorwegzunehmen.

Über Freiheit und Liebe

Valerie Jakob verbindet also die Situationen und Rollen von Frauen und auch Männern der Vergangenheit, mit den Nachfahren der Kindeskinder. Was genau über Generationen vererbt und aktiv oder unbewusst innerhalb einer Familie weitergetragen wird, ist manchmal enorm. Viel zu selten beschäftigt man sich damit, viel zu selten fragt man nach. Natürlich sind Gespräche über die Kriegszeit immer heikel. Fehler, die man eventuell gemacht hat, gibt man ungerne zu. Manches sollte wohl auch besser unausgesprochen werden, manches muss auch schlichtweg geheim gehalten und geschützt werden. Umso wichtiger sind Bücher wie „Mauersegler“, denn sie geben den Leser*innen die Möglichkeit, den Kern der Geschichte auf ihr eigenes Leben zu übertragen. Und dann vielleicht doch mal nachzufragen, selbst den Mund aufzumachen oder Zusammenhänge nachträglich zu verstehen.

„Mauersegler“ führt uns an mehrere Schauplätze und jongliert mit vielen unterschiedlichen Charakteren, die dann auch noch in unterschiedlichen Epochen stattfinden. Es gibt einige triggernde Situationen, die in ihrer drastischen Beschreibung nicht unbedingt vorhersehbar und in ihrer emotionalen Härte ergreifend sind. Die Autorin Valerie Jakob hat eine schöne Art, Personen und Orte zu beschreiben, sodass es leicht ist, sie sich bildlich vorzustellen. Sie legt besonders viel Wert auf Umgebung, Beschreibung der Natur und Gerüche, das macht die Vorstellung noch greifbarer. Eigentlich müsste man denken, dass es umgekehrt wäre – sie schafft besser zu beschreiben, was war und sobald wir in die Gegenwart zurückkommen, wird es etwas flacher. Aber unterm Strich ist es ihr bemerkenswert gut gelungen Historie, Liebesroman, Familiendrama und Feminismus miteinander zu verbinden.

Seiten: 352
Verlag: Kindler Verlag
ISBN-10: 3463407175
ISBN-13: 978-3463407173
VÖ: 16.02.2021

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