Interview mit Disgusting News über „Symptoms“

Mit ihrer neuen Platte „Symptoms“ haben DISGUSTING NEWS aus Bielefeld Anfang des Jahres ein starkes musikalisches Statement gesetzt. Angetrieben von Punk und Hardcore wütet sich die Band einmal quer durch alle unguten Zustände. Ohne viel Anlauf explodieren ihre Statements musikalisch vor unseren Füßen, wütender Gesang von Vanessa rundet kompromisslose Platte ab. Faust ins Gesicht, aber auch massig gereichte Hände, die dir nach dem Realitätscheck wieder aufhelfen. Sebastian, Vanessa und Jan haben für krachfink.de einige Fragen schriftlich beantwortet.

Woher kennt ihr euch und wie habt ihr als Band zusammengefunden?

Vanessa: Bielefeld ist klein. Wir kennen uns aus dem AJZ und von anderen Konzerten. Die allerersten Proben fanden noch mit Jan am Schlagzeug statt, und als Pätty dazukam, wechselte Jan an die Gitarre. Sebastian ist als Basser vor drei Jahren zu uns gestoßen und hat Manuel ersetzt.

Sebastian: Ursprünglich sollte ich nur für ein paar Shows aushelfen, daraus wurde ein Jahr, und da es menschlich und musikalisch so gut gepasst hat, bin ich jetzt immer noch hier.

Eure Musik ist schnell, es geht Schlag auf Schlag – wie entstehen eure Songs?

Jan: Meistens beginnt es mit meinen Gitarrenriffs, die ich mit zur Probe bringe – in der Hoffnung, dass es allen gefällt. Bisher hat es immer ganz gut geklappt. Dann wird meistens zusammen eine Schlagzeug- und Bassspur erarbeitet, und Vanessa schreibt einen passenden Text zur Stimmung des Songs.

Vanessa: Grundsätzlich schreibt jeder von uns mit, und die Songs wachsen mit den Proben.

Sebastian: Das Dynamische daran gefällt mir unglaublich gut.

Jan: So gut wie nie bringt jemand einen fertigen Song mit.

Vanessa: Ich versuche, meine Ideen öfter mal zu summen oder schlage vor, den Ablauf hier und da anders zu gestalten.

…und wie probt ihr – regelmäßig und diszipliniert?

Vanessa: Leider nicht regelmäßig.

Sebastian: Aber wenn, dann diszipliniert.

Antifaschistisch habe ich vereinzelt in Reviews als ergänzendes Adjektiv für eure Band gelesen – sollte eigentlich selbstverständlich sein. Welche Werte verbinden euch darüber hinaus als Band und worum genau geht es euch mit DISGUSTING NEWS?

Vanessa: Ich sehe es nicht als politische Arbeit und würde auch behaupten, dass es dafür zu wenig wäre. Ich möchte Musik machen – und das bedeutet ja auch, dass ich mein Weltbild und meine Lebenswelt mit einbringe. Gleichzeitig wollen wir Teil eines Safe Space und autonomer Zentren sein. Wir versuchen, diese Strukturen zu unterstützen. Safe Space bedeutet für mich Antifaschismus.

Sebastian: Für mich ist es logisch, dass wir dieselben Überzeugungen vertreten. Daraus entsteht, dass wir uns reflektieren – und daraus gehen auch Veränderungen einher.

Lest die Review zu "Symptoms" von DISGUSTING NEWS bei krachfink.de
Foto von Danny Kötter

Als Genrebeschreibung gebt ihr u. a. 80er Hardcore an. Wie steht es eigentlich um die in den letzten 20 Jahren krass männerdominierte Szene – warum die Betonung auf das Jahrzehnt?

Jan: Auf welcher Seite steht das denn? Ich für meinen Teil habe wenig Input aus diesem Genre gehabt. Wenn die Songs so klingen, ist das oft Zufall. Wir sind jetzt auch eher weniger in der klassischen HC-Szene unterwegs.

