Volker Kutscher Mitte 2021

Volker Kutscher und Kat Menschik – Mitte – Review

Mit seiner Kurzgeschichte “Mitte” schließt der Autor Volker Kutscher an seine bereits zahlreichen Veröffentlichungen mit Geschichten aus dem Deutschland der Dreißigerjahre an. Die Leser und Leserinnen erreicht er durch den ungewöhnlichen Perspektivwechsel sehr schnell. Wir erleben die rasant steigende Bedrohung aus Sicht des sowieso schon gebeutelten Fritze Thormann, der eigentlich gerade versucht seine schlechte Ausgangssituation durch eigenen Antrieb so schnell wie möglich zu verbessern. Alles war passiert, erfahren wir nur über Briefverkehr, den er mit seiner Pflegemutter Charly und seiner Freundin Hannah führt.

Deren Antworten lesen wir nicht, er lässt sie nur subtil in seinen eigenen, nächsten Brief einfließen. Für uns ergibt sich also jederzeit ein vollständiges und nachvollziehbares Bild von den Ereignissen. Alles begann mit einer schicksalhaften Begegnung, die der junge Mann während seines Ehrendienstes bei der HJ bei der Olympiade 1936 hatte, diese holt ihn ein und manövriert ihn in eine schlechte, gefährliche Position.

Illustrationen von Kat Menschik

Jugendlicher Leichtsinn und der Wunsch nach Kontakt

Dazu muss man wissen, dass Fritze Thormann unter falschem Namen unterwegs ist. In seinen Briefen lässt er sich allerdings dazu hinreißen, viel zu viel von sich und seiner aktuellen Position und seinen Plänen preiszugeben. Schreiben macht ihm Spaß und so schreibt er weiter auch, wenn er nicht postwendend Antworten bekommt. Gerade mit dem Wissen über die tatsächliche, geschichtliche Entwicklung und die möglichen Folgen für ihn im Hinterkopf, möchte man ihn als Leser oder Leserin lautstark davor warnen. Abgesehen davon, dass man also bei dem sich ergebenden Kriminalfall miträtselt, möchte man den Protagonisten vor zu viel Offenheit und jugendlichem Leichtsinn beschützen. Auch in “Mitte” gelingt es dem Autor Volker Kutscher wieder, mühevoll in die damalige Sprache zu finden.

Unwissend ins Unglück manövriert

Wer selbst schon mal alte Briefe in die Hände bekommen hat, weiß, dass diese Naivität und Offenherzigkeit tatsächlich im üblichen Sprachgebrauch üblich war. Kat Menschik macht diese Kurzgeschichte perfekt und bebildert den Schriftverkehr mit ihren anregenden und unverkennbaren Illustrationen. Es ist hilfreich, wenn man das vorherige Buch “Olympia” von Volker Kutscher gelesen hat. Ich kannte bisher nur “Moabit” und hatte trotzdem keine Probleme, der Geschichte zu folgen. “Mitte” wird auch als Hörbuch erhältlich sein, auch eine schöne Ergänzung, da hier mit Sicherheit wieder mit authentischen Dialekten gearbeitet wird.

Seiten: 128
Verlag: Galiani-Berlin
ISBN-10: 3869712465
ISBN-13:  978-3869712468
VÖ: 07.10.2021

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