Lest die Review zu "Fischtage" von Charlotte Brandi bei krachfink.de

Charlotte Brandi – Fischtage – Review

Charlotte Brandi legt mit Fischtage ihren ersten Roman vor. Wer die Texte der Musikerin und ihre grandiose Kolumne Parole Brandi! beim Rolling Stone kennt, reagiert auf diese Neuigkeit mit nervösem Fußtippeln und einem geschnaubten „Na, endlich!“. Sie erzählt uns die Geschichte der sechzehnjährigen Ella, die in einer irrsinnig schnelllebigen und kalten Welt mit Wutanfällen reagiert. Kommt nicht so gut an; deshalb vermeidet sie Freundschaften und widmet sich eher dem Zeichnen. Daheim balanciert sie zwischen den Scheiben der Ehe ihrer Eltern, findet auch dort keine Stabilität. Ihr engster Vertrauter ist der deutlich ältere Eckard, dessen Demenz voranschreitet. Er überträgt Ella die Fürsorge für einen singenden Plastikfisch, der in den nächsten Wochen ihre einzige Konstante sein wird.

Man fühlt sich selbst fremd und anders

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Foto: Helen Sobiralski

Anfangs wirkt „Fischtage“ von Charlotte Brandi wie eine Sammlung von Kurzgeschichten. In Episoden bringt sie uns den Charakter von Ella sehr schnell und präzise näher. Der Text lebt von Brandis schwarzem Humor, den vielen absurden musikalischen Querverweisen und meyerhoffschen Beschreibungen wie der einer Villa, „in der es immer nach Steinfußboden und kalter Luft riecht“ oder äußerst unangenehmen Therapiestunden. Ellas Interaktionen mit ihrer Umwelt entlocken einem zwar oft laute Lacher, doch kaum hat man sich von dem Amüsement erholt, erkennt man in der nächsten Sekunde die eigenen Gedanken und Reaktionen wieder – und fühlt sich plötzlich selbst fremd und anders. Brandi hat mitnichten versucht, eine durchweg schräge, aber sympathische Figur zu skizzieren.

Keine typische Romanheldin, keine Pippi Langstrumpf

Ella geht einem verdammt oft auf die Nerven, überfordert häufig mit ihren abwegigen Gedanken und Aktionen. Überwiegend bringt sie aber unausgesprochene Tatsachen auf den Punkt, definiert einen Snob durchaus treffend und benennt die Tatsache, warum Jungs Mädchen einfach immer fester in die Fresse hauen, egal wie tough das Mädchen ist. Richtig Fahrt nimmt „Fischtage“ von Charlotte Brandi auf, als Ellas Bruder Luis verschwunden scheint. Den Fisch im Gepäck macht sie sich auf die Suche nach ihm. Dabei kommt sie in absurde Situationen und das Alleinsein stellt sie vor große Herausforderungen.

Zwischen Philosophie und Quatsch

Als Leserin oder Leser stochert man die ganze Zeit im Dunkeln, da man der Hauptfigur jede unvorhersehbare Aktion zutraut – der Autorin sowieso – und deshalb der Ausgang von „Fischtage“ komplett offen bleibt. Die Rahmenhandlung ist zweitrangig, es geht darum, die Gedanken von Ella zu teilen und ihren Weg zu verfolgen. Was genau ihre Mission ist, ist nebensächlich, man wartet auf die stark philosophischen oder auch quatschigen Gespräche und Überlegungen.

Die Kunst des Aufspürens

Charlotte Brandi stellt uns mit Ella keineswegs eine typische Teenagerin vor, deren schrullige Eigenheiten die Grundlage für ein seichtes Abenteuer bilden sollen. Stattdessen konfrontiert sie uns immer wieder unerwartet mit der harten, gewaltsamen Realität und erschütternden Situationen, die einen für einen Moment aus der Bahn werfen. So wird der Leser, ebenso wie Ella, kurzzeitig genauso verwirrt und verstört wie sie selbst. Und genau das ist die Kunst: Charlotte Brandi versteht es, uns aufzuspüren, zu irritieren und damit unsere volle Aufmerksamkeit zu erlangen.

Seiten: 304
Verlag: Park Ullstein
ISBN-10: 3988160261
ISBN-13: 978-3988160263
VÖ: 27.03.2024

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