Vanessa: Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass es eine Selbstbezeichnung war. Ich höre 80s Hardcore, und jede weitere HC-Band danach hat Einflüsse der 80er-Jahre-Bands. Wir wissen natürlich, dass es immer noch Mackerbands gibt – aber das ist nicht ans Genre gekoppelt.

Sebastian: Ich würde auch sagen, dass unsere Musik eine Mischung aus verschiedensten Einflüssen aus dem Bereich Punkrock ist.

„Symptoms“ heißt eure vierte Veröffentlichung – inwieweit steht der Albumtitel in Verbindung mit den Themen? Sind das alles Symptome unserer Gesellschaft?

Vanessa: Ja. Es sind die Symptome – vom Individuum bis zur Gesellschaft. Außerdem macht es einen Bogen zum vorherigen Album „Family Traumata“.

„Sad Boys“ – mich würde interessieren, was ein Song wie dieser bei den Männern in der Band auslöst.

Jan: Für mich sind Songs, die ich schreibe, oder Texte, die Vanessa verfasst, auch immer ein Anstoß, nicht auf einem Fleck stehen zu bleiben und sich in allen möglichen Bereichen weiterzuentwickeln. Bei Songs wie „Sad Boys“ erkenne ich natürlich auch meine männlich geprägte Sozialisation und die daraus resultierenden Verhaltensweisen, die es immer wieder neu zu reflektieren gilt.

Sebastian: Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – außer, dass man doch leider öfter in die Falle seiner eigenen Maskulinität tappt, als man möchte oder einem das selbst bewusst ist.

„Talk of Deviation“ – Inklusion bzw. performativer Aktionismus: Was sind konkrete Beispiele dafür? Seid ihr selbst davon betroffen?

Vanessa: Es geht auch um alltägliche Erlebnisse und Beobachtungen in dem Song. Sei es das Copen und Maskieren am Arbeitsplatz, um reinzupassen, oder das Schweigen über Schmerzen und Einschränkungen in der Freizeit – auch gegenüber Freundinnen und Familie. Ich erlebe, dass in den sozialen Medien viel „Info-Content“ verbreitet wird. Aufklärung ist supergut und wichtig, genauso wie Sichtbarkeit. Ich wünsche mir im Umgang mit diesem Content, dass wirklich eingeordnet, weniger kommentiert wird – und weniger auf sich selbst bezogen. Es geht nicht darum, aus Betroffenenberichten Motivation für sich selbst zu ziehen, sondern seinen Empathie-Horizont zu erweitern und diesen ins Miteinander zu integrieren. Dann gibt es immer mehr dieser Posts von Gurus oder „Healthfluencern“ darüber, dass jeder mit der gleichen Energie durchs Leben geht und Motivation eine Entscheidung ist und man selbst beeinflussen kann, wie der Tag wird. Leider ist das nicht die Realität für alle. Ich wünsche mir, dass mehr zugehört wird – vielleicht auch weniger nachgefragt. Beispielsweise geht eine Diagnose niemanden etwas an. Einfach zuhören.

„People Pleaser“ – wo fängt das an und bis wohin ist man nur ein Mensch, der versucht, mit anderen auszukommen?

Jan: Hmm, schwer zu beantworten. Seine Bedürfnisse zurückzustellen und auf die der anderen zu achten, ist ja in unserer Bubble relativ normal. Aber persönlich habe ich jetzt nicht so das Problem damit, es nicht allen recht machen zu wollen.

Vanessa: Puh, gute Frage. Ich schätze, das ist ein persönliches Empfinden. Wenn man stetig die eigenen Grenzen sprengt, um es anderen recht zu machen, kippt das eigene Wohlbefinden. Dafür kriegt man ganz schnell die Quittung – oder langsam, nach Jahren – und dann bricht es über einen herein.

Sebastian: Ich finde, Vanessa macht da einen guten Punkt. Gerade wenn man Dinge anders macht oder entscheidet, als man eigentlich möchte, kann man sich irgendwann selbst verlieren. Man stellt sich selbst zurück. Die Frage ist, ob man aus echter Verbindung, echter Wertschätzung oder aus Angst, abgelehnt zu werden, handelt.

„Limits“ und „Bruised“ – ihr thematisiert erneut den Umgang mit psychischen Krankheiten. Es gibt den Ausspruch „Musik ist Therapie“ – wie steht ihr dazu, was kann Musik in diesen Fällen auslösen?

Jan: Der Ausspruch ist vielleicht etwas romantisiert. Dass Musik machen oder hören dabei helfen kann, Gefühle auszudrücken oder bestimmte Dinge zu verarbeiten, ist ja wenig umstritten. Aber damit eventuell eine professionelle Therapie ersetzen zu können, ist wohl unwahrscheinlich. Ich glaube, dass sich mittlerweile sehr viel mehr Songtexte verschiedener Genres mit psychischen Krankheiten auseinandersetzen und es Betroffenen dadurch leichter gemacht wird, mit ihrem Umfeld darüber zu reden und Hilfe zu bekommen und anzunehmen.

Vanessa: Ich persönlich empfinde Musik als meinen Ausgleich. Das Schreiben von Texten macht mir oft den Kopf frei – „von der Seele schreiben“, wie man so schön sagt. Das Schreien ist dann auch fast therapeutisch. Aber – vor allem an alle Dudes, die alles tun, außer in Therapie zu gehen – es ersetzt keine Psychotherapie!

Sebastian: Für mich schafft Musik Verbindungen – zu anderen und zu mir selbst. Sie kann Wunden sichtbar machen, mir Trost und Mut spenden. Und manchmal reicht schon ein Song, um sich ein kleines Stück weniger verloren zu fühlen. Ich merke schon sehr stark, dass mir was fehlt, wenn wir uns lange nicht sehen, proben, live spielen. Musik ist für mich ein guter Weg, sich selbst zu finden, Dinge anders zu betrachten.

Wenige eurer Songs dauern länger als zwei Minuten – das ist auch dem Genre geschuldet. Legt ihr euch selbst darauf fest oder könntet ihr theoretisch auch anders?

Vanessa: Die Länge der Songs finden wir einfach gut und passend. Es gibt keinen Timer, den wir beim Songwriting aufstellen. Die Längen entstehen einfach mit dem Song gemeinsam. Es kam schon mal vor, dass wir innerhalb der Band einen Song zu lang fanden und Parts rausgestrichen haben. Das ist dann aber persönliches Empfinden. Wir machen das nicht, um einem Genre gerecht zu werden. Ich denke, Jan und Sebastian könnten auch sehr, sehr lange Songs schreiben.

Jan: Die kurzen find ich echt gut. Ich hätte aber auch nichts gegen längere Songs – mal demnächst. Es ist wohl die 90er-Jahre-Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Solo-Refrain-Songstruktur, die ich manchmal vermisse.

Sebastian: Ich denke, wir lieben die Energie, die entsteht, wenn ein Song schnell auf den Punkt kommt. Wie Vanessa schon sagte: Wir legen uns da aber auch nicht bewusst fest. Als ich in die Band kam, war es für mich aber schon etwas Neues, deutlich kürzere Songs zu spielen, als ich vorher gewohnt war. Ich denke, am Ende zählt, dass es sich für uns stimmig anfühlt.

Seht ihr euch textlich vorrangig als Beobachterinnen und Kommentatorinnen, oder geht es in erster Linie um eigene Erfahrungen?

Vanessa: In den Texten geht es immer um mein Erleben. Ob ich etwas als Beobachterin oder als aktiver Part erlebe, ist egal. Es sind immer viele Gefühle in den Texten – und in mir, haha.

Was kann man 2025 noch von euch erwarten – habt ihr Konzerte geplant?

Vanessa: In 2025 setzen wir uns selbst auferlegte Grenzen um. Wir starten reflektierter, aufgeräumter und, wie ich finde, noch verbundener ins Jahr. Wir werden auf jeden Fall Konzerte spielen – ich freue mich so, die neuen Songs live zu spielen. Es sind einige Konzerte geplant, und diese werden wir von ganzem Herzen genießen.

